Die meisten kennen es nur noch von Bart Simpson: zur Strafe reihenweise
«Du sollst nicht dies und das» auf die Tafel schreiben. Wie ein Mantra, nur mit
wesentlich weniger spirituellem Anspruch. Nämlich null. Das Strafmodell war
früher beliebt für jegliche Art des Vergehens: von Kaugummikauen während des
Unterrichts über unaufgefordertes Reden, Leim auf dem Stuhl des Lehrers oder
für ein vergessenes Heft. Es kam strafevolutionstechnisch so kurz nach der
Schämecke und der Eselsmütze ins Spiel. Hauptsache Pranger.
Hohe Anforderungen beim Strafen, Bild: Screenshot Doofe Strafen, Mamablog Tages Anzeiger, von Andrea Fischer Schulthess, 7.7. |
Klar, Lehrer müssen über ein Instrumentarium verfügen, um erwünschtes
Verhalten zu fördern und unerwünschtes möglichst zu unterbinden. Was dabei
erwünscht oder unerwünscht ist oder sein soll, lassen wir hier mal getrost
beiseite, damit liesse sich allein schon ein ganzer Blog füllen.
Im Idealfall gelingt die Erziehung, und um das geht es ja letztlich,
weitgehend mit einer Mischung aus natürlicher Autorität seitens der Lehrperson
und der Fähigkeit zur Einsicht seitens der Schüler. Im Idealfall. Natürliche Autorität
ist nicht jedem gegeben, und der bedingungslose Respekt gegenüber Lehrpersonen
ist nicht mehr in Stein gemeisselt oder wird Kindern von den Eltern eingebläut.
Und bei der Einsicht ist es so, dass auch sie a) ein gewisses Mass an
Vorerziehung voraussetzt und b) in einem gewissen Alter die Opposition erst
recht definiert: Es ist unerwünscht, ergo tue ich es, denn ich kann damit Macht
ausüben oder meinen Unwillen kundtun.
Die Prinzipien von Ursache und Wirkung
Aus diesen Gründen braucht es meist noch die eine oder andere Massnahme
zusätzlich, um Versäumnisse oder ernsteres Vergehen zu ahnden. Schliesslich
werden die Kids irgendwann sich selbst überlassen, und da ist es
gesellschaftlich gesehen doch sehr nett, wenn sie die Prinzipien von Ursache
und Wirkung und Recht und Verantwortung kennen. Auch wenn sie furchtbar staubig
klingen, sind sie aktuell wie eh und je.
Doch wenn man sich bei Schweizer Eltern umhört, wird rasch klar: Die
Bandbreite solcher Massnahmen in Schulen reicht von antiquierter
Bart-Simpson-Pädagogik bis hin zur Vogel