Zwei Mütter in einer
S-Bahn: «Mein Sohn muss alle Schweizer Flüsse auswendig lernen. Das ist völlig
übertrieben. Man kann ja jeden Flussnamen im Internet nachschauen.» Ihre
Sitznachbarin nickt eifrig und doppelt nach: «Mein Sohn muss massenhaft
Französisch- und Englisch-Vokabular lernen – ein völliger Blödsinn. Er könnte
ja jedes Wort auf dem Handy übersetzen.» Solche Ansichten sind keine
Einzelfälle. Eltern und Schüler machen zunehmend Stimmung gegen das Pauken von
Wissen.
«Eltern und Lernende
fragen sich wegen Smartphones und Tablets häufiger, ob es sich lohnt, dieses
oder jenes auswendig zu lernen», sagt Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogik beim
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Vor allem in Schulen, die noch viel
Wert darauf legen, sei der Widerstand gross.
Mit
iPad an Prüfung
Laut
Brühlmann geht es meist um lexikalisches Wissen wie geschichtliche,
geografische Daten, Vokabeln sowie mathematische und chemische Formeln. «Dann
fragen manche Schüler, ob sie nicht das iPad an die Prüfung mitnehmen dürfen,
weil sie solche Fakten im Internet mit einem Klick nachschauen können.» Ähnlich
verhalte es sich mit Rechtschreibregeln. «Wegen der Korrekturprogramme sehen
sie oft keinen Sinn, sich die neue Rechtschreibung anzueignen.»
Christian
Amsler, Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, stellt
fest: «Die Schere geht immer weiter auseinander zwischen Schülern und Eltern,
die finden, man müsse gar nichts mehr auswendig lernen, und solchen, die
schulischen Drill mit viel Kopfwissen im Sinne der ‹guten alten Zeiten›
fordern.» Vor allem Schüler, die Wissen schnell aufsaugten, fänden es unnötig,
Formeln und Fakten zu büffeln. «Die Lehrer müssen Schülern und Eltern immer
wieder klarmachen, dass Lernen auch eine Fleissarbeit ist.»
«Sich
mit Bergnamen aufspielen»
Die
Schule hat ihre Anforderungen den digitalen Technologien angepasst. In fünf
Jahren habe die Mehrheit der Schüler ein iPad auf den Knien, sagt Brühlmann.
«Wir erwarten nicht mehr, dass sie sich detailliertes Faktenwissen aneignen.»
Jedes Kind habe ein Handy-Abo mit Internetzugang. Es reiche, wenn ein Schüler
wisse, in welchem Abschnitt des 20. Jahrhunderts der Zweite Weltkrieg
stattgefunden habe, und dass er oft gebrauchte Wörter einer Fremdsprache intus
habe.
Der
Schulstoff werde dadurch anspruchsvoller. «Die Schüler müssen vermehrt
Zusammenhänge herstellen können und können nicht mehr mit Auswendiglernen eine
6 schreiben.» Es sei erwiesen, dass Faktenwissen keinen grossen Wert habe. «Wer
die Namen aller Schweizer Berge kennt, kann sich vor anderen höchstens etwas
aufspielen.»
Verwirrendes
Springen von Link zu Link
Laut
Ricarda T.D. Reimer, Leiterin der Fachstelle Digitales Lernen und Lernen in der
Hochschule an der Pädagogischen Hochschule FHNW, reicht es in keinem Fall aus,
«einfach» Wissen im Internet abzurufen. «Beim Springen von einem Hyperlink zum
nächsten weiss man am Ende oft gar nicht mehr, womit man sich befassen wollte.»
Um Zusammenhänge zu begreifen, sollte man sich manche Daten gezielt einprägen.
Da jeder Mensch im Internet etwas veröffentlichen könne, sei es umso wichtiger,
Quellen einordnen und bewerten zu können.
Eine
Schule ohne Pauken kommt auch für die Schulvertreter nicht infrage. Amsler:
«Für viele Schüler ist es sehr motivierend, wenn sie an Tests eingeprägte
Fakten wiedergeben können.» Laut Brühlmann ist Auswendiglernen auch ein
Gehirn-Training. «Sonst können wir uns irgendwann überhaupt nichts mehr
merken.»
Wenn Herr Brühlmann wirklich meint, was im Artikel geschrieben steht (Es sei erwiesen, dass Faktenwissen keinen grossen Wert habe. «Wer die Namen aller Schweizer Berge kennt, kann sich vor anderen höchstens etwas aufspielen.»), dann hat der pädagogische Leiter des LCH wirklich ein Problem. Wer hat denn die Wertverminderung des Faktenwissens bewiesen? Das würde mich schon noch interessieren.
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