18. November 2016

Viel Hokuspokus im Aargau

Ein Coaching-Hund und viel Hokuspokus werden im Aargau zur Förderung des Lernens eingesetzt. Man fragt sich als Leser von solchen und ähnlichen Berichten, wann denn der Tiefpunkt erreicht ist und wie lange noch öffentliche Gelder für Unsinn aus dem Fenster geworfen wird. Die hier beschriebene Methode des Brain-Gym ist seit Jahren desavouiert und entlarvt. Das gleiche gilt für die simplifizierenden Aussagen bezüglich den beiden Gehirnhälften. Und die Mär der Lerntypen wird auch mit einem ganzen Rudel Hunde nicht wahrer. Haben die Reformen die Widerstandskraft gegenüber solcherlei Unfug dermassen geschwächt? Oder weiss man etwa im Aargau noch nichts davon? Und wo sind die Lehrer, die hier als Fachspezialisten eingreifen müssten? Haben die alle schon auf Autopilot geschaltet und reagieren nur noch auf Anweisungen von oben? Welch ein Szenario: Unter wohlwollendem Beifall der Pädagogen liefert man die Schüler munter jeder noch so originellen Idee aus. (uk)
Diese Schüler werden von einem Lerncoach unterrichtet - was bringt das? Aargauer Zeitung, 17.1. von Nadja Rohner

«Lernen lernen» heisst das Projekt der Kreisschule. Die Fünftklässler erhalten ein Semester lang wöchentlich eine Lern-Unterrichtslektion. Das ist in dieser Form einzigartig. Die az hat eine Lektion begleitet.


Dienstagmorgen, 9 Uhr. Aufregung unter den Fünftklässlern im Buchser Schulhaus Risiacher. Weniger wegen der Anwesenheit der Journalistin. Sondern wegen Pablo. So heisst der Coaching-Hund von Lernexpertin Sarah Zanoni.
Die Klasse sieht ihn heute zum ersten Mal. Um die aufgeregten Mädchen und Jungs auf den Unterricht zu fokussieren, greift Zanoni in ihre Trickkiste: «Speetfit», ruft sie. Die Kinder wissen offensichtlich, was zu tun ist: Sie massieren sich die Ohren, die Augenpartie, die Kopfhaut. Danach sollen sie die Arme über Kreuz verschränken. «Warum machen wir das?», will Zanoni wissen. «Damit beide Hirnhälften arbeiten», schallt es prompt aus der Klasse zurück.
Die Kinder wissen das, weil die gezielte Aktivierung des Gehirns zu ihrem Lernstoff gehört. Denn in der Kreisschule Buchs-Rohr ist das Lernen als solches ein Schulfach, losgelöst vom normalen Unterricht. Die Fünftklässler erhalten ein Semester lang wöchentlich eine Lern-Unterrichtslektion. Das ist in dieser Form einzigartig.
Wozu ist das gut?
«Wir sind überzeugt: Es lohnt sich, die Techniken, mit denen jedes Kind nach seiner Art und Weise lernen kann, genauer unter die Lupe zu nehmen», sagt Schulleiter Beat Maurer. So wurde 2010 das Projekt «Lernen lernen» gestartet. Maurer und Zanoni haben es erarbeitet. Zanoni ist ausgebildeter Jugendcoach und Expertin fürs Lernen. Sie hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben, erschienen sind sie im Beobachter-Verlag.
«Zu den Kindern sagt man immer: ‹Muesch lehre›», erzählt sie. «Aber oft wissen sie gar nicht, was das heisst.» Die Fachfrau mit eigener Praxis in Aarau hat nicht nur an der Projektierung mitgewirkt, sie unterrichtet die Buchser Kinder auch. «Wenn eine Expertin von ausserhalb kommt, ist die Aufmerksamkeit grösser», sagt der Schulleiter.

