Ein Coaching-Hund und viel Hokuspokus werden im Aargau zur Förderung des Lernens eingesetzt. Man fragt sich als Leser von solchen und ähnlichen Berichten, wann denn der Tiefpunkt erreicht ist und wie lange noch öffentliche Gelder für Unsinn aus dem Fenster geworfen wird. Die hier beschriebene Methode des Brain-Gym ist seit Jahren desavouiert und entlarvt. Das gleiche gilt für die simplifizierenden Aussagen bezüglich den beiden Gehirnhälften. Und die Mär der Lerntypen wird auch mit einem ganzen Rudel Hunde nicht wahrer. Haben die Reformen die Widerstandskraft gegenüber solcherlei Unfug dermassen geschwächt? Oder weiss man etwa im Aargau noch nichts davon? Und wo sind die Lehrer, die hier als Fachspezialisten eingreifen müssten? Haben die alle schon auf Autopilot geschaltet und reagieren nur noch auf Anweisungen von oben? Welch ein Szenario: Unter wohlwollendem Beifall der Pädagogen liefert man die Schüler munter jeder noch so originellen Idee aus. (uk)
Diese Schüler werden von einem Lerncoach unterrichtet - was bringt das? Aargauer Zeitung, 17.1. von Nadja Rohner
«Lernen lernen» heisst das Projekt der Kreisschule.
Die Fünftklässler erhalten ein Semester lang wöchentlich eine
Lern-Unterrichtslektion. Das ist in dieser Form einzigartig. Die az hat eine
Lektion begleitet.
Dienstagmorgen, 9 Uhr. Aufregung unter den Fünftklässlern im Buchser
Schulhaus Risiacher. Weniger wegen der Anwesenheit der Journalistin. Sondern
wegen Pablo. So heisst der Coaching-Hund von Lernexpertin Sarah Zanoni.
Die
Klasse sieht ihn heute zum ersten Mal. Um die aufgeregten Mädchen und Jungs auf
den Unterricht zu fokussieren, greift Zanoni in ihre Trickkiste: «Speetfit»,
ruft sie. Die Kinder wissen offensichtlich, was zu tun ist: Sie massieren sich
die Ohren, die Augenpartie, die Kopfhaut. Danach sollen sie die Arme über Kreuz
verschränken. «Warum machen wir das?», will Zanoni wissen. «Damit beide
Hirnhälften arbeiten», schallt es prompt aus der Klasse zurück.
Die
Kinder wissen das, weil die gezielte Aktivierung des Gehirns zu ihrem Lernstoff
gehört. Denn in der Kreisschule Buchs-Rohr ist das Lernen als solches ein
Schulfach, losgelöst vom normalen Unterricht. Die Fünftklässler erhalten ein
Semester lang wöchentlich eine Lern-Unterrichtslektion. Das ist in dieser Form
einzigartig.
Wozu ist das
gut?
«Wir
sind überzeugt: Es lohnt sich, die Techniken, mit denen jedes Kind nach seiner
Art und Weise lernen kann, genauer unter die Lupe zu nehmen», sagt Schulleiter
Beat Maurer. So wurde 2010 das Projekt «Lernen lernen» gestartet. Maurer und
Zanoni haben es erarbeitet. Zanoni ist ausgebildeter Jugendcoach und Expertin
fürs Lernen. Sie hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben, erschienen sind sie
im Beobachter-Verlag.
«Zu
den Kindern sagt man immer: ‹Muesch lehre›», erzählt sie. «Aber oft wissen sie
gar nicht, was das heisst.» Die Fachfrau mit eigener Praxis in Aarau hat nicht
nur an der Projektierung mitgewirkt, sie unterrichtet die Buchser Kinder auch.
«Wenn eine Expertin von ausserhalb kommt, ist die Aufmerksamkeit grösser», sagt
der Schulleiter.
Die
fünfte Klasse sei der ideale Zeitpunkt, sind Maurer und Zanoni überzeugt.
«Vorher fehlt den Kindern die Fähigkeit, über sich selber nachzudenken»,
erklärt Maurer. Ausserdem seien sie so bestens für die 6. Klasse und den
Übertritt in die Oberstufe ausgerüstet.Im Unterricht lernen die Kinder spielerisch, welche Lernmethode zu
ihnen, aber auch zum Stoff passt. «Reines Gelbmarkieren mit dem Leuchtstift
bringt zum Beispiel nichts», sagt Zanoni, «da können sie das Blatt auch gleich
ganz in Farbe tunken.»Auch Mindmaps seien zu anspruchsvoll. Die Schüler
arbeiten vielmehr mit Lernplakaten, Lernlandkarten, verschiedenen Farben oder
thematischer Ordnung des Stoffs. Eine andere Methode heisst «7 Zwerge»: «Die
Hirnforschung zeigt, dass das Gehirn nur sieben neue Wörtli aufs Mal lernen
kann», erklärt Zanoni.Feines
Getränk als Belohnung
Im
Lern-Unterricht arbeitet sie mit den Schülern auch an deren Motivation. Zum
Beispiel: Wenn das Kind einen Teil seiner Hausaufgaben geschafft hat, darf es
ein feines Getränk haben. Oder: Wenn es die Wörtli gut gelernt hat, schafft es
eine bessere Note. «Manche haben bereits in der fünften Klasse ein bestimmtes
Berufsziel», sagt Zanoni. «Das motiviert zusätzlich. Und motiviertes Lernen
führt immer zu besseren Leistungen. Wichtig ist, dass jedes Kind individuell
passende Lernwerkzeuge erhält – auch für seine Zukunft.»
Der Lern-Unterricht soll auch die Eltern entlasten
– aber nicht vollständig: «Es braucht das Dreieck Eltern-Schule-Schüler», sagt
Zanoni. «Die Schule gibt die Inhalte vor, die Schüler lernen idealerweise
selbstständig, die Eltern sind für die Strukturen verantwortlich.» Das
bedeutet: «Eltern müssen Ruhe und Zeitgefässe schaffen, damit die Kinder lernen
können. Man kann nicht mit dem Sandwich vor dem Fernseher die nächste Geschichts-Arbeit
vorbereiten.»
Aus ihren
Coachings weiss Zanoni, dass Kinder beim Lernen oft abgelenkt werden. Etwa
durch quäkende kleine Geschwister oder durch Gerüche, die aus der Küche kommen,
wenn die Mutter das Abendessen vorbereitet. Wenn Eltern das wissen, können sie
mit wenigen kleinen Kniffen zu Hause eine gute Lernumgebung schaffen.Zudem weist die Expertin darauf hin,
dass Eltern ihre Kinder nicht dauernd aktiv beim Lernen unterstützen müssen –
sie sollen aber Präsenz zeigen. Zum Beispiel, indem sie nachfragen, wann der
nächste Test stattfindet, oder kontrollieren, ob das Kind die Hausaufgaben
gemacht hat.
Über fünf Jahre hat die Schule Buchs-Rohr nun am Konzept «Lernen lernen»
herumgeschraubt. «Lange haben wir die Eltern nicht richtig erreicht», erinnert
sich Schulleiter Maurer. «Jetzt lassen wir am Elternabend das Konzept durch die
Schüler erklären. Die Kinder sagen den Eltern selber, welche Unterstützung sie
von ihnen brauchen. Das fördert deren Selbstbewusstsein.»
Nun
sind Beat Maurer und Sarah Zanoni zufrieden. Bereits haben einige weitere
Schulen Interesse am Konzept «Lernen lernen» gezeigt. «Von den Eltern erhalten
wir sehr positive Rückmeldungen», sagt Zanoni. «Die Lehrer bestätigen, dass die
Selbstständigkeit beim Lernen zugenommen hat.» Die Zufriedenheit der Schüler
und Lehrpersonen zeige sich zudem in den laufenden Evaluationen.
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