10. Oktober 2016

Das lukrativste Geschäft der Schweiz

Sonderpädagogik sei das lukrativste Geschäft der Schweiz, sagt Sefika Garibovic, Autorin des Buches «Konsequent Grenzen setzen – Vom Umgang mit schwierigen Jugendlichen». Sie erzählt im Interview, wieso man die sechs Zuger Sonderschulen für Verhaltensauffällige schliessen soll und wieso Ritalinkinder die nächsten Verdingkinder sind.
Sefika Garibovic: Lehrer haben einen Lehrauftrag, keinen Erziehungsauftrag, Bild: zvg
"Ritalin macht Zehnjährige zu Junkies!", Zentralplus, 8.10. von Lionel Hausheer

Die Therapeutin Sefika Garibovic hat einen Erziehungsratgeber geschrieben, der innert weniger Tage auf Platz 10 der Schweizer Bestseller-Liste gelandet ist. Sie verachtet «Kuschelpädagogik», steht ein für konsequente Grenzen, konservative Werte und setzt sich mit Herzblut und Feuer für «ihre» Kinder ein. Damit stösst Sefika Garibovic auf grosses Echo: Zurzeit kriegt sie ungefähr tausend Mails pro Tag mit Medienanfragen, Gratulationen von Fachleuten und Rückmeldungen von Betroffenen.

Die «Kinder», die Sefika Garibovic aufnimmt, gelten als gescheitert, weil sie aus allen Therapien bereits rausgefallen sind. Die Nacherzieherin nimmt die Kinder und Jugendlichen trotzdem in ihrer Zuger Praxis auf. Ihre Erfolgsquote bringt ihr den Respekt von Behörden, Bevölkerung und Fachleuten ein. Was macht sie nur anders als alle anderen? 

Sefika Garibovic: Ich lehre den Kindern Moral. Ich bringe den Kindern bei, Respekt zu haben, vor sich selbst und anderen, und ich zeige ihnen, wie sie sich in Hierarchien zurechtfinden und Verantwortung übernehmen. Was ich verlange ist, dass alle Therapien abgebrochen werden und die Beziehung der Eltern zum Kind wieder aufgebaut wird. Alle Parteien müssen wieder an einen Tisch. Dafür bin ich 24 Stunden erreichbar für meine Kinder, die ganze Woche.

zentralplus: Was muss sich in der Beziehung zwischen Eltern und Kind ändern?
Garibovic: Kleinigkeiten! Beispielsweise, dass man sich während einem Gespräch in die Augen schaut, dass man weiss, wer Vater und Mutter ist, dass man wieder Rituale in der Familie hat. Dass sich Eltern und Kind wieder guten Abend und gute Nacht wünschen. Eltern müssen zurückkehren zu alten Werten und Normen.

zentralplus: Wieso haben Eltern keine Beziehung mehr zu ihren Kindern?
Garibovic: Weil sie die Kinder nie konfrontieren. Die Türe zu, besser gar nicht hinschauen. Wenn sie etwas wollen, dann gibt man es ihnen. Eltern leben mit ihren Kindern wie in einer WG. Die Tochter kriegt die Menstruation und keiner merkt es. „Prominente Fachleute“ sagen, Kinder müssen selber Entscheidungen treffen. Schauen Sie: Tiere machen es viel besser. Was passiert mit einem kleinen Elefäntchen, das nach der Geburt sich selbst überlassen wird? Es wird gefressen.

zentralplus: Was wäre denn die Analogie zum Mensch?
Garibovic: Heutzutage missbrauchen Eltern ihre Kinder im Minutentakt. Nicht sexuell oder mit Gewalt. Viel schlimmer. Sie achten das eigene Kind nicht, sie interessieren sich nicht. Die Eltern essen am Tisch und die Tochter isst aus einem Topf irgendwo in einem Zimmer. Und meine Klienten stammen nur aus der obersten Schicht.

zentralplus: Ach ja? Das erstaunt ...
Garibovic: Ja, meine Kinder kommen meist aus einem Elternhaus mit Geld. Gerade auch im Kanton Zug habe ich viele Fälle von Mädchen aus gutem Hause, die auf Privatschulen gehen. Dabei sind Mädchen meist noch hemmungsloser als Jungs. Sie verprügeln die Eltern, kiffen und trinken oder ritzen sich selbst, um mit dem Blut zu signalisieren: «Schau her, mir geht es schlecht.»

zentralplus: Wie arbeiten Sie mit solchen Kindern?
Garibovic: Mein Beruf ist meine Berufung. In diesem Bereich kann niemand arbeiten, wenn er oder sie nicht wirklich dazu berufen ist. Die Kinder merken, ob es einem wirklich ernst ist. Die spüren die Persönlichkeit, die vor ihnen sitzt, viel genauer.