Die fünfte Klasse sei der ideale Zeitpunkt, sind Maurer und Zanoni überzeugt. «Vorher fehlt den Kindern die Fähigkeit, über sich selber nachzudenken», erklärt Maurer. Ausserdem seien sie so bestens für die 6. Klasse und den Übertritt in die Oberstufe ausgerüstet.Im Unterricht lernen die Kinder spielerisch, welche Lernmethode zu ihnen, aber auch zum Stoff passt. «Reines Gelbmarkieren mit dem Leuchtstift bringt zum Beispiel nichts», sagt Zanoni, «da können sie das Blatt auch gleich ganz in Farbe tunken.»Auch Mindmaps seien zu anspruchsvoll. Die Schüler arbeiten vielmehr mit Lernplakaten, Lernlandkarten, verschiedenen Farben oder thematischer Ordnung des Stoffs. Eine andere Methode heisst «7 Zwerge»: «Die Hirnforschung zeigt, dass das Gehirn nur sieben neue Wörtli aufs Mal lernen kann», erklärt Zanoni.Feines Getränk als Belohnung
Im Lern-Unterricht arbeitet sie mit den Schülern auch an deren Motivation. Zum Beispiel: Wenn das Kind einen Teil seiner Hausaufgaben geschafft hat, darf es ein feines Getränk haben. Oder: Wenn es die Wörtli gut gelernt hat, schafft es eine bessere Note. «Manche haben bereits in der fünften Klasse ein bestimmtes Berufsziel», sagt Zanoni. «Das motiviert zusätzlich. Und motiviertes Lernen führt immer zu besseren Leistungen. Wichtig ist, dass jedes Kind individuell passende Lernwerkzeuge erhält – auch für seine Zukunft.»

Der Lern-Unterricht soll auch die Eltern entlasten – aber nicht vollständig: «Es braucht das Dreieck Eltern-Schule-Schüler», sagt Zanoni. «Die Schule gibt die Inhalte vor, die Schüler lernen idealerweise selbstständig, die Eltern sind für die Strukturen verantwortlich.» Das bedeutet: «Eltern müssen Ruhe und Zeitgefässe schaffen, damit die Kinder lernen können. Man kann nicht mit dem Sandwich vor dem Fernseher die nächste Geschichts-Arbeit vorbereiten.»

Aus ihren Coachings weiss Zanoni, dass Kinder beim Lernen oft abgelenkt werden. Etwa durch quäkende kleine Geschwister oder durch Gerüche, die aus der Küche kommen, wenn die Mutter das Abendessen vorbereitet. Wenn Eltern das wissen, können sie mit wenigen kleinen Kniffen zu Hause eine gute Lernumgebung schaffen.Zudem weist die Expertin darauf hin, dass Eltern ihre Kinder nicht dauernd aktiv beim Lernen unterstützen müssen – sie sollen aber Präsenz zeigen. Zum Beispiel, indem sie nachfragen, wann der nächste Test stattfindet, oder kontrollieren, ob das Kind die Hausaufgaben gemacht hat.

Über fünf Jahre hat die Schule Buchs-Rohr nun am Konzept «Lernen lernen» herumgeschraubt. «Lange haben wir die Eltern nicht richtig erreicht», erinnert sich Schulleiter Maurer. «Jetzt lassen wir am Elternabend das Konzept durch die Schüler erklären. Die Kinder sagen den Eltern selber, welche Unterstützung sie von ihnen brauchen. Das fördert deren Selbstbewusstsein.»
Nun sind Beat Maurer und Sarah Zanoni zufrieden. Bereits haben einige weitere Schulen Interesse am Konzept «Lernen lernen» gezeigt. «Von den Eltern erhalten wir sehr positive Rückmeldungen», sagt Zanoni. «Die Lehrer bestätigen, dass die Selbstständigkeit beim Lernen zugenommen hat.» Die Zufriedenheit der Schüler und Lehrpersonen zeige sich zudem in den laufenden Evaluationen.




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