Kinderturnen
in Dietikon ZH. Weil die Halle im oberen Stock des Gebäudes liegt, müssen die
Kindergärtler fünf Stufen hochsteigen. Alle rennen hinauf. Nur Martin* (5)
kommt kaum mit. «Er läuft wie ein Zweijähriger und zieht bei jeder Stufe ein
Bein nach», sagt Kindergärtnerin Céline Lamm (29).
Der
Bub ist kein Einzelfall. Immer mehr Kinder leiden unter grossen
Bewegungsdefiziten. Sie können kaum mehr Treppen steigen, keinen Hampelmann
machen – und nicht mal einen Purzelbaum schlagen. Auch Velofahren, auf
einer Mauer balancieren oder einen Ball fangen ist für die Kleinsten eine
grosse Herausforderung.
Die Eltern haben zu viel Angst
Schuld
ist die Angst der Eltern. Sie schränken die Bewegungsfreiheit ihrer Kinder
zunehmend ein. «Sie glauben, dass sie ihren Nachwuchs pausenlos beschützen
müssen. Dadurch lassen sie die Kinder kaum mehr selbständig spielen und ihre
Erfahrungen machen», sagt Lamm.
Ein
Beispiel sei der Spielplatz. «Weil viele Eltern Risiko und Gefahr nicht mehr
auseinanderhalten können, bekommen sie schon Angst, wenn ihr Spross alleine auf
der Schaukel sitzt.» BLICK hat bei Eltern nachgefragt – und erstaunlich
selbstkritische Antworten bekommen.
Ruth
Fritschi, die oberste Kindergärtnerin vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer
Schweiz, appelliert an die Erziehungsberechtigten: «Die Eltern sollen wieder
mutiger werden und ihren Kindern Gelegenheit geben, sich selber herauszufordern.
Mit einer übergrossen Angst behindern sie die Entwicklung ihrer Sprösslinge.»
Kinder sollen sich vermehrt wieder frei bewegen dürfen
Auch
Dominique Högger, Dozent an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, ist
besorgt: «Wenn den Kindern die Basiskompetenzen fehlen, hat dies ernsthafte
Konsequenzen.» Neben der fehlenden Motorik haben Kinder oft auch Probleme mit
dem räumlichen Sehen.
«Kinder
müssen das Sehen aus dem Augenwinkel oder auch die Einschätzung von Distanzen
und Geschwindigkeiten erst erlernen. Das ist im Strassenverkehr von grosser
Bedeutung.» Solche Fähigkeiten erlangt das Kind am besten, wenn es sich frei
bewegen und spielen kann.
Sitzt
es vorwiegend vor dem Fernseher, wird sein Auge aber nur einseitig geschult.
Ein weiterer Punkt ist die Auge-Hand-Koordination, welche Kinder etwa
durch das Spielen mit Bauklötzli erlernen. Auch hier beobachten die Lehrer
teils grosse Defizite. «Kinder, die in ihrem Spiel wenig Gelegenheit haben, das
Zusammenspiel von Auge und Hand zu üben, haben später in der Schule oft Mühe
mit dem Schreiben», sagt Högger.
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