Als Thurgauer Grossrätin
reichte ich 2003 eine Motion ein mit dem Begehren, es sei an der Primarschule
nur Englisch anstelle von Französisch zu unterrichten. Eine Umfrage in den
Schulgemeinden hatte ergeben, dass eine Fremdsprache, vorzugsweise Englisch,
an der Primarschule genüge. Dieser Meinung waren drei Viertel der Lehrkräfte
und eine grosse Mehrheit der Eltern. Den Schülern war und ist Englisch sowieso
lieber als Französisch. Viele Schülerinnen und Schüler hätten bereits Mühe mit
dem Fach Deutsch, abgesehen von den zahlreichen Migrantenkinder, denen zu Hause
niemand bei den Aufgaben helfen könne. Auch das Übergewicht der Sprachfächer
auf Kosten der mathematischen, handwerklichen und musischen Fächer wurde
moniert.
Frühfranzösisch - eine Frechheit, Basler Zeitung, 15.8. von Marlies Mettler
Im März 2004 konnten sich
die Erziehungsdirektoren nicht zu einer einheitlichen Lösung durchringen. Die
Beratung meiner Motion war auf den 25. Mai 2004 traktandiert. Flugs kamen die
Damen und Herren Regierungsräte nochmals zusammen, um den Thurgauer Entscheid
zu verhindern und Einheit zu demonstrieren. So kam es zum Sprachenkompromiss.
Er verlangt zwei Fremdsprachen an der Primarschule, lässt aber die Reihenfolge
offen. Die Drohung der Erziehungsdirektoren wirkte. Die Motion wurde abgelehnt
mit der Begründung, Harmos (2008 vom Thurgauervolk abgelehnt) stehe vor der Tür
und sei für alle Kantone bindend. Gegner meiner Motion warnten, in unserem
Kanton ein eigenes Züglein zu fahren. Vor allem müsse man mit dem Nachbarkanton
Zürich Schritt halten können. Völlig überbewertet wurde das lösbare Problem
beim Kantonswechsel. Aus all diesen Gründen scheiterte auch 2006, allerdings
knapp, die Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache an der Primarschule». Pädagogische
Gründe schienen und scheinen im Sprachenstreit keine Rolle zu spielen. Unser
Kanton hatte schon früh Pilotversuche mit Frühfranzösisch und engagierten
Lehrkräften gestartet. Vergleiche einige Jahre später auf der Oberstufe
ergaben ernüchternde Ergebnisse. Beim Leistungsvergleich war praktisch kein
Unterschied auszumachen zwischen Schülern mit und jenen ohne Frühfranzösisch.
Der kürzliche Entscheid des Thurgauer Grossen Rates, auf Französisch an der
Primarschule zu verzichten, war ein Entscheid zum Wohle der Kinder.
Den Zwang vonseiten des
Bundes finde ich einen groben Verstoss gegen unseren Föderalismus und die
kantonale Hoheit über das Bildungswesen. Französisch wird ja nicht abgeschafft,
sondern auf die Oberstufe verschoben, wo mit den Sekundarlehrkräften in
Sprachen besser ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Von Beherrschung einer
Fremdsprache nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit kann keine Rede sein.
Dazu braucht es einen längeren Aufenthalt im entsprechenden Sprachgebiet. Vom
Bundesrat wird vor allem auf den Zusammenhalt in der Schweiz verwiesen. Wie
wenn unser Zusammenhalt mit dem Kanton Tessin wegen des fehlenden
Frühitalienisch weniger gross wäre als mit den Westschweizern! In diesem
Sprachenstreit geht es um nichts anderes als um eine Machtdemonstration des
Bundes. Das Wohl des Kindes bleibt auf der Strecke. Diese unselige Reformitis,
die Millionen kostet und den Schülerinnen und Schülern nichts bringt, muss
endlich gestoppt werden!
Marlies Mettler, aus
Eschlikon (TG), ist ehem. Kantonsrätin und ehem. Schulpräsidentin.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen