4. Oktober 2016

Lehrer begrüssen Bundeslösung im Sprachenstreit

Die Entmachtung der Kantone im Zuge des Sprachenstreits rückt näher: Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) und der Syndicat des enseignants romands (SER) treten für einen landesweiten obligatorischen Unterricht einer zweiten Landessprache spätestens ab der sechsten Klasse ein. Die Lehrerinnen und Lehrer stellen sich damit gegen die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), die eine Bundeslösung ablehnt, und unterstützen den Bundesrat. Die vom Bundesrat in Aussicht gestellte Revision des Sprachengesetzes befindet sich noch bis Mitte Oktober in der Vernehmlassung.
Der LCH will eine Bundeslösung, Bild: Keystone
Für ein Machtwort im Sprachenstreit, Basler Zeitung, 4.10. von Thomas Dähler
Die Lehrer-Dachverbände bevorzugen dabei diejenige Variante, die den geringsten Eingriff in die Bildungssouveränität der Kantone vorsieht. Diese Variante will die Stellung der Landessprachen sichern, indem die Kantone den Unterricht in einer zweiten Landessprache schon in der Primarschule beginnen und ihn bis zum Abschluss der Sekundarschule weiterführen müssen. Der Bundesrat würde mit der Bundesregelung von der in der Verfassung verankerten Möglichkeit Gebrauch machen, eine Bundeslösung zu treffen, wenn sich die Kantone nicht einigen können.
Elf Kantone ohne Harmos
Die vom Bundesrat vorgeschlagene und von den Lehrerverbänden unterstützte Bundeslösung ist die Antwort auf das Debakel der Kantone, die sich auf freiwilliger Basis nicht auf eine einheitliche Lösung in der ganzen Schweiz einigen konnten. Begonnen hat das Verhängnis mit der Einführung von Früh­englisch in den zweiten Klassen des Kantons Zürich. Im Harmos-Konkordat einigten sich schliesslich die beteiligten Kantone in der Frage darauf, eine erste Fremdsprache ab der dritten und eine zweite ab der fünften Klasse zu unterrichten, wobei es sich bei einer der beiden Fremdsprachen um eine Landessprache handeln muss. Bis heute sind jedoch elf Deutschschweizer Kantone dem Harmos-Konkordat nicht beigetreten.

Der Frühfremdsprachen-Unterricht war bei dessen Einführung vor allem mit pädagogischen Argumenten vorangetrieben worden. Heute hat sich allerdings herausgestellt, dass das frühe Erlernen von zwei Fremdsprachen auf der Primarschulstufe weniger erfolgreich ist als vorausgesagt. Die Erfolge scheitern namentlich an der geringen Anzahl Sprachstunden und der Unmöglichkeit, die Fremdsprachen auch in anderen Fächern zu verwenden. In mehreren Kantonen sollen in den nächsten Jahren neue Studien die Erfolge und Misserfolge der neuen ­Praxis dokumentieren.

Heute praktizieren vier Kantone eine Fremdsprachenregelung in ihren Schulen, die nicht derjenigen des Harmos-Konkordats entspricht. Einfluss auf die nun vorgeschlagene Bundeslösung hatte der Entscheid des Kantons Thurgau, als weiterer Kanton von der Regelung abzuweichen und den Französischunterricht auf die Sekundarschule zu verschieben. Dasselbe könnte in den Kantonen Zürich und Luzern geschehen, wenn das Volk bei den bevorstehenden Abstimmungen einer jeweiligen kantonalen Initiative zu­stimmt. Setzt sich die vom Bundesrat und den Lehrerverbänden bevorzugte Lösung durch, wären Thurgau, Zürich und Luzern in jedem Fall gezwungen, den Französischunterricht auf der Primarschulstufe beizubehalten. Appenzell Innerrhoden und Uri müssten den obligatorischen Französischunterricht um mindestens ein Jahr vorziehen. Der Kanton Aargau, der heute in der sechsten Klasse damit beginnt, müsste Französisch auch auf der Sekundarstufe obligatorisch erklären. Keine Probleme hätte, wer erst in der Sekundarschule Englisch unterrichtet (Tessin) oder statt auf Französisch oder Deutsch auf Italienisch und Romanisch setzt (Graubünden). Die Kantone der Romandie beginnen alle heute schon mit Deutsch in der dritten Klasse.
Referendum unwahrscheinlich
Die Dachverbände der Lehrerinnen und Lehrer begründen ihre Unterstützung für die auch von Bundesrat Alain Berset bevorzugte Lösung damit, dass diese den Nicht-Harmos-Kantonen mehr Flexibilität ermöglicht. Sie könne als Kompromissvorschlag eine Brücke zwischen den beiden Lagern schlagen, argumentieren die Verbände. Beat Zemp, Zentralpräsident des LCH, sagte der BaZ gestern, dass der Entscheid beim LCH mit grosser Mehrheit gefallen sei: «Es gab lediglich vier Gegenstimmen aus der Deutschschweiz.» Anders als die EDK glaubt der LCH nicht, dass eine Bundeslösung zu einer nationalen Zerreissprobe führen muss. «Wir haben uns mit dieser Frage auch befasst, sind aber zu einem anderen Schluss gekommen als die EDK», meint Zemp. Der Verband habe alle Parteien konsultiert. Die vorgeschlagene Variante sei Harmos­-kompatibel und könne von allen Parteien akzeptiert werden, auch von der SVP. Zemp: «Wir schätzen das Risiko gering ein, dass eine Partei das Referendum gegen die vom Bundesrat favorisierte Variante ergreift.»

Zemp meint weiter, es sei illusorisch, zu glauben, dass beim Harmos-­Konkordat die Zahl von 18 Kantonen erreicht werde, die es brauche, um das Konkordat allgemeinverbindlich zu erklären. Der Kompromissvorschlag mit Französisch ab der sechsten Klasse für Nicht-Harmos-Kantone habe zudem den Vorteil, dass die zweite Landessprache in der Primarschule mit mehr Wochenlektionen begonnen werden könnte. Auf der Sekundarstufe schliesslich würde mit dieser Lösung die Sprachlastigkeit vermieden.


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