29. August 2016

Zürcher Lehrplan-Fahrplan plötzlich gefährdet

Die Gewerkschafterin und LP-21-Anhängerin Katrin Meier will die Einführung des Lehrplans vertagen. Zum Erfolg ihrer Einzelinitiative verhelfen ihr die Stimmen von rechts.
Geplante Einführung des Lehrplans 21 ist plötzlich gefährdet, Bild: Christoph Ruckstuhl
Die Gewerkschaft VPOD stärkt den Lehrplan-Gegnern den Rücken, NZZ, 29.8. von Walter Bernet
Noch zwei Wochen befindet sich die Zürcher Variante des Lehrplans 21 samt umstrittener Stundentafel in der Vernehmlassung. Je nach Ergebnis wird der Bildungsrat danach noch Anpassungen vornehmen. Die Einführung ist gestaffelt in den Jahren 2018 und 2019 geplant.

Trotzdem hat am Montag der Kantonsrat eine Einzelinitiative der Präsidentin der Zürcher VPOD-Sektion Lehrberufe, Katrin Meier, zum Anlass genommen, nochmals in diesen Prozess einzugreifen. Mit 63 Stimmen stützte er die Forderung der Initiantin, der Regierungsrat möge die Umsetzung des Lehrplans vertagen, bis eine Einführung ohne Spardruck und mit mehr Ressourcen möglich ist. Die Regierung wird nun das Geschäft behandeln und Antrag an den Kantonsrat stellen müssen, obwohl die Einführung des Lehrplans in die Kompetenz des Bildungsrats gehört.

Mehr Ressourcen gefordert
Als der Zürcher Lehrplan 21 im April präsentiert wurde, hatten sich die wichtigsten Verbände aus dem Umfeld der Schule – bei aller Kritik im Einzelnen – grundsätzlich hinter das Vorhaben gestellt. Fundamentale Kritik kam nur noch von den Initianten der Volksinitiative «Lehrplan vors Volk». Diese forderten ein Zuwarten mit der Umsetzung des Lehrplans 21, bis ein Urnenentscheid über ihr Anliegen gefallen ist. Wenige Tage nach der Präsentation scherte aber die VPOD-Sektion Lehrberufe mit der Einzelinitiative ihrer Präsidentin Katrin Meier aus der Front der Befürworter aus.

Die Primarlehrerin und frühere SP-Kantonsrätin Meier nahm die Gelegenheit wahr, ihre Argumente vor dem Rat darzulegen. Als begeisterte Anhängerin sei ihr der Lehrplan 21 zu wichtig, um sich mit einer vorschnellen Realisierung abzufinden. Der Hauptgrund ihrer Intervention sei das fehlende Geld für die Umsetzung. Die Sparmassnahmen der jüngsten Leistungsüberprüfung (Lü 16) zeigten, dass die Finanzierung nicht gesichert sei. So werde etwa der Halbklassenunterricht auf der Mittelstufe aus Spargründen zurückgefahren und die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen auf ein unzulässiges Minimum beschränkt. Auch sei ein kompetenzorientierter Lehrplan nur mit einer angepassten Beurteilungsform ohne Schulnoten sinnvoll. Mit dem Moratorium verschaffe sich der Kanton Zeit für die Bereitstellung der Infrastrukturen für den neuen Informatikunterricht, für angemessene Weiterbildungen für alle Lehrkräfte, für neue Lehrmittel und anderes. Damit könne die Akzeptanz gesteigert werden.

