"Dann hätten wir eine verletzte Romandie", Bund, 22.9. von Liliane Manzanedo
Der Sprachenstreit geht
weiter: Dieses Mal drohte der Bundesrat nicht nur mit einer Änderung des
Sprachengesetzes. Er lieferte gleich drei konkrete Änderungsvorschläge, die die
Stellung einer zweiten Landessprache im Primarschulunterricht schweizweit
festlegen sollen. Ausgerechnet der zweisprachige Kanton Bern stellt sich nun
quer. Die Berner Regierung lehnt die Gesetzesänderung ab. Kantone sollen selbst
entscheiden dürfen, lässt sie verlauten.
Grund
für die Einmischung des Bundes: Bundesrat Alain Berset (SP) sieht seine
Sprachreform durch einzelne Kantone gefährdet, die den Unterricht einer zweiten
Landessprache in der Primarschule ab dem Schuljahr 2017/18 infrage stellen – so
wie der Thurgau. Auch Kantone, die sich nicht an die beschlossene
Sprachenvereinbarung aus dem Jahre 2004 hielten, sollen endlich mitziehen.
Bernhard
Pulver (Grüne), Regierungsrat und Erziehungsdirektor des Kantons Bern, sieht in
diesem Eingriff gar eine grosse Gefahr: Die Schweiz könnte sich spalten. Pulver
betont aber, dass die Ablehnung einer Gesetzesänderung nichts mit einer
Ablehnung der Sprachreform-Idee zu tun habe: Französisch gehöre im Kanton Bern
ganz klar in den Primarschulunterricht. Daran gebe es nichts zu rütteln.
Herr Pulver, weshalb hat
sich der Regierungsrat gegen alle drei Änderungsvorschläge ausgesprochen?Der Regierungsrat findet
es falsch, dass der Bund eingreift und den Kantonen vorschreiben will, was sie
tun sollen. Der Berner Regierungsrat teilt zwar die Meinung des Bundesrats,
dass Frühfranzösisch in die Primarschule gehört, dies sollte aber jeder Kanton
selber in die Wege leiten. Eine Gesetzesänderung entfacht nur eine
Sprachdebatte in unserem Land, die letztlich niemandem etwas nützt.
Würde eine
Gesetzesänderung der Schweiz gar schaden? Ja. Der Bund dürfte
eigentlich nur intervenieren, wenn die Koordination der Kantone gescheitert
wäre – das ist hier aber nicht der Fall. Fast alle Kantone haben in den letzten
Jahren etwas umgesetzt. Die ausgelöste Sprachdebatte könnte diesen Konflikt
unnötig verschärfen und womöglich zu einer nationalen Abstimmung führen: In der
Schweiz haben wir eine Mehrheit an Deutschschweizern, und wenn es darum gehen
würde, für oder gegen Französisch in den Schulen abzustimmen, könnte
Französisch den Kürzeren ziehen. Dann hätten wir eine verletzte Romandie und
stünden vor einem Scherbenhaufen.
Der Kanton Bern als
zweisprachiger Kanton hat doch aber ein Interesse daran, dass schweizweit
bereits früh eine zweite Landessprache gelernt wird?Unbedingt. Schülerinnen
und Schüler sollen bereits in der Primarschule damit beginnen, eine zweite
Landessprache zu lernen. So lernen sie bereits früh, dass es in der Schweiz
eine andere Region, andere Kulturen gibt. Das fördert den Zusammenhalt der
Schweiz. In Bern sind wir der Ansicht, dass an den Schulen zuerst Französisch
unterrichtet werden soll, danach Englisch. In der Deutschschweiz haben sich nur
die Ostschweizer anders entschieden: Dort lernen die Kinder zuerst Englisch.
Der Bundesrat überliess
es im Jahr 2004 den Kantonen, etwas zu verändern. Bis heute aber ist der
Sprachenkompromiss nicht überall umgesetzt worden. Muss der Bund vor diesem Hintergrund
nicht doch intervenieren? Die allermeisten Kantone
halten den Sprachenkompromiss ein. Ausnahmen bilden die Kantone Uri, Appenzell
Innerrhoden und Ausserrhoden und Aargau. Wie gesagt, der Bund dürfte nur
einschreiten, wenn die Koordination gescheitert wäre. Bei so einem Verhältnis
kann man nicht von einem Scheitern sprechen. Ausserdem darf man nicht
vergessen, dass wir in der Schweiz sind: Die Dinge dauern hier nicht ein halbes
Jahr. Veränderungen brauchen etwas mehr Zeit.
Es gibt aber auch
Kantone wie der Thurgau, die das Französisch in der Primarschule sogar
abschaffen wollen. Ich hoffe, dass der
Kanton Thurgau es sich nochmals überlegt. Sollte dies tatsächlich geschehen,
dürfte der Bund über eine Intervention nachdenken. Das ist aber noch nicht passiert.
Ein Eingriff zum jetzigen Zeitpunkt wäre deshalb verfrüht. Auch zeigt sich,
dass kantonale Initiativen, die das Französisch in die Oberstufe verschieben
wollen, nicht leicht zu gewinnen sind: In Nidwalden ist eine solche Initiative
abgelehnt worden. Französisch bleibt in der Primarschule.
Wenn keine
Gesetzesänderung: Was für Alternativen gäbe es? Die Drohung mit der Gesetzesänderung war als Signal nicht
schlecht. Weiter sollte der Bundesrat aber nicht gehen. Was er tun könnte, wäre
für die französische Sprache in der Deutschschweiz zu werben. Bund und Kantone
könnten sich um die Gründung einer Interessengruppierung für die französische
Sprache kümmern – quasi eine Lobby –, die andere Kantone besucht und für die
Sprache wirbt.
Im Kanton Bern wird seit
2011 bereits schon ab der 3. Klasse Französisch gelernt und Englisch ab der
5. Klasse. Es klappte ohne Einmischung des Bundes. Was könnten die
Probleme sein, weshalb es den wenigen Kantonen nicht wie Bern gelingt, selbst
eine Sprachreform umzusetzen? Der Kanton Aargau hat
angekündigt, dass er die Sprachreform mit Einführung des Lernplans 21 geltend
machen wird. Der Kanton Uri kümmert sich ebenfalls darum, hat aber noch eine
besondere Beziehung zur italienischen Sprache und kümmert sich zunächst darum.
Und die Kantone Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden: Sie waren schon beim
Frauenstimmrecht die Letzten, das klappt schon noch.
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