Aufgrund von «positiven Signalen» verzichtet die Regierung im Streit um
den Fremdsprachenunterricht auf eine Intervention in den Kantonen. Bundesrat
Berset will die Entwicklung aber beobachten.
Die Rute bleibt im Sack - vorderhand, NZZ, 17.11. von Christof Forster
Die beste Drohkulisse ist jene, die nicht umgesetzt werden muss.
Innenminister Alain Berset begab sich im Sommer auf heikles Terrain, als er das
Eingreifen des Bundes im Sprachenstreit vorbereitete. Damals kündigte er an,
die Kantone per Gesetz zum Unterricht von Französisch beziehungsweise Deutsch
bereits in der Primarschule zu verpflichten. Dazu schickte er eine Revision des
Sprachengesetzes in die Vernehmlassung. Die Botschaft an die Kantone lautete:
Haltet euch an die Regeln, die ihr mit dem Harmos-Konkordat selber vereinbart
habt. Sie war in erster Linie an den abtrünnigen Kanton Thurgau gerichtet, aber
auch an Uri und Appenzell Innerrhoden, die das Modell 3/5 noch nicht umgesetzt
haben. Dieses sieht vor, dass die erste Fremdsprache ab der 3. Primarklasse und
die zweite ab der 5. Primarklasse unterrichtet wird.
Die Drohung scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Berset verwies
am Freitag auf Entscheide in den Kantonen zugunsten der vereinbarten Regeln. Im
April schickte die Thurgauer Regierung einen Lehrplan ohne Französisch in die
Vernehmlassung. Im September – nach Bersets Ankündigung – entschied die
Regierung jedoch, dass das Kantonsparlament erneut darüber abstimmen solle, ob
der Französischunterricht aus der Primarschule verbannt wird. Als positives
Signal interpretiert Berset auch den Ausgang der Volksabstimmungen in den
Kantonen Thurgau, Schaffhausen und St. Gallen. Im Thurgau und in Schaffhausen
verwarf das Stimmvolk Ende November Initiativen, die sich gegen den Lehrplan 21
richteten. Vor allem in Schaffhausen hatten die Initianten explizit auf die
Abschaffung von Frühfranzösisch gezielt. Im Kanton St. Gallen scheiterte im
September eine Initiative zum Ausstieg aus dem Harmos-Konkordat.
Dass bis jetzt kein Kanton sich definitiv vom Kompromiss im
Fremdsprachenunterricht verabschiedet hat, führt Berset auch auf die drohende
Bundesregelung zurück. Hinter vorgehaltener Hand waren selbst die Kantone nicht
nur unglücklich darüber, dass der Bund das Heft in die Hand nahm.
Wenn eine Drohung wirkt, soll man sie aufrechterhalten. Dies wird der
Innenminister machen. Er werde die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten,
sagte Berset. Sollten sich Rückschritte abzeichnen, müsse die Situation neu
beurteilt werden. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ein Kanton beschlösse,
eine zweite Landessprache nicht durchgehend ab der Primarstufe bis zum Ende der
obligatorischen Schule zu unterrichten. Spätestens im Herbst 2017 wird Berset
sich mit den kantonalen Erziehungsdirektoren treffen, um das weitere Vorgehen
zu besprechen.
Bis jetzt ist es für den Bundesrat optimal gelaufen. Berset hatte
gehofft, dass er auf eine Gesetzesänderung verzichten könne. Die Vernehmlassung
gab einen Vorgeschmack darauf, zu welchen Verwerfungen ein Eingreifen des
Bundes im Sprachenstreit führen könnte. Bei den meisten lateinischen Kantonen
sowie Graubünden findet das rasche und entschlossene Handeln des Bundes, falls
eine unter den Kantonen vereinbarte Lösung nicht zustande kommt, grossen
Anklang. Die Mehrheit der Kantone hat hingegen grosse Vorbehalte gegenüber
einer Änderung des Sprachengesetzes. Zehn Kantone, darunter der Thurgau,
Appenzell Innerrhoden und Uri, lehnen dies explizit ab. Für andere ist ein
Eingreifen des Bundes zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Der Bundesrat hatte in
der Vernehmlassung drei Varianten vorgeschlagen, die mehr oder weniger stark in
die Kantonskompetenz eingreifen.
Immerhin zeigte sich auch ein breiter Konsens über die besondere
Bedeutung des Unterrichts der Landessprachen in der Schweiz. Das Bildungsziel
der Mehrsprachigkeit und eine Priorisierung der Landessprachen seien wichtig
für die Zukunftschancen der Kinder. Die Kantone unterstrichen auch den
wichtigen Beitrag des Sprachenunterrichts zur nationalen Kohäsion.
Berset hat einsehen müssen, dass er mit einer Bundesintervention der "nationalen Kohäsion" einen Bärendienst geleistet hätte. Sein Statement ist das Eingeständnis einer Niederlage. Die erneute Drohung mit einer eventuellen Neubeurteilung ist Schall und Rauch. Uri und insbesondere Appenzell werden sich hüten, sich mit minderwertigen Sprachkompromissen über den Tisch ziehen zu lassen.
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