Mit der lancierten kantonal-zürcherischen Initiative
"Mehr Qualität - eine Fremdsprache
an der Primarschule" wird ein akutes Problem im Zusammenhang mit den
unzähligen propagierten Reformen unserer Volksschule angesprochen. Als Grossmutter zwei- bis dreisprachiger
Enkel und langjährige Auslandschweizerin mit direkter Erfahrung (USA) als
Mutter fremdsprachiger, schulpflichtiger Kinder, kam ich persönlich mit den
Problemen des Sprachenlernens in Berührung.
Eine Diskussion mit meiner seit einigen Jahren in der Schweiz
ansässigen, portugiesisch-stämmigen Hilfskraft mit einem Kind im zweiten
Kindergartenjahr, liess mich aufhorchen.
Woher stammt eigentlich die Erfahrung all unserer Schultheoretiker und
Politiker, die meist immer am gleichen Ort sitzengeblieben sind, um ihre
Karrierechancen nicht zu gefährden, sich aber heute fachmännisch und
befehlshaberisch über die Entwicklung unseres schweizerischen Bildungswesen äussern
und vor allem über dessen neue Formen entscheiden wollen?
Zwei Fremdsprachen für die Primarschule? Einige Gesprächsnotizen, Erfahrungen und Gedanken, 15.11. 2015, von Effi Huber-Buser
Die Diskussion mit meiner Portugiesin war ein
Augenöffner, mit was für Fragen und Problemen sich tausende unserer
Immigrantenfamilien herumschlagen müssen.
Die betreffende Mutter lernt Deutsch seit ihrer Ankunft in der Schweiz,
vorwiegend in selbst-finanzierten Kursen, sie ist ja nicht Asylantin, da wird
nichts bezahlt von den Sozialämtern. Die
Erfolge dieser Kurse sind (das wurde auch von unserer französisch sprechenden
Schwiegertochter schon vor Jahren beanstandet) sehr mangelhaft. Es hat zuviele Teilnehmer, denen alles
bezahlt wird und wo das Interesse am Lernen nicht gross ist. Diese verzögern das Lerntempo und stören oft
im Unterricht. Frau M. macht sich Sorgen,
wie soll ihr Kind in der Schule das Hochdeutsch lernen? Sie fühlt sich nicht kompetent genug, um ihm
zu helfen und vor allem scheinen beide verwirrt zu sein, was ist Dialekt und
wird im Umfeld gesprochen und was ist die Schriftsprache, die aber eben in der
Schule dann auch gesprochen wird. Was
heute bei allen Diskussionen vergessen geht, Schweizer Dialekt und
Schrifthochdeutsch haben nicht nur ein verschiedenes Vokabular, sondern auch
eine verschiedene Grammatik. Zur
Illustration ein Beispiel: "Wo's agfange
het rägne, simmer hei gschprunge."
- "Als es zu regnen anfing,
rannten wir nach Hause". Für
Zuzüger sind dies zwei verschiedene Fremdsprachen. Zuhause möchte die Familie aus verschiedenen
Gründen Portugiesisch als Sprache beibehalten. Das Kind muss also bereits zu Beginn der
Schulzeit unter nicht sehr günstigen Bedingungen neben seiner Muttersprache
zwei Fremdsprachen erlernen.
Deutsch ist keine einfache Sprache, dh. man muss, um
eine sichere Grundlage zu bilden, einen recht intensiven Sprachunterricht
betreiben. Leider wird dies mit dem
neuen Lehrplan21 nicht gewährleistet.
Nun fordert man laut Harmos zusätzlich in den ersten paar Schuljahren
die Einführung von zwei weiteren Fremdsprachen, meist Französisch und
Englisch. Für sprachlich nicht aussergewöhnlich
begabte Kinder eine unerhörte Belastung.
Wie die Träger der Initiative in ihrem Argumentarium auch richtig
feststellen, sind die Anzahl der Stunden für diesen Fremdsprachenunterricht
viel zu knapp bemessen, um ein vernünftiges Lernziel zu erreichen.
Bei unsern mehrsprachigen Enkeln wirkte die von den
Schulen propagierte Methode verheerend, man solle die korrekte Orthographie zu
Beginn des schriftlichen Sprachunterrichts vergessen, die Kinder sollen kreativ
nach ihrem Gehör schreiben lernen. Die Rechtschreibung
muss dann auf der Mittelstufe neu erlernt werden, was wohl vielen Eltern nicht
bewusst ist. Wenn man nicht auf eine
sehr korrekte, wohl artikulierte
Aussprache drängt, was ganz klar nicht geschehen ist, gewöhnen sich auch
begabte Kinder an eine stark von Fehlern geprägte Orthographie. Eine vorher tolerierte Schludrigkeit ist oft
schwierig rückgängig zu machen und wirkt sich auch auf die andern Sprachen
aus. Einer unserer Enkel überlebte die
gymnasiale Probezeit nicht. Im
mündlichen Unterricht, Französisch und Englisch, sei er natürlich weit
überlegen, aber es würde eben nur das Schriftliche beurteilt und da mache er
zuviele orthographische Fehler. Der
Kommentar des Schülers, er würde ein solches Schul-Französisch, wie es dort unterrichtet
wurde, ohnehin nie anwenden.
Sein jüngerer Bruder stolperte gleich an der Prüfung wegen
zu vieler Fehler im Deutsch-Aufsatz.
