Der Gastkommentator Toni Stadler bewundert die vom Konfuzianismusgeprägten Bildungssysteme Ostasiens, die davon ausgehen, «dass das Universum,die Welt und der Mensch rational verstanden werden können».
Einverstanden, doch zum rationalen Verstehen von Mensch und Welt gehört auch
die Kenntnis der Grenzen des rational Verstehbaren. Jenseits dieser Grenzen
beginnt das Reich der «Sinngebung», das Reich der Bewältigung der endlichen
Existenz durch Phantasie und Chaos, durch Kunst, Kultur, Religion. Und diese
«Sinngebung» ist in den Kategorien von Ranking und Ratio wohl kaum formulierbar.
«Fleiss, Disziplin und Leistung», wie Stadler sie einfordert, mögen zwar
wichtig sein, um in unserer Gesellschaft Karriere zu machen, doch für die
Anforderungen eines gelungenen Lebens reichen sie nicht aus.
Gegen die Ökonomisierung von Bildung, NZZ, 23.1. Leserbrief von Willi Bühler
Stadler fordert eine «Beschränkung der Lehrpläne aller Stufen auf das
Wesentliche und Anwendbare». Nein – das Wesentliche und das Anwendbare
schliessen sich aus! Die instrumentelle Vernunft mag zwar wichtig sein für
Strassen- und Kühlschrankbauer, aber doch nur im Kontext gesellschaftlich
ausgehandelter Ziele. Oder möchte Toni Stadler in einer zweckrationalen
Erziehungsdiktatur leben wie in Singapur? Stadler wünscht die «Fokussierung der
Lehrpläne auf das Anwendbare und Finanzierbare», und er fordert einen «Numerus
clausus für Geisteswissenschaften und gewisse Sozialwissenschaften». Nein! Das
Zweckrationale mag wichtig sein für die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse.
Doch ein gelungenes Leben fängt erst an in der Beschäftigung mit alternativen
Lebensentwürfen, mit Kunst, Musik, Literatur, ja, und auch mit dem von Stadler
so geschmähten Angebot «schöngeistiger Fächer aus dem 19. Jahrhundert». Dass
selbst eine in den Augen Stadlers so abgelegene Disziplin wie die Ägyptologie
aus der Kenntnis längst untergegangener Kulturen zu luziden Zeitdiagnosen fähig
ist, das zeigt beispielsweise das Werk des Kulturwissenschafters Jan Assmann.
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