zentralplus: Kinder brauchen also Persönlichkeiten, die Grenzen setzen, sagen Sie. Sind wir als Gesellschaft denn einfach verweichlicht?
Garibovic: Sind wir! Ganz Europa, die ganze Schweiz. Warum schliessen sich Schweizer dem IS an? Die ganze Schweiz weint: Ach, wir brauchen mehr Polizisten. Blödsinn! Die Jugendlichen gehen, weil sie sich inspiriert fühlen von diesen Typen. Die Jugendlichen haben das Gefühl, dies seien nun echte Männer mit Überzeugungen, die sie hier nicht finden. Das hat mit Religion nichts zu tun. Ich hatte ein paar Klienten, die dort waren.

zentralplus: Vertreten wir denn heute nicht einfach andere Werte, im Vergleich zu früher?
Garibovic: Nichts! Gar nichts! Egoismus pur! Egoismus im Quadrat. Meine Klienten lernen bei mir vor allem etwas über Moral, über Hierarchie, über Respekt. Meine Klienten haben alle einen IQ von 130, das glauben sie mir nicht! Aber ihre soziale Kompetenz: Null. Die sind nicht krank, die wurden nicht erzogen.

zentralplus: Sie sagen ja auch, dass die Schulklassen regelrecht nach therapierbaren Jugendlichen durchkämmt werden. Braucht es denn dieses Therapie-System überhaupt nicht?
Garibovic: Nein, das braucht es nicht! Man therapiert kerngesunde Kinder. Therapeuten suchen sich die Arbeit. Das ist das lukrativste Business in der Schweiz, ein wenig wie die Verdingkinder von früher: Man steckte sie in Heime, ohne dass sie verurteilt wurden. Alle meine Klienten wurden erst in diesen Heimen kriminell. Alkohol, Drogen, alles gibt es dort.

zentralplus: Wie ist das in Zug? Hier gibt es sechs Schulen, die Sonderpädagogik für verhaltensauffällige Kinder anbieten.
Garibovic: Die braucht es alle nicht, behaupte ich. Von 1000 Kindern brauchen vielleicht zwei diese Schulen wirklich.

zentralplus: Aber gibt’s nicht auch Kinder, die wirklich eine Therapie brauchen?
Garibovic: Natürlich gibt es Kinder, die ernsthafte psychische Probleme haben. Aber heutzutage hat sich eine Maschinerie aufgebaut, die jedes Kind, das ein wenig zu laut oder zu ruhig ist, gleich therapiert. Man gibt ihm Ritalin oder Concerta. Und wissen Sie, was das für Nebenwirkungen hat?

zentralplus: Welche?
Garibovic: Beispielsweise Wachstumsstörungen oder Verstopfung. Und irgendwann werden die Kinder resistent ...

zentralplus: Dann muss die Dosis demnach rauf?
Garibovic: Ja, dann erhöht man die Dosis und macht Zehnjährige zu Junkies. Damit raubt man dem Kind die Kindheit. Ich habe beispielsweise mit einem Dreizehnjährigen während vier Tagen einen Entzug gemacht.

zentralplus: Was passiert bei einem kalten Ritalinentzug genau?
Garibovic: Wutausbrüche, Depressionen, Ohnmachtsanfälle, Schweissausbrüche.

zentralplus: Aber was ist mit den Kindern, die wirklich verhaltensauffällig sind?
Garibovic: Nun hören Sie schon auf! Es gibt keine solche Diagnose! Man könnte auch sagen: Frau Garibovic hat ADHS. Schauen Sie, die chemische Industrie verkauft in diesem Jahr doppelt so viel Ritalin und Concerta wie letztes Jahr. Das ist einfach ein gutes Geschäft.

zentralplus: Wie sollen Lehrer denn handeln, wenn sie in ihrer Klasse von zwanzig Kindern eines haben, das aus dem Raster fällt?
Garibovic: Lehrer können nichts dafür. Man sagt, ich sei erfolgreich. Das stimmt nicht. Das ist eine innige Zusammenarbeit mit den Klassenlehrern der Schulen meiner Kinder.

zentralplus: Also: Eltern sind schuld, Lehrer aber nicht?
Garibovic: Lehrer haben einen Lehrauftrag, keinen Erziehungsauftrag. Zu einem gewissen Teil vielleicht schon, aber grundsätzlich nicht. Das Problem sind unsere Bildungsdirektoren.

zentralplus: Sie kritisieren gerade den Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss.
Garibovic: Nein, das ist ein Toller! Aber man müsste mehr die Eltern stärken in ihrer Rolle und die Schulen. Aber man schiebt die Kinder im Minutentakt zur Sonderabklärung. Und raubt ihnen damit ihre Kindheit.

Das Handy von Sefika Garibovic klingelt. Jemand ruft an und gratuliert. Er sagt, er wünschte, er hätte früher von ihr gewusst. «Ich bin schon Opfer des Systems», sagt der Anrufer, der Zug sei schon abgefahren. «Machen Sie bitte weiter und öffnen Sie den Leuten die Augen. Was passiert ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. Sie sind auf dem richtigen Weg. Ich bin auf Ihrer Seite.»


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