Dies war ein Kind, das sehr viel las und das wir eigentlich eher als
sprachorientiert einstufen. Hätte man
bei ihm von Beginn an auf korrekte Grammatik und Orthographie gedrängt, wäre er
wohl im Gymnasium ohne Schwierigkeiten durchgekommen. Es wird aber den Eltern eingetrichtert, dass
sie bitte Schreibfehler der Kinder nicht beanstanden sollen. Vor allem verunsicherte Eltern ausländischer
Herkunft glauben dann, dass sie solche Anordnungen einhalten müssen. Solche Lernmethoden sind für einen
effizienten Sprachunterricht nicht sehr fördernd.
Im Lehrplan21 wird ein wunderbares Bildungsziel für
den Sprachunterricht vorgestellt. Leider
existiert es nur auf dem Papier, die notwendige Zeit zur Umsetzung ist nicht vorhanden. Schon gar nicht für Kinder, die erst
sämtliche Schul-Sprachen neu erlernen müssen.
Was für ein Ziel will man eigentlich erreichen beim Englisch- und
Französisch Unterricht in der Primarschule? Eine Produktion schlecht ausgebildeter
Übersetzer, oder dass die Schüler sich im täglichen Leben in diesen Sprachen
verständigen und imstande sind eine englische oder französische Zeitung zu
lesen, einen fehlerfreien Brief zu schreiben?
Glauben die Propagisten des frühen Fremdsprachen-Unterrichts wirklich,
dass auf Vorrat gelernte Sprachen immer sofort wieder aktiviert werden
können? Ein nicht gebrauchter Wortschatz
geht verloren. Alle diejenigen, die
unser historisch gewachsenes Wissen, als altmodisch und zum Vergessen verdammt,
verneinen, sollten sich vielleicht überlegen, wie es bei den Fremdsprachen
steht. Um konsequent bei
Konstruktivismus und Kompetenzen, den Grundlagen des Lehrplan21, zu bleiben,
müsste man doch den Kindern beibringen, wie man eine neue Sprache selbständig
in kurzer Zeit erlernen kann. Also
linguistische Kenntnisse vermitteln. Diese
Diskussion wurde in den USA in den sechziger Jahren bereits geführt und darauf
hingewiesen, dass dazu sehr gute Kenntnisse der eigenen Muttersprache und irgend einer Fremdsprache zur
Kontrastierung als Voraussetzung benötigt werden. Ein solches Bildungsziel ist natürlich auf
einer Volksschulstufe nicht möglich, da beisst sich der Hund in den eigenen
Schwanz. Das Ziel, weniger Fremdsprachen
dafür die erforderliche Basissprache (Deutsch) und eine richtig, ist somit
angezeigt. Ein früher Unterricht in
Englisch und Französisch auf Vorrat bringt nichts als eine unzumutbare
Belastung der Kinder.
Vor über vierzig Jahren hatte man als neuestes
Früh-Französich im Lehrplan der Primar-Schulen in Princeton NJ.
eingeführt. In den USA werden solche
Experimente durchgeführt und nach ein paar Jahren wird Bilanz gezogen. Unsere Söhne erlebten das Endstadium dieses
Experimentes, das ganz klar keine nennenswerten positiven Resultate gezeitigt
hatte und nach drei Jahren abgebrochen wurde, sehr zur Erleichterung aller
Beteiligten. Das Einzige, was bewiesen
ist, Kinder sind imstande akzentfrei andere Sprachen zu lernen. Bereits ab dem Teenager-Alter verlieren sie
diese Fähigkeit und die Herkunft, dh. der Akzent der Muttersprache schlägt
durch. Das ist eigentlich der einzige
Grund zugunsten einer frühen Einführung.
Aber die Fähigkeit der Tongestaltung und der Sprechtechnik könnte zB.
über die Musik (Gesangunterricht) wohl ebensogut gefördert werden. Wenn wie heute angestrebt, Lehrer mit einem
schweizerischen Akzent die Sprache unterrichten sollen, erreicht man in dieser
Beziehung gar nichts.
Als Auslandschweizer ist man konfrontiert mit dem
Dilemma, was spricht man als Schweizer mit seinen Kindern im Ausland? Hochdeutsch, um eine weiter verbreitete
Sprache zu vermitteln, Schweizerdeutsch, um die Verbundenheit zum Herkunftsland
zu erhalten, oder gleicht man sich der Umgebung an mit dem Resultat, dass die
Kinder sich rascher einleben, aber dafür ewig mit ihrem schweizerischen Akzent
im Englischen daherkommen? Wir einigten
uns als Eltern auf striktes Schweizerdeutsch.
Unser Akzent im Englischen, den wir nie wegbekamen, ärgerte uns
genügend. Das Hochdeutsch der Kinder hielten
wir mit Briefen oder Erlebnis-Beschreibungen für die Grosseltern aufrecht.
Dieses Dilemma müssen hier auch alle unsere
Immigranten irgendwie lösen. Ist die
zusätzliche Belastung mit zwei weiteren Fremdsprachen wirklich erstrebenswert? Sollten wir nicht die dafür verordneten
Stunden für gründliche, strukturierte und wohl-fundierte Deutschkenntnisse
verwenden? Dies zum Wohle aller Schüler?
Man verkauft uns heute für unsere "modernen"
Schulen der Zukunft selbst-orientiertes Lernen und individuelle Betreuung. Weshalb müssen dann alle Kinder ums der Teufel
Englisch und Französisch lernen und kann man diesen unseligen Sprachenstreit
nicht in der Form von Wahlfächern lösen, wobei Schüler für den Übertritt in
eine bestimmte Oberstufe mindestens eine Fremdsprache vorweisen müssen? Sprachlabors und Computer-gestütztes Lernen
lassen sich gerade auf diesem Gebiet vielfältig verwenden.
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