Berner Gymnasien streichen aus den Französisch-Aufnahmeprüfungen die
Grammatik. Das kommt einer offiziellen Bankrotterklärung des Lernens von
Fremdsprachen in der Primarschule gleich.
Frühfremdsprachen: Rien ne va plus, Weltwoche, 9.2. von Alain Pichard
Als mich die Anfrage der Weltwoche erreichte, den Beschluss der Berner
Gymnasien zu kommentieren, gemäss dem Grammatik aus den Aufnahmeprüfungen in
Französisch gestrichen werden soll, mischte sich eine ungewohnte Resignation in
mein sonst so streitlustiges Naturell. Was soll man hierzu eigentlich noch
schreiben?
Ich liess mir all die Aussagen eigenständig denkender Professorinnen,
der befremdeten Lehrkräfte, der wütenden Eltern oder der kritischen
Journalisten noch einmal durch den Kopf gehen, die sich in den vergangenen
Jahren – medial oder im persönlichen Austausch – zum «neuen»
Fremdsprachenunterricht geäussert hatten, und rief mir den überwiegenden Tenor
ihrer Wortmeldungen in Erinnerung: ein aktionistisches Projekt als panische Reaktion
auf den inszenierten Pisa-Schock; eine politische Kurzschlusshandlung
praxisferner Bildungspolitiker; ein Unternehmen ohne auch nur halbwegs seriöse
wissenschaftliche Basis; den Schulharmonisierungsbestrebungen schon früh zuwiderlaufend;
in sich selbst höchstgradig widersprüchlich und bar jeder Plausibilität
hinsichtlich einer Verbesserung des Lernerfolges. Die Liste der berechtigten
Einwände – adäquat veranschaulicht – vermöchte eine ganze Ausgabe der Weltwoche zu
füllen.
Ich entsinne mich, wie man in Gestalt des Passepartout-Projekts eine
geradezu frivole, weltweit einzigartige Sprachdidaktik nachlegte, die ohne
breite und unabhängig evaluierte Testphase in sechs deutschsprachigen oder
bilingualen Kantonen eingeführt wurde. Ich empörte mich öffentlich darüber,
welche Unsummen in diesen gigantischen schulischen Feldversuch – notabene mit
einer ganzen Schülergeneration als unfreiwilligen Probanden – investiert
wurden; die sechs Passepartout-Kantone dürften bislang rund hundert Millionen
Franken dafür ausgegeben haben. Schliesslich mussten wir nur noch lachen, als
wir hörten, dass das teuerste und angeblich bestmöglich getestete Lehrmittel
aller Zeiten nach exakt einem Jahr bereits umfassend überarbeitet werden musste
und so vermutlich heimlich und schrittweise in ein eher traditionelles
Lehrmittel zurückverwandelt wird.
Freilich ohne dass sich die Verantwortlichen Asche aufs Haupt streuten.
Einflussreiche Menschen pflegen ihr Gesicht nicht zu verlieren – koste es, was
es wolle. Zu diesem Zweck dürfen Potemkinsche Dörfer sogar zu Metropolen
ausgebaut werden. Nun also hat die grosse Französischreform die Gymnasien
erreicht. Mit skeptischer Neugier, so der Bieler Gymnasiallehrer Roger
Hiltbrunner in der Berner Zeitung, wolle man dieser
Herausforderung begegnen. Man müsse die Schüler dort abholen, wo sie seien, und
man könne nicht etwas prüfen, was die Schüler gar nicht durchgenommen hätten.
Und so schafft man die Grammatikprüfungen halt einfach ab. Allerdings werde
man, so Hiltbrunner, dies alles im Unterricht nachholen müssen. Damit sind die
letzten Masken dieser sich auf Verdrehung, Diffamierung und Voluntarismus
begründenden Reform gefallen. Das ist dann doch der Gipfel der Heuchelei: Die
Gymnasiasten bekommen den verpassten Strukturaufbau nachgeliefert, während die
grosse Mehrheit unserer Schüler auf diesen verzichten muss.
Die Frühfremdsprachen waren ursprünglich das Projekt einer Kaste
besonders bildungsambitionierter Mittelstandseltern, welche der trügerischen
Losung «Je früher, desto besser» auf den Leim gekrochen waren. Teure
Privatschulen hatten mit zweisprachigem Unterricht und Frühenglisch gelockt.
Die trägen öffentlichen Schulen gerieten unter Druck. Alsbald wurde durch
willfährige Theoretiker ein untaugliches Konzept mit hanebüchenen Lehrmitteln
aus dem Boden gestampft. Der Rest ist Geschichte.
Doch vergessen wir nicht: Viele Menschen sind mit diesen Entwicklungen
überaus zufrieden. Bildungspolitiker schmücken sich mit dem Etikett von
Erneuerung und Innovation; Lehrmittelverleger machen das Geschäft ihres Lebens;
Dozierende der pädagogischen Hochschulen dürfen die Lehrkräfte von der
Unterrichtsfront mit ausladenden Weiterbildungen beglücken und mit Evaluations-
und Forschungsaufträgen rechnen; Eltern sehen ihre Kinder vordergründig für die
Globalisierung gerüstet und sind froh darüber, dass man im einstigen
Selektionsfach Französisch heute viel leichter zu einer guten Note kommt. Und
wenn diese sogar richtig gut sein sollte, kann damit gerade noch die Drei in
Mathematik kompensiert werden. Ende gut, alles gut, n’est-ce pas?
Alain Pichard ist Lehrer und Gemeindepolitiker (GLP)
in Biel und einer der profiliertesten
Kritiker der Reformen im Bildungswesen der letzten Jahre.
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