Albanisch statt Französisch, Hausaufgaben streichen, Fächer abschaffen.
Auf jede neue Idee springt der Lehrer-Dachverband auf. Wem ist damit gedient?
Ein Klärungsversuch.
Nicht auf allen Hochzeiten tanzen, Journal21.ch, 17.2. von Carl Bossard
Die Intervalle werden kürzer, die Ansagen plakativer, die Postulate
widersprüchlicher. Das Ganze gleicht zunehmend einem amorphen Vektorhaufen:
Alle zwei, drei Wochen verschreibt sich der Leiter Pädagogik beim Dachverband
Lehrerinnen und Lehrer der Schweiz LCH, Jürg Brühlmann, einer neuen Idee. Dahin
soll die Schule gehen, dorthin ziehen – diesem Propheten soll der Unterricht
folgen, jenem Schalmeienklang nacheifern. Der jüngste Vorstoss: Abschaffen der
Schulfächer und nur noch interdisziplinäre Events. Mindestens für Schülerinnen
und Schüler ab 16 Jahren. Selbstverständlich unterstützt vom LCH – mit der
Argumentation: So „können die Schüler Inhalte wie Geografie, Biologie,
Mathematik und vielleicht sogar Kochen vereinen“.
Vom Wert des Projektunterrichts
Die Idee ist verlockend: keine Fächer mehr, nur noch interdisziplinärer,
eventorientierter Unterricht. Im Kurs „Arbeiten in einem Café“ beispielsweise
lernen die Schüler Kompetenzen in Englisch, Wirtschaft und Kommunikation. Der
Zweite Weltkrieg dagegen wird aus geschichtlicher, geografischer und mathematischer
Perspektive betrachtet. Und so geht es heiter weiter. Alles fächerübergreifend,
eventartig und selbstverantwortet.
Der Projektunterricht fördert die Handlungskompetenzen – als ein
Lernziel des Unterrichts. Das steht wissenschaftlich ausser Zweifel. Was John
Dewey vor bald 100 Jahren forderte und der ETHZ-Erziehungswissenschaftler Karl
Frey mit seinem Longseller „Projektmethode“ postulierte, bestätigte auch der
renommierte ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische
Forschung in München, Franz E. Weinert: Zum Aufbau eines handlungsorientierten
Wissenssystems sind eigene Lernprozesse erforderlich; sie müssen unter
lebensnahen Bedingungen stattfinden. Für diese Form des Lernens ist der
(angeleitete) Projektunterricht am besten geeignet. Darum führen viele Schulen
zielorientierte Projekttage durch. Praxisnahes, situiertes Lernen hat seinen
unverzichtbaren Wert. Doch er ist nur einer unter mehreren.
Jedes Lernziel erfordert einen anderen Unterricht
Natürlich lernt sich im Wald, im Einkaufscenter oder an der Werkbank
manches leichter, als im Unterricht und im Lehrbuch systematisch Wissen zu
erwerben. Doch „intelligentes Wissen“, wie es Weinert nennt, lässt sich nicht
über die Projektmethode allein erlernen, auch nicht selbstorientiert. Es braucht
die lehrergesteuerte, direkte Instruktion und das anschliessende intensive Üben
und systematische Anwenden. Das belegt auch die grosse Metaanalyse des
neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie. Lernen als gezielter
Wissensaufbau und Basis für Verstehensprozesse, als effektvolle Kombination von
schülerorientierter Lehrersteuerung mit hoher themen- und sachbezogener
Schüleraktivität.
„Intelligentes Wissen“ ist nicht gleichzusetzen mit dem Abrufen
isolierter Fakten. Es ist ein wohlgeordnetes, vernetztes System von flexibel
nutzbaren Kenntnissen und Fertigkeiten in einem bestimmten Sachgebiet, z. B.
Chemie. Das braucht ein sachlogisch aufgebautes, inhaltsspezifisches Lernen.
Neue Informationen werden in die vorhandene Wissensbasis eingebaut. Verständnisvoll
und durchdacht.
Die Bedeutung des Strategiewissens
Der Aufbau systematischen Inhaltswissens muss einhergehen mit dem Erwerb
von Metawissen oder mit dem Bildungsziel „das Lernen lernen“. Gute Lehrerinnen
und Lehrer fördern darum zusammen mit Inhaltswissen indirekt auch die
sogenannten metakognitiven Kompetenzen. Sie leiten ihre Schüler zum Nachdenken
über das eigene Lernen an und führen sie so gezielt zu Strategiewissen, z. B.
zum Lernen aus Texten, zum Führen von Fachgesprächen. Solches Wissen erleichtert
den Zugang zu Neuem. John Hatties Studie ortet diesem reflexiven Tun einen
hohen Effektwert zu.
Das sind drei wichtige Lernziele der Schule: intelligentes Wissen
aufbauen, Handlungskompetenzen erwerben sowie Lern- und Denkstrategien
erarbeiten.
Keine neuen Baustellen
Statt dauernd neuen pädagogischen Chimären nachzulaufen und von einer
Hochzeit zur andern zu eilen, täte der LCH gut daran, die eine oder andere
Baustelle zu schliessen: 15 bis 20 Prozent der Schweizer Schulabgänger
verlassen die Schule als Analphabeten. Nur jeder 30. Achtklässler spricht
gemäss einer repräsentativen Studie von 2016 in der Zentralschweiz
lehrplangerecht Französisch. Durch den Niedergang des Schulfachs Geschichte
sind historische Kenntnisse kaum mehr vorhanden. (1) Dazu kommen die Aufgaben
der Integration und des Umbaus durch den Lehrplan 21. Es gäbe viel zu tun, was
angesichts der zukünftigen Notwendigkeiten bedeutsam wäre. Davon lesen wir
wenig.
Und eines hören wir vom LCH ganz selten: Worauf es bei einem
lernwirksamen Unterricht letztlich ankommt.
Guter Unterricht braucht ein breites Methodenrepertoire
Von John Hattie wissen wir, wie gefährlich es ist, den Pädagogen im
Klassenzimmer zu marginalisieren und stattdessen dominant selbstgesteuertes
Lernen zu fordern, wie das eine trendige Pädagogik verlangt. Guter und
lernwirksamer Unterricht basiert auf einer vitalen, engagierten Lehrerpräsenz,
einem breiten, zielgerichteten Methodenrepertoire und vielfältigen
Unterrichtsformen wie direkter Instruktion, Projektarbeit, Gruppenunterricht
und selbständigem Lernen – das alles eingebettet in eine vertrauensvolle,
wertschätzende Lehrer-Schüler-Beziehung.
Solche Postulate möchte man vom LCH hören.
(1) Vgl. dazu: Felix Müller, Der Niedergang des Schulfachs
Geschichte hilft den Populisten, in: NZZaS, 5.2.2017, S. 15; Lucienne Vaudan,
René Donzé, Kolumbus ja – Holocaust nein, in: NZZaS, 12.2.2017, S. 20f.
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