In wenigen Wochen veröffentlicht die OECD die Resultate der
Pisa-Studie 2015. Der Schwerpunkt der alle drei Jahre stattfindenden Tests mit
15-jährigen Schülern aus 72 Ländern liegt dieses Jahr auf den Kenntnissen in
Naturwissenschaften, Lesen, Mathematik sowie den Fähigkeiten der Schüler im
Bereich der Finanzen. Die Pisa-Tests sind immer auch ein Prüfstein für die
Lernmethoden in den von Reformen gebeutelten Schulstuben. Doch allzu oft
herrschen ideologische Vorstellungen darüber vor, wie Schüler am besten lernen,
die keine wissenschaftliche Basis haben.
Der neuseeländische Erziehungswissenschaftler John Hattie hat in der
bisher umfangreichsten und viel zitierten Arbeit über 800 Meta-Analysen von
insgesamt 50'000 Studien ausgewertet, welche die Wirksamkeit von Massnahmen im
Bereich der Schule testeten. Darin sind die Resultate von über 200 Millionen
Schülern weltweit eingeflossen. Sein epochales Buch «Visible Learning» wurde
2009 veröffentlicht, 2013 ist es unter dem Titel «Lernen sichtbar machen»
erschienen. Dabei konnte Hattie zum Beispiel zeigen, dass die
Lehrer-Schüler-Beziehung oder ein gutes Feedback der Lehrer entscheidende
Erfolgsfaktoren sind. Andererseits wurden auch Methoden als Mythen ohne
wissenschaftliche Grundlage entlarvt. Wir präsentieren fünf populäre Mythen,
die nichts bringen:
1. Selber entdecken macht Schüler
besser
Die Idee, dass Kinder am besten lernen, was sie selber entdecken und
erfahren, ist weitverbreitet. In der Pädagogik spricht man auch von minimal
angeleitetem Lernen, experimentellem Unterricht, entdeckendem Lernen und
anderen Konzepten.
Forscher um den niederländischen Erziehungswissenschaftler Paul
Kirschner konnten in einer umfassenden Arbeit 2006 jedoch zeigen, dass ein
experimenteller Unterricht, in dem die Lehrer nur minimale Anleitungen gaben,
nahezu ohne Wirkung bleibt. Dies gelte vor allem für Schüler der Unter- bis
Mittelstufe, schreiben die Forscher. Bei Schülern mit beträchtlichem Vorwissen
sei das angeleitete Lernen zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar leicht im
Vorteil.
Die Übersichtsstudie von John Hattie zeigte, dass Schüler von Lehrern,
die aktiv unterrichten, im Durchschnitt dreimal bessere Leistungen erbringen,
als wenn die Lehrer nur die Lernumgebung optimal gestalten.
2. Selbstbestimmtes
Lernen ist förderlich
Eine weitere
weitverbreitete Vorstellung ist, dass ein selbstbestimmter Unterricht
effektiver ist. Dabei sollen die Schüler das lernen, was sie gerade
interessiert, weil sie solche Stoffe angeblich besser aufnehmen können.
Eine Meta-Analyse,
die 2008 von amerikanischen Forschern um Richard Niemic durchgeführt wurde,
ergab jedoch keinen Effekt auf die Leistung der Schüler, wenn sie in einem
computerunterstützten Unterricht das Thema selber auswählen konnten. Auch John
Hattie konnte zeigen, dass ein gelenkter und fordernder Unterricht bezogen auf
die Leistungen der Schüler effektiver ist als eine ungelenkte und erleichternde
Lehrweise.
Interessanterweise
zeigte sich jedoch ein kleiner, aber positiver Effekt, wenn die Schüler
triviale Dinge wie zum Beispiel die Farbe des Kugelschreibers selber auswählen
konnten.
3. Auf den Lerntyp
Rücksicht nehmen
Nicht alle Menschen
lernen auf gleiche Art und Weise. Eine beliebte Hypothese aus der
Lernpsychologie unterscheidet zwischen den visuellen, auditiven und
kinästhetischen Lerntypen. Während die einen sich die Dinge besser über
visuelle Reize einprägen können, lernen andere über das Ohr und wiederum andere
brauchen dazu Bewegung. An manchen Schulen geistert deshalb die Idee herum,
dass sich die Lehrer diesen Lerntypen anpassen sollten, um einen guten
Lernerfolg zu erreichen.
Erkenntnisse aus
der Forschung zeigen jedoch, dass eine Anpassung an den Lerntyp keine Vorteile
bringt. Verschiedene Forscher, so auch der englische Erziehungswissenschaftler
Frank Coffield, stellen das Konzept aus methodischen Gründen sogar gänzlich infrage
und haben gezeigt, dass die Effekte eines darauf angepassten Unterrichts
vernachlässigbar sind.
4. Repetieren
hilft, überspringen bringt nichts
Wenn ein Kind mit
dem Schulstoff nicht mehr nachkommt oder wenn es entwicklungsmässig noch nicht
so weit ist, wird es oft eine Klasse zurückversetzt. Das Kind soll so mehr Zeit
bekommen, um den Schulstoff stressfrei zu erwerben oder um die Schulreife erst
noch entwickeln zu können.
Die Forschung zeigt
jedoch, dass eine Rückversetzung im Allgemeinen wenig hilft, wie eine
Meta-Analyse von Jan Hughes gezeigt hat. Die Leistung eines
rückversetzten Kindes ist nicht besser, als wenn es nicht
rückversetzt worden wäre. Hughes fand aber auch keine signifikant nachteiligen
Effekte einer Rückversetzung. Bei der Analyse der einzelnen Fälle und der
betroffenen Schulen zeigte sich jedoch, dass die rückversetzten Kinder kaum je
durch zusätzliche Massnahmen unterstützt werden.
Auf der anderen
Seite des Spektrums können hochbegabte Kinder zuweilen eine Klasse
überspringen. Im Gegensatz zum Repetieren zeigte sich diese Massnahme jedoch
als sehr effektiv. Verschiedene Studien zeigen, dass überspringende Kinder fast
denselben Level wie die besten Kinder der neuen Klasse erreichen. Zudem haben
hochbegabte Kinder, die man nicht überspringen lässt, mehr soziale Probleme.
5. Zu viel Zucker macht hyperaktiv
Viele Eltern und Lehrer glauben, dass die Ernährung einen wichtigen
Einfluss auf das Verhalten der Schüler hat. So herrscht die Meinung vor, dass
Zucker Hyperaktivität auslöst und dementsprechend zu einem störenden Verhalten
der Schüler führt. Auch Nahrungsmittelzusätze sollen denselben Effekt haben.
Jedoch fand eine Meta-Analyse von 16 doppelblinden und
placebokontrollierten Studien, welche amerikanische Forscher 1995
veröffentlichten, dass Zucker keinen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten
der Kinder hatte. Auch John Hattie fand in seiner Auswertung keinen oder nur
einen kleinen Effekt der Diät. Wenn trotzdem ein auffälliges Verhalten
vorliegt, liegt dies daran, dass die Eltern (oder die Kinder selbst) daran
glauben, dass Zucker hyperaktiv macht, weil dies ihnen immer wieder gepredigt
wird.
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