14. Februar 2017

Die Lehren aus der Aargauer Lektion

Für die Gegner der Schulreformen ist es bereits der fünfte Kanton, in dem sie eine Volksabstimmung gegen den Lehrplan 21 oder die Auswüchse der Schulharmonisierung verlieren. Das Nein zur Aargauer Initiative «Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21» hat jedoch niemanden mehr überrascht. Überall in der Schweiz haben sich die Stimmberechtigten bisher geweigert, sich generell gegen Neuerungen in der Schule auszusprechen. In keinem Kanton ist die Volksschule qualitativ derart top, dass an ihr nichts verändert werden darf.
Wild gegen alles ankämpfen geht nicht, Basler Zeitung, 14.2. von Thomas Dähler


Die Initiative im Kanton Aargau war ein klassisches Eigentor der Initianten. Sie richtete sich gleichzeitig gegen den Lehrplan 21, gegen die ideologisch gefärbten Bildungsziele, gegen die Sammelfächer, gegen die zweite Fremdsprache in der Primarschule, gegen den Trend zu mehr Informatik in der Volksschule, gegen die Verschulung des Kindergartens und gegen vieles mehr. Mit einem Federstrich alles gleichzeitig bodigen: Das hat nicht funktioniert. Die Stimmberechtigten sind es sich gewohnt, differenziert zu urteilen – besonders wenn der zuständige Regierungsrat ohnehin reformkritisch ist und in Aussicht stellt, bei der Umsetzung von Reformen differenziert vorzugehen.
Prioritäten setzen
Nach dem fünften kantonalen Nein dürfte feststehen, dass der Lehrplan 21, um den es bei den Volksabstimmungen stets in der Hauptsache ging, sich definitiv durchgesetzt hat. Die Kantone haben sich inzwischen die Freiheit genommen, den Lehrplan 21 nur als Vorlage für die eigenen Umsetzung zu verwenden. «Wir haben die Kritik gehört und werden sie berücksichtigen»: Darauf baut die Argumentation der Bildungsdirektoren in den einzelnen Kantonen auf. Auch der Aargauer Bildungsdirektor Alex Hürzeler (SVP) versprach im Abstimmungskampf: «Jeder Kanton kann auf der Basis des Lehrplans 21 seinen konkreten Lehrplan selber festlegen.» Hürzeler meinte auch, die Kantone seien frei zu entscheiden, ob sie die Sammelfächer des Lehrplans 21 wollten oder nicht.

Bei der Lehrplan-Diskussion können sich die Bildungsdirektoren auf die Brust klopfen: Sie haben sich durchgesetzt. Was indes genau in den Kantonen, in den einzelnen Schulen oder bei den Lehrkräften abspielt, steht auf einem anderen Blatt. Selbst im Vorzeigekanton Basel-Stadt, der unter der Regie von Erziehungsdirektor Christoph Eymann den Lehrplan 21 als Erster umgesetzt hat, kann heute kein Paradigmawechsel konstatiert werden. Bildungspolitiker stört es nicht, dass im neuen Fach «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» die Schüler noch immer bloss kochen – ohne «die ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen des Konsums aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten», wie es jetzt im Lehrplan heisst. Und es stört niemanden, wenn in Sekundarschulen Jahresziele angestrebt werden, statt Kompetenzen, die gemäss Lehrplan zum Ende eines jeden Mehrjahres-Zyklus zu testen sind.

Im Aargauer Abstimmungskampf wurde in Anbetracht der Vielzahl von Forderungen nur eine Frage gestellt: Vertrauen die Stimmberechtigten dem kantonalen Bildungsdirektor und seinen Fachleuten? Für einen positiven Verlauf einer kritischen Auseinandersetzung in der Zukunft müsste daraus gelernt werden: Wer etwas erreichen will, muss sich auf eine oder zwei konkrete, sachlich nachvollziehbare Forderungen beschränken. Auch im Baselbiet etwa müssten Reformgegner zur Erkenntnis gelangen, dass sie mit ihren vielen Volksinitiativen, die zweifellos nicht alle separat zur Abstimmung gelangen, riskieren, dass sie an einem Abstimmungswochenende in einem einzigen Aufwisch abgelehnt werden.
Gut beraten ist, wer Prioritäten setzt. Dies könnte bedeuten, dass sich reformkritische Kreise von rechts bis links darauf konzentrieren, nur Auswüchse der Reformen zu eliminieren. So könnte etwa das Reformprojekt Passepartout in den beteiligten Kantonen gemeinsam und konzentriert bekämpft werden, ohne gleichzeitig die Frühfremdsprachen Englisch und Französisch insgesamt in Frage zu stellen und sie auch noch gegeneinander auszuspielen. Dass der Erfolg von «Passepartout» ausbleibt, ist offensichtlich und dürfte in Kürze mit den Auswertungen auch belegt werden.


Erfolgreich war in Baselland der gezielte Kampf gegen die Sammelfächer. Möglich wäre es deshalb, die Sammelfächer breiter in Frage zu stellen. Mit dem Argument einer Nordwestschweizer Harmonisierung liessen sich möglicherweise auch die Bildungsminister Conradin Cramer (BS) und Remo Ankli (SO) für Gespräche darüber gewinnen. Wer die Reformen bekämpft, muss strategisch gezielt vorgehen. Wild gegen alles ankämpfen geht nicht. Dafür haben die Initianten im Aargau am Wochenende die Quittung erhalten. 

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