Die Entmachtung der Kantone im Zuge des
Sprachenstreits rückt näher: Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz
(LCH) und der Syndicat des enseignants romands (SER) treten für einen
landesweiten obligatorischen Unterricht einer zweiten Landessprache spätestens
ab der sechsten Klasse ein. Die Lehrerinnen und Lehrer stellen sich damit gegen
die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), die
eine Bundeslösung ablehnt, und unterstützen den Bundesrat. Die vom Bundesrat in
Aussicht gestellte Revision des Sprachengesetzes befindet sich noch bis Mitte
Oktober in der Vernehmlassung.
Der LCH will eine Bundeslösung, Bild: Keystone
Für ein Machtwort im Sprachenstreit, Basler Zeitung, 4.10. von Thomas Dähler
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Die Lehrer-Dachverbände bevorzugen dabei diejenige Variante, die
den geringsten Eingriff in die Bildungssouveränität der Kantone vorsieht. Diese
Variante will die Stellung der Landessprachen sichern, indem die Kantone den
Unterricht in einer zweiten Landessprache schon in der Primarschule beginnen
und ihn bis zum Abschluss der Sekundarschule weiterführen müssen. Der Bundesrat
würde mit der Bundesregelung von der in der Verfassung verankerten Möglichkeit
Gebrauch machen, eine Bundeslösung zu treffen, wenn sich die Kantone nicht
einigen können.
Elf
Kantone ohne Harmos
Die vom Bundesrat vorgeschlagene und von den Lehrerverbänden
unterstützte Bundeslösung ist die Antwort auf das Debakel der Kantone, die sich
auf freiwilliger Basis nicht auf eine einheitliche Lösung in der ganzen Schweiz
einigen konnten. Begonnen hat das Verhängnis mit der Einführung von Frühenglisch
in den zweiten Klassen des Kantons Zürich. Im Harmos-Konkordat einigten sich
schliesslich die beteiligten Kantone in der Frage darauf, eine erste
Fremdsprache ab der dritten und eine zweite ab der fünften Klasse zu
unterrichten, wobei es sich bei einer der beiden Fremdsprachen um eine
Landessprache handeln muss. Bis heute sind jedoch elf Deutschschweizer Kantone
dem Harmos-Konkordat nicht beigetreten.
Der Frühfremdsprachen-Unterricht war bei dessen Einführung vor
allem mit pädagogischen Argumenten vorangetrieben worden. Heute hat sich
allerdings herausgestellt, dass das frühe Erlernen von zwei Fremdsprachen auf
der Primarschulstufe weniger erfolgreich ist als vorausgesagt. Die Erfolge
scheitern namentlich an der geringen Anzahl Sprachstunden und der
Unmöglichkeit, die Fremdsprachen auch in anderen Fächern zu verwenden. In
mehreren Kantonen sollen in den nächsten Jahren neue Studien die Erfolge und
Misserfolge der neuen Praxis dokumentieren.
Heute praktizieren vier Kantone eine Fremdsprachenregelung in
ihren Schulen, die nicht derjenigen des Harmos-Konkordats entspricht. Einfluss
auf die nun vorgeschlagene Bundeslösung hatte der Entscheid des Kantons
Thurgau, als weiterer Kanton von der Regelung abzuweichen und den
Französischunterricht auf die Sekundarschule zu verschieben. Dasselbe könnte in
den Kantonen Zürich und Luzern geschehen, wenn das Volk bei den bevorstehenden
Abstimmungen einer jeweiligen kantonalen Initiative zustimmt. Setzt sich die
vom Bundesrat und den Lehrerverbänden bevorzugte Lösung durch, wären Thurgau,
Zürich und Luzern in jedem Fall gezwungen, den Französischunterricht auf der
Primarschulstufe beizubehalten. Appenzell Innerrhoden und Uri müssten den
obligatorischen Französischunterricht um mindestens ein Jahr vorziehen. Der
Kanton Aargau, der heute in der sechsten Klasse damit beginnt, müsste
Französisch auch auf der Sekundarstufe obligatorisch erklären. Keine Probleme
hätte, wer erst in der Sekundarschule Englisch unterrichtet (Tessin) oder statt
auf Französisch oder Deutsch auf Italienisch und Romanisch setzt (Graubünden).
Die Kantone der Romandie beginnen alle heute schon mit Deutsch in der dritten
Klasse.
Referendum
unwahrscheinlich
Die Dachverbände der Lehrerinnen und Lehrer begründen ihre
Unterstützung für die auch von Bundesrat Alain Berset bevorzugte Lösung damit,
dass diese den Nicht-Harmos-Kantonen mehr Flexibilität ermöglicht. Sie könne
als Kompromissvorschlag eine Brücke zwischen den beiden Lagern schlagen,
argumentieren die Verbände. Beat Zemp, Zentralpräsident des LCH, sagte der BaZ
gestern, dass der Entscheid beim LCH mit grosser Mehrheit gefallen sei: «Es gab
lediglich vier Gegenstimmen aus der Deutschschweiz.» Anders als die EDK glaubt
der LCH nicht, dass eine Bundeslösung zu einer nationalen Zerreissprobe führen
muss. «Wir haben uns mit dieser Frage auch befasst, sind aber zu einem anderen
Schluss gekommen als die EDK», meint Zemp. Der Verband habe alle Parteien
konsultiert. Die vorgeschlagene Variante sei Harmos-kompatibel und könne von
allen Parteien akzeptiert werden, auch von der SVP. Zemp: «Wir schätzen das
Risiko gering ein, dass eine Partei das Referendum gegen die vom Bundesrat
favorisierte Variante ergreift.»
Zemp meint weiter, es sei illusorisch, zu glauben, dass beim
Harmos-Konkordat die Zahl von 18 Kantonen erreicht werde, die es brauche, um
das Konkordat allgemeinverbindlich zu erklären. Der Kompromissvorschlag mit
Französisch ab der sechsten Klasse für Nicht-Harmos-Kantone habe zudem den
Vorteil, dass die zweite Landessprache in der Primarschule mit mehr
Wochenlektionen begonnen werden könnte. Auf der Sekundarstufe schliesslich
würde mit dieser Lösung die Sprachlastigkeit vermieden.
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