In der wohl merkwürdigsten Passage seiner Welser Wahlrede hat sich
SPÖ-Chef Kern dafür entschuldigt, dass die Partei auf dem falschen Weg
unterwegs gewesen ist.
Modetrend Inklusion als Variante der Gesamtschule, Bild: Herbert Neubauer
Gesamtschule: Das Scheitern einer Ideologie, Vienna Online, 16.1. Gastkommentar von Andreas Unterberger
|
Er hat jedoch in keiner Weise konkretisiert, worin eigentlich die Fehler
der Partei bestanden haben; gleichzeitig hat er eine Menge alter – jedoch
weiterhin unfinanzierbarer – Versprechungen seiner Partei wiederholt, und ihnen
etliche neue hinzugefügt. Er glaubt also weiter ans Schlaraffenland. Wo waren
also die Fehler, die Kern jetzt immerhin zugibt?
Rhetorisch war diese Entschuldigung wohl nur eine geschickte Floskel,
die Etliches an Bürgerwut und Dampf bei den (ehemaligen) Wählern ablassen
sollte. In einem einzigen Bereich hat Kern jedoch trotz der schier unendlichen
Geschwätzigkeit und supermarktartigen Alles-für-Alle-Philosophie seines „Plans
A“ ein altes sozialdemokratisches Dogma weggelassen, das früher bei derlei
Gelegenheiten immer angesprochen worden ist. Nämlich die “Gesamtschule”.
War das nur Zufall? War das Absicht? Ist das ein echtes Umdenken? Oder
hat Kern einfach nur alles weggelassen, was in einem Wahlprogramm unpopulär ist
(so hat er ja auch das Pensionsthema ignoriert und ebenso die Frage, wie er
seine vielen Versprechungen konkret finanzieren will)?
Alles ist möglich. Aber für eine Abkehr vom Dogma Gesamtschule gibt es
inzwischen auch einen neuen und geradezu zwingenden Grund. Bisher in der
Öffentlichkeit unbekannte Daten zeigen nämlich neuerdings unwiderlegbar, dass
die „Neue Mittelschule“ (NMS), also die von Rot-Schwarz eingeführte Form der
Gesamtschule, ein totaler Flop geworden ist. Das sagen zwar seit längerem fast
alle Lehrer, die damit Erfahrungen sammeln konnten. Das zeigen nun aber auch
neue Daten der “Statistik Austria”, die von dieser zwar versteckt worden sind,
die aber eindeutig sind.
Denn nun stellt sich heraus, dass die Fakten noch viel schlimmer sind,
als der Rechnungshof in seiner NMS-Studie kritisiert hat: Er hat noch bemängelt,
dass diese Gesamtschulen trotz viel höherer Kosten höchstens gleichwertig mit
der zum Auslaufmodell degradierten Hauptschule wären. Jetzt aber stellt sich
heraus, dass sie sogar deutlich schlechter sind.
Der Beleg findet sich in dem Band: “Bildung in Zahlen 2014/15 – Tabellenband (2016)”. Die dortigen Zahlen zeigen, welcher Prozentsatz der Schüler beim Wechsel in die Oberstufe nach dem ersten Jahr keinen Aufstieg in die nächste Klasse geschafft hat:
Das heißt im Klartext: An Oberstufengymnasien ist der Erfolgsabstand
zwischen den Schülern aus einer AHS-Unterstufe und jenen aus einer Hauptschule
sogar geringer als der Abstand zwischen Hauptschul- und NMS-Absolventen. Bei
den berufsbildenden Schulen (Handelsakademien, HTL, usw.) ist der Unterschied
ebenfalls groß, wenn auch nicht ganz so krass. Das widerlegt alle einstigen
Polemiken regulierungswütiger Politiker gegen die Hauptschulen, dass diese eine
überholte Fehlkonstruktion wären, dass sie sozial diskriminieren würden. Eine
wirkliche Diskriminierung durch Schlechterausbildung trifft vielmehr erst jetzt
alle jene Jahrgänge, für die es nur noch die NMS gibt.