Falsche Gewissheit
Damit stiess Meier quer durch die Fraktionen auf Ablehnung. Dieter Kläy (fdp., Winterthur) warf ihr vor, von einer falschen Gewissheit auszugehen, wenn sie davon ausgehe, dass in vier, fünf Jahren die jetzt fehlenden Mittel plötzlich vorhanden seien. Cornelia Keller (bdp., Gossau) setzte den Begriff Moratorium gleich mit Säumnis, Stillstand und damit Rückschritt. Corinne Thomet (cvp., Kloten) verwies darauf, dass der Kantonsrat ja bei allfälligen Gesetzesanpassungen (Handarbeit und Halbklassen als Beispiel) noch intervenieren könne und dankte Meier ironisch für die den rückwärts Gewandten geleisteten Steigbügel-Dienste. Christoph Ziegler (glp., Elgg) betrachtet die Umsetzungspläne auch als Black Box, wehrt sich aber gegen eine Aufblähung des Lehrplans 21 zum pädagogischen Jahrhundertwerk. Nach all der Kritik sei eine kostengünstige, pragmatische und zurückhaltende Umsetzung ohne Verzögerung der richtige Weg. Für Hanspeter Hugentobler (evp., Pfäffikon) würde ein Moratorium die Einführung des Lehrplans auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben.
Der Lehrplan 21 sei schon seit zehn Jahren unterwegs. Jetzt soll die Einfahrt in den Zürcher Hafen verhindert werden, weil dieser nicht perfekt eingerichtet sei, sagte Karin Fehr (gp., Uster). Sie hält zwar die Rahmenbedingung einer kostenneutralen Umsetzung für falsch und langfristig teurer, findet aber, dass der Zürcher Hafen nicht so schlecht vorbereitet sei. Die Einzelinitiative setze nur das gerechtfertigte Vertrauen in den Lehrplan aufs Spiel. Moritz Spillmann (sp., Ottenbach) gab Meier insofern recht, als die geplante Umsetzung für Frustrationen sorgen werde. Man müsse aber jetzt für bessere Gelingensbedingungen kämpfen. Mit der Verzögerung arbeite man nur den Lehrplan-Gegnern in die Hand. Selbst Judith Stofer (al., Zürich) gab bei allem Einverständnis mit der Kritik zu bedenken, dass man diese besser in der Vernehmlassung anbringen würde.

Hängige Initiativen
Nur eine Grüne und einige SP-Ratsmitgliedern unterstützten am Ende die Initiative von Katrin Meier. Dass sie dennoch das nötige Quorum von 60 Stimmen erreichte, ist jenen Kreisen zu verdanken, denen der Lehrplan 21 generell ein Dorn im Auge ist: den Fraktionen der SVP und der EDU. Hans Peter Häring (edu., Wettswil am Albis) begründete das Ja seiner Partei mit den beiden hängigen Volksinitiativen «Lehrplan vors Volk» und «Mehr Qualität – eine Fremdsprache an der Primarschule» und mit der Notwendigkeit, die «schleichende Entchristianisierung» der Volksschule zu stoppen. Und Anita Borer (svp., Uster) warb für ein Ja zu einem Boxenstopp mit demokratiepolitischen Überlegungen. Gemäss ihrer eigenen Initiative «Lehrplan vors Volk» soll der Kantonsrat und letztlich das Volk über neue Lehrpläne entscheiden. Bis das Volk sich dazu äussern könne, dürfe kein Lehrplan eingeführt werden. Trotzdem ist kaum anzunehmen, dass die Regierung noch Hand für ein Moratorium bieten wird.


1 Kommentar:

  1. Anita Borer, die Präsidentin des Initiativkomitees "Lehrplan vors Volk" kommentiert das weitere Vorgehen folgendermassen:

    Wie geht es nun weiter?
    Die Einzelinitiative wird nun in der kantonsrätlichen Kommission für Bildung und Kultur besprochen. Die Kommission muss letztlich dem Parlament eine Vorlage dazu vorlegen. Wie diese dann aussieht, wird sich zeigen. Der Stand ist schwierig, die Verhältnisse sind mehrheitlich pro Lehrplan.

    Das Gute aber auf jeden Fall ist, dass mit der heutigen Diskussion einmal mehr die diversen umstrittenen Punkte des Lehrplans offen zur Sprache kamen und klar wurde, dass eine grosse Verwirrung herrscht. Dies zeigt, wie wichtig die demokratische Mitsprache ist. Mit der Einzelinitiative diskutiert der Kantonsrat bereits über den Lehrplan.

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