24. September 2016

"Nur die Ostschweiz hat sich für Englisch entschieden"

Auch der Berner Erziehungschef Bernhard Pulver ist gegen eine Bundesintervention bei den Fremdsprachen. Im Interview nimmt er Position fürs Französisch ein und sagt, nur die Ostschweiz habe sich für Englisch als erste Fremdsprache entschieden.
"Dann hätten wir eine verletzte Romandie", Bund, 22.9. von Liliane Manzanedo


Der Sprachenstreit geht weiter: Dieses Mal drohte der Bundesrat nicht nur mit einer Änderung des Sprachengesetzes. Er lieferte gleich drei konkrete Änderungsvorschläge, die die Stellung einer zweiten Landessprache im Primarschulunterricht schweizweit festlegen sollen. Ausgerechnet der zweisprachige Kanton Bern stellt sich nun quer. Die Berner Regierung lehnt die Gesetzesänderung ab. Kantone sollen selbst entscheiden dürfen, lässt sie verlauten.

Grund für die Einmischung des Bundes: Bundesrat Alain Berset (SP) sieht seine Sprachreform durch einzelne Kantone gefährdet, die den Unterricht einer zweiten Landessprache in der Primarschule ab dem Schuljahr 2017/18 infrage stellen – so wie der Thurgau. Auch Kantone, die sich nicht an die beschlossene Sprachenvereinbarung aus dem Jahre 2004 hielten, sollen endlich mitziehen.

Bernhard Pulver (Grüne), Regierungsrat und Erziehungsdirektor des Kantons Bern, sieht in diesem Eingriff gar eine grosse Gefahr: Die Schweiz könnte sich spalten. Pulver betont aber, dass die Ablehnung einer Gesetzesänderung nichts mit einer Ablehnung der Sprachreform-Idee zu tun habe: Französisch gehöre im Kanton Bern ganz klar in den Primarschulunterricht. Daran gebe es nichts zu rütteln.

Herr Pulver, weshalb hat sich der Regierungsrat gegen alle drei Änderungsvorschläge ausgesprochen?Der Regierungsrat findet es falsch, dass der Bund eingreift und den Kantonen vorschreiben will, was sie tun sollen. Der Berner Regierungsrat teilt zwar die Meinung des Bundesrats, dass Frühfranzösisch in die Primarschule gehört, dies sollte aber jeder Kanton selber in die Wege leiten. Eine Gesetzesänderung entfacht nur eine Sprachdebatte in unserem Land, die letztlich niemandem etwas nützt.

Würde eine Gesetzesänderung der Schweiz gar schaden? Ja. Der Bund dürfte eigentlich nur intervenieren, wenn die Koordination der Kantone gescheitert wäre – das ist hier aber nicht der Fall. Fast alle Kantone haben in den letzten Jahren etwas umgesetzt. Die ausgelöste Sprachdebatte könnte diesen Konflikt unnötig verschärfen und womöglich zu einer nationalen Abstimmung führen: In der Schweiz haben wir eine Mehrheit an Deutschschweizern, und wenn es darum gehen würde, für oder gegen Französisch in den Schulen abzustimmen, könnte Französisch den Kürzeren ziehen. Dann hätten wir eine verletzte Romandie und stünden vor einem Scherbenhaufen.

Der Kanton Bern als zweisprachiger Kanton hat doch aber ein Interesse daran, dass schweizweit bereits früh eine zweite Landessprache gelernt wird?Unbedingt. Schülerinnen und Schüler sollen bereits in der Primarschule damit beginnen, eine zweite Landessprache zu lernen. So lernen sie bereits früh, dass es in der Schweiz eine andere Region, andere Kulturen gibt. Das fördert den Zusammenhalt der Schweiz. In Bern sind wir der Ansicht, dass an den Schulen zuerst Französisch unterrichtet werden soll, danach Englisch. In der Deutschschweiz haben sich nur die Ostschweizer anders entschieden: Dort lernen die Kinder zuerst Englisch.

Der Bundesrat überliess es im Jahr 2004 den Kantonen, etwas zu verändern. Bis heute aber ist der Sprachenkompromiss nicht überall umgesetzt worden. Muss der Bund vor diesem Hintergrund nicht doch intervenieren? Die allermeisten Kantone halten den Sprachenkompromiss ein. Ausnahmen bilden die Kantone Uri, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden und Aargau. Wie gesagt, der Bund dürfte nur einschreiten, wenn die Koordination gescheitert wäre. Bei so einem Verhältnis kann man nicht von einem Scheitern sprechen. Ausserdem darf man nicht vergessen, dass wir in der Schweiz sind: Die Dinge dauern hier nicht ein halbes Jahr. Veränderungen brauchen etwas mehr Zeit.

Es gibt aber auch Kantone wie der Thurgau, die das Französisch in der Primarschule sogar abschaffen wollen. Ich hoffe, dass der Kanton Thurgau es sich nochmals überlegt. Sollte dies tatsächlich geschehen, dürfte der Bund über eine Intervention nachdenken. Das ist aber noch nicht passiert. Ein Eingriff zum jetzigen Zeitpunkt wäre deshalb verfrüht. Auch zeigt sich, dass kantonale Initiativen, die das Französisch in die Oberstufe verschieben wollen, nicht leicht zu gewinnen sind: In Nidwalden ist eine solche Initiative abgelehnt worden. Französisch bleibt in der Primarschule.

Wenn keine Gesetzesänderung: Was für Alternativen gäbe es? Die Drohung mit der Gesetzesänderung war als Signal nicht schlecht. Weiter sollte der Bundesrat aber nicht gehen. Was er tun könnte, wäre für die französische Sprache in der Deutschschweiz zu werben. Bund und Kantone könnten sich um die Gründung einer Interessengruppierung für die französische Sprache kümmern – quasi eine Lobby –, die andere Kantone besucht und für die Sprache wirbt.

Im Kanton Bern wird seit 2011 bereits schon ab der 3. Klasse Französisch gelernt und Englisch ab der 5. Klasse. Es klappte ohne Einmischung des Bundes. Was könnten die Probleme sein, weshalb es den wenigen Kantonen nicht wie Bern gelingt, selbst eine Sprachreform umzusetzen? Der Kanton Aargau hat angekündigt, dass er die Sprachreform mit Einführung des Lernplans 21 geltend machen wird. Der Kanton Uri kümmert sich ebenfalls darum, hat aber noch eine besondere Beziehung zur italienischen Sprache und kümmert sich zunächst darum. Und die Kantone Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden: Sie waren schon beim Frauenstimmrecht die Letzten, das klappt schon noch.


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