Das ist auch deshalb wichtig festzuhalten, weil es in ein paar Jahren
keine Hauptschulen mehr geben wird, deren Erfolg man noch mit denen der NMS
vergleichen könnte. Diese verdrängen ja auf Beschluss der Koalition die
Hauptschulen (die auf SP-Seite dafür verantwortlichen Ministerinnen wurden
inzwischen zwar ins Nirwana geschickt, der Verhandler auf ÖVP-Seite ist dort
allerdings heute zum Generalsekretär avanciert).
Dass die NMS scheitern muss, haben viele Pädagogen von Anfang an
befürchtet, einige Ideologen haben aber starr das Gegenteil behauptet.
Wichtigste Ursache des nunmehr feststehenden Scheiterns: In einer Hauptschule
gibt es im Gegensatz zur Gesamtschule in allen Hauptgegenständen
Leistungsgruppen, wo die Schüler je nach Können und Fleiß zusammengefasst und
dadurch gezielt unterrichtet werden können.
Das bringt weit bessere Ergebnisse als das sozialdemokratische Prinzip,
alle miteinander zu vermischen, also oft völlig Ungleiches gleich zu behandeln.
In einer solchen Gesamtschulklasse werden zwingenderweise die Begabten unterfordert
– wodurch ihre Talente verkümmern –, während andere überfordert werden.
Weshalb auch sie viel weniger erfolgreich sind, als wenn sie auf ihrem Niveau
abgeholt würden.
Das kann auch durch das zweite NMS-Prinzip in keiner Weise ausgeglichen
werden: dass es zwar strikt verboten ist, die Klassen irgendwie zu teilen, dass
aber teilweise ein zweiter Lehrer in der Klasse anwesend ist. Das macht die
Gesamtschule nicht nur sehr teuer, es ist nach Aussage vieler Schüler sogar
sehr störend, wenn ein zweiter Lehrer gleichzeitig in der Klasse aktiv ist.
Diese Kritik an der NMS deckt sich genau mit dem, was Stefan Hopmann, Pädagogik-Professor an der Uni Wien, seit Jahren lehrt: „Ich muss den Schulen so viel Freiheit einräumen, damit sie den Unterricht für genau die Schüler gestalten können, die sie haben.“ Das gleichmacherische Gesamtschulprinzip ist genau das Gegenteil davon.
Inklusion als
neue Gesamtschul-Variante
In die gleiche, für viele Kinder schädliche Richtung geht auch ein
zweiter Modetrend. Er heißt „Inklusion“ und ist ebenfalls derzeit auf der
Linken sehr beliebt. Er bedeutet, dass auch die Sonderschulen abgeschafft
werden und alle dortigen Schüler in den Normalunterricht transferiert werden
sollen.
Das ist zwar bei körperlichen Behinderungen meist, wenn auch mit
etlichem Aufwand, gut machbar und sinnvoll. Bei geistigen Behinderungen und bei
verhaltensgestörten Kindern ist das jedoch oft eine Katastrophe – für beide
Seiten. Für die einen wird der normale Unterricht massiv gestört. Für die
Behinderten hingegen gibt es deutlich weniger Förderung und Zuwendung als in
den Sonderschulen.
Deswegen haben auch schon mehrere Initiativen von Eltern behinderter
Kinder zum Kampf FÜR den Erhalt der Sonderschulen angesetzt. Sie wissen, dass
diese für ihre Kinder viel besser sind. Das Wollen der Eltern hat aber die
politischen Ideologen noch nie gestört. Sie haben vielmehr inzwischen auch
schon die – wirklich hochklassig gewesene! – Spezialausbildung für
Sonderschullehrer abgeschafft. Das ist ungefähr so idiotisch, wie wenn man in
der Medizin die Facharztausbildung abschafft und behauptet, Allgemeinmediziner
müssten eh von allem etwas verstehen.
In Wien sind die Gesamtschul-Ideologen besonders brutal unterwegs. Wohl
können sie – mangels einer Mehrheit für die notwendigen Bundesgesetze – die
achtklassigen Gymnasien mit ihren eindeutig besseren Bildungsergebnissen noch
nicht abschaffen und so auch deren Unterstufen in die Gesamtschulen
hineinzwingen. Aber die SPÖ hat seit vielen Jahren verhindert, dass in Wien
neue Gymnasien entstehen. Dabei nimmt die Bevölkerungszahl in der Hauptstadt
alljährlich um viele Zehntausende Menschen zu. Also wird es immer schwieriger,
einen Platz im Gymnasium zu finden.
Anzumerken ist, dass auch die Gymnasien in den letzten Jahrzehnten durch
viele schädliche Reformen (von der Abschaffung der Aufnahmsprüfungen über die
Unterminierung der Lehrerautorität bis zur ständigen Senkung der
Leistungsanforderungen) eindeutig an Qualität verloren haben. Die – in Wahrheit
als einziges wirklich notwendige – Rücknahme dieser Verschlechterungsreformen
im Schulsystem wäre aber für die Politik demütigend und ist daher tabu.
Gesamtschule
droht durch Grün
Dass Kern das Wort „Gesamtschule“ nun auf über 140 geschwätzigen Seiten
eines als Wahlprogramm erkenntlichen Papiers nicht verwendet, lässt etliche
Lehrer, Eltern und Schüler wieder hoffen. Sie freuen sich aber vielleicht zu
früh. Denn umgekehrt findet sich nirgendwo eine explizite Absage an die
Gesamtschule. Sie wird halt nur nicht erwähnt.
Der Verdacht ist daher groß, dass Kern dies bloß deshalb tut, weil die
Gesamtschule extrem unpopulär ist. Da stellt man lieber die
Gleichmacher-Ideologie kurzfristig in die Garage, wo sie niemand sieht. Aber
man gibt sie nicht auf.
Strafe für gute
Schulen
Sehr wohl aber findet sich ein anderer für viele Schulen und Eltern
bedrohlicher Punkt im Kern-Plan: Er will Geld von erfolgreichen Schulen zu
weniger leistungsstarken Schulen umschichten. Das würde eindeutig gute,
leistungsorientierte Schulen bestrafen. Das wäre möglicherweise auch
gleichheits-(verfassungs-)widrig. Vertretbar und sinnvoll wäre eine gewisse
Umschichtung von Geldern zwischen Schulen nur dann, wenn man als Grundlage
dafür objektiv messen könnte, ob eine Schule als Gegenleistung
überdurchschnittlich viele benachteiligte Schüler auf die Überholspur gebracht
hat oder nicht (aber natürlich nicht dadurch, dass sie die guten Noten einfach
herschenkt). Nur viel Geld allein dafür zu bekommen, dass man viele
Bildungsunwillige (Migranten oder auch Nichtmigranten) aufnimmt, wäre hingegen
absurd. Aber daher natürlich ganz auf der Linie der Schulpolitik der letzten
Jahrzehnte.
Hintertür
rot-grünes Wahlrecht?
Zugleich mit diesen eher vagen schulpolitischen Aussagen hat Kern auch
ein recht konkretes Konzept einer Wahlreform präsentiert. Dieses würde den Weg
zu einer rot-grünen Regierung erleichtern, die ja durchaus nicht verheimlichtes
Wunschziel aller Sozialdemokraten ist. Auf die letzten Legislaturperioden
umgerechnet hätte das Kern-Modell schon dreimal eine rot-grüne Regierung auch ohne
Wählermehrheit ermöglicht. Und mit Pink als weiterem Reservepartner wäre ein
Regieren auch ohne Mehrheit für einen roten Bundeskanzler noch viel leichter.
Wenn es nicht zu dieser – erstaunlicherweise derzeit auch von einigen in
der ÖVP unterstützten – Wahlrechtsreform kommen sollte, scheint sehr
wahrscheinlich, dass sich Rot-Schwarz nicht mehr ausgehen wird. Worauf dann der
SPÖ eindeutig ein Rot-Schwarz-Grün am liebsten wäre.
Sitzt aber einmal Grün im Regierungsboot – in welcher dieser Varianten
immer –, dann wäre die Gesamtschule wohl nicht mehr zu verhindern. Denn die
Grünen verlangen diese mit noch viel größerem ideologischem Drive als die SPÖ.
Auch die Neos haben sich im übrigen Pro-Gesamtschule geäußert. Und die ÖVP
würde dann wohl wieder einmal die Interessen von Schüler und Eltern
irgendwelchen Anliegen von Bauern oder Wirtschaftskämmerern opfern.
Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“.
Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein
„nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener
Internet-Blog ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen