Die lateinischsprachigen Kantone haben genug vom Sprachenstreit.
Notfalls soll der Bund einschreiten, fordern die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf
und Jura. Die grosse Mehrheit der Deutschschweizer Kantone will davon aber
nichts wissen. Entsprechend gegensätzlich sind die Antworten in der
Vernehmlassung zum revidierten Sprachengesetz, die am Freitag abläuft.
Röstigraben im Sprachenstreit, NZZ, 11.10.
Bildungsminister Alain Berset will darin festlegen, dass jedes Schulkind
in der Schweiz bereits in der Primarschule eine zweite Landessprache lernt.
Viele Deutschschweizer Kantone sehen ihre kantonale Schulhoheit durch eine
nationale Regelung gefährdet. Eine Bundesintervention sei «übereilt»,
«verfehlt», «unverhältnismässig» und «ein Bruch mit der föderalistischen
Tradition», heisst es in den Stellungnahmen, die der Nachrichtenagentur sda
vorliegen. Zudem sei die gemäss Bundesverfassung verlangte Harmonisierung
bereits weit fortgeschritten, betonen mehrere Vernehmlassungsteilnehmer.
Tatsächlich wird in 22 der 26 Kantone nach dem Modell 3/5 unterrichtet,
wonach eine erste Fremdsprache in der dritten, eine zweite in der fünften
Primarschule eingeführt wird. Eine der beiden Fremdsprachen muss eine
Landessprache sein.
Frühfranzösisch auf der Kippe
Allerdings steht in mehreren Kantonen das Frühfranzösisch auf der Kippe.
In Zürich, Luzern, St. Gallen, Graubünden und im Thurgau gibt es Bestrebungen,
eine Fremdsprache auf die Oberstufe zu verlegen. Einzelne Kantone wie Uri und
Appenzell Innerrhoden haben Frühfranzösisch erst gar nicht eingeführt und sehen
auch keinen Grund, daran etwas zu ändern. Der Stellenwert einer Landessprache
hänge in keiner Weise davon ab, ob bereits in der Primarstufe mit dem
Unterricht begonnen werde, schreibt der Kanton Uri in seiner Antwort.
Entscheidend sei die Qualität und die Intensität des Unterrichts und ob es
gelinge, bei den Schülerinnen und Schülern Freude am Lernen der entsprechenden
Fremdsprache zu wecken.
Gesamthaft elf Kantone aus der Deutschschweiz sprechen sich gegen eine
Intervention des Bundes aus. Die Stellungnahmen der Kantone St.Gallen, Schwyz,
Obwalden, Nidwalden und Appenzell Ausserrhoden standen noch aus.
Skepsis in der West- und Südschweiz
In der lateinischsprachigen Schweiz kommt diese Entwicklung nicht gut
an. Deutlich positiver wird deshalb ein Eingreifen des Bundes gewertet. Zwar
sehen auch die französischsprachigen Kantone und das Tessin vor allem die
Kantone in der Pflicht, eine einheitliche Lösung zu finden. Gelingt dies aber
nicht, könnte eine drohende Bundesintervention den Druck auf «abtrünnige»
Kantone erhöhen, so die Hoffnung. Die Kantone Waadt und Tessin fordern
explizit, der Bund soll genau definieren, innert welcher Frist und unter
welchen Umständen er eingreifen will. Bereits die Ankündigung eines
Bundeseingriffs könnte gewissen Kantonen dabei helfen, die Harmonisierung
entschiedener voranzubringen, schreibt die Tessiner Regierung.
Ob der Bundesrat den Kantonen noch mehr Zeit zugesteht, ist allerdings
offen. Bildungsminister Berset droht bereits seit zwei Jahren mit einem
Eingriff, sollten die Kantone nicht selbst zu einer gemeinsamen Lösung im
Sprachenstreit finden. Nicht tolerieren will Berset, dass Schweizer Schüler
erst in der Oberstufe eine zweite Landessprache lernen.
Passiert ist bei den Kantonen seither wenig bis nichts. Deshalb sprechen
sich die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf und Jura für eine Intervention des
Bundes aus. Die Kantone Luzern und Schaffhausen bevorzugen zwar eine
interkantonale Lösung, sollte eine Bundesregelung aber nötig werden, würden sie
die zweite Variante des Bundesrates favorisieren. Diese will die Lösung des
Harmos-Konkordats auf Gesetzesstufe verankern. Die beiden zweisprachigen
Kantone Freiburg und Wallis stellen die Autonomie der Kantone an erster Stelle
und lehnen ein Intervenieren des Bundesrates deshalb ab. Sie verteidigen jedoch
klar das Erlernen von zwei Fremdsprachen in der Primarschule.
Rückendeckung für den Bundesrat?
Unterstützung für eine Intervention erhält der Bundesrat von den
Lehrerverbänden. Nur noch eine Landessprache auf der Primarstufe zu
unterrichten, erachten sie als nicht zielführend. Die laufenden politischen
Vorstösse in einzelnen Kantonen könnten beim Unterrichtsstart in den
Landessprachen zu Differenzen von bis zu vier Schuljahren führen. Die Verbände
schätzen die Kosten für den Nachholunterricht, falls Kinder in einen anderen
Kantonen ziehen, auf bis zu neun Millionen Franken.
Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hingegen hatte
sich in einer ersten Stellungnahme skeptisch gegenüber einer Bundesregelung
gezeigt. Eine Intervention berge erhebliche Risiken. Eine nationale
Volksabstimmung könnte zu einer «nationalen Zerreissprobe» werden, warnte die
EDK. Die Wirtschaft hingegen stärkt dem Bund den Rücken. Der Schweizerische
Gewerbeverband (SGV) und der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV)
unterstützen das Harmos-Konkordat. Der Bildungsraum Schweiz müsse die
Durchlässigkeit und geografische Mobilität der
Leider fehlt der Schluss des Artikels. Die Printausgabe der NZZ vom 12.10. bringt nur einen verkürzten Artikel, weshalb ich den längeren online-Artikel trotz fehlendem Schluss vorgezogen habe.
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