9. November 2016

Ungleiche Ellen

Die Befürworter der Schulinitiative werfen Thurgauer Schulbehörden unzulässige Gegenpropaganda vor. Kritisiert werden Nein-Plakate an Schulhäusern, Empfehlungen an Elternabenden und Entlassungsdrohungen gegen Lehrer.
Schulbehörden kämpfen mit allen Mitteln, Thurgauer Zeitung, 9.11. von Thomas Wunderlin


In Berg und Wallenwil gehen die Schulbehörden besonders weit. Sie hängen Plakate gegen die Schulinitiative auf dem Schulareal auf. In Steckborn prangt sogar eines in einer Turnhalle. Von einem Geländer herab fordert es Schüler und andere Turner dazu auf, beim Urnengang vom 27. November Nein zu stimmen.

Eine Bürgerin habe ein Ja-Plakat ans selbe Geländer gehängt, sagt Lutz Wittenberg aus Oberwangen, Mitglied des Pro-Komitees. Es sei schnell abgeräumt worden, im Gegensatz zum Nein-Plakat. In Wallenwil verlangte eine Befürworterin erfolglos, ein Ja-Plakat auf dem Schulareal zu plazieren. Inzwischen ist gemäss «Blick» auch das Nein-Plakat verschwunden. Der Kanton habe sie «auf die rechtliche Grauzone» angesprochen, wird Schulpräsidentin Susanne Koller zitiert. Sie war für diese Zeitung gestern nicht erreichbar.

Der Initiativbefürworter Wittenberg nennt weitere Beispiele, die er für unzulässig hält. In Weinfelden und Pfyn seien Eltern an Elternabenden ausführlicher Gegenpropaganda ausgesetzt worden. In Rickenbach sei den Lehrern eine Elterninfo ausgeteilt worden, die sie den Kindern nach Hause mitgeben sollten. Andernorts habe ein Schulleiter Eltern ein Mail mit einer Abstimmungsempfehlung verschickt. Eine Schulbehörde habe einen Schulleiter angewiesen, auf der Homepage zu erklären, Schulbehörden, Schulleitung und Lehrerschaft lehnten die Initiative ab. Dabei seien die Lehrer gar nicht befragt worden; darunter seien auch Befürworter. Wittenberg betont, dass viele Schulbehörden und Schulleiter korrekt informierten. «Eine Schulbehörde darf im politischen Raum durchaus Stellung nehmen.» Einen Postversand hält er beispielsweise für korrekt. Hingegen sei es «juristisch und politisch unmöglich», Kanäle zu nutzen, die nicht jedermann offen stünden, wie beispielsweise Propaganda an einem Elternabend.

Der Schulpräsident von Berg-Birwinken, Benno Rast, hat auch am Schulhaus Mattwil ein Ja-Plakat aufhängen lassen. Auf Anfrage räumt er ein: «Ich habe mich nicht erkundigt, ob das korrekt ist.» Er habe jetzt seine Behördenkollegen um ihre Meinung gebeten. Rast hat auch im Berger Gemeindeblatt eine Stellungnahme gegen die Initiative veröffentlicht. «Das darf ich als Schulpräsident, es ist meine persönliche Meinung.» Er dürfe es aber nicht im Namen der Schule tun.

Über Plakate in Schule müsste Gericht entscheiden
«Grundsätzlich dürfen Schulgemeinden in den Abstimmungskampf eingreifen», sagt Titus Gunzenreiner, Leiter des Rechtsdiensts des Erziehungsdepartements. «Sie dürfen Parolen fassen und eine Empfehlung abgeben.» Demzufolge darf ein Schulpräsident in einem Gemeindeblatt seine Meinung kundtun. Die Intervention einer Gemeinde in einen kantonalen Abstimmungskampf setzt laut Gunzenreiter «ein unmittelbares und besonderes Interesse der Gemeinde am Ausgang der Abstimmung voraus». Im Streitfall müsste ein Gericht darüber entscheiden, ob eine Schulgemeinde von der Initiative besonders betroffen sei und falls nein, ob das Aufhängen des Nein-Plakats als zulässig zu bezeichnen sei. Das Departement könne den Schulgemeinden diesbezüglich keine Weisungen erteilen, sie seien selber verantwortlich. Es sei im Fall Wallenwil lediglich im Sinne einer Empfehlung dazu geraten worden, die Plakate abzuräumen.

Pro-Komitee-Mitglied Wittenberg wirft Gegnern vor, Lehrplan-21-Gegnern in der Lehrerschaft mit Entlassung zu drohen. Als Beleg führt er ein auf der Homepage des kantonalen Amts für Volksschule greifbares Referat des Amriswiler Schulpräsidenten Markus Mendelin an, das er am 8. Januar 2014 an einer Lehrerfortbildung in Berg hielt. Zum Thema Change-Management sagte er: «Es braucht gegebenenfalls Personalveränderungen: Manchmal ist der einzige Weg, eine Kultur zu verändern, ein personeller Wechsel.»

Er habe sich auf gängige Literatur gestützt, insbesondere «Erfolgsfaktoren der Veränderung» nach John Kotter, kommentiert Mendelin. Der zitierte Satz sei unbestritten. «Ein Team, das vorwärts kommen will, muss harmonieren.» Behörden und Schulleiter könnten gerade bei Personalwechseln die Teamkultur als ein Auswahlkriterium in Betracht ziehen. Als Beispiele für Personalwechsel erwähnt er Pensionierungen, Arbeitsaufgabe wegen Mutterschaft und freiwilliger Stellenwechsel, nicht aber Entlassungen. «Ich persönlich kenne keine Beispiele, wo aufgrund des neuen Lehrplanes Druck auf Lehrpersonen ausgeübt wurde. Offensichtlich wollen die Initianten bewusst Schulbehörden diskreditieren, weil sie sonst keine stichhaltigen Argumente finden.»


Während der Recherche zu diesem Artikel meldete sich die PR-Agentur Stöhlker bei der Redaktion, um den Kontakt mit Komiteemitglied Wittenberg zu vermitteln. Die Initianten würden sich von Stöhlker beraten lassen, bestätigt Wittenberg. «Jede Kampagne hat eine Beratung.» Welche Kosten Stöhlker verrechnet, verrät Wittenberg nicht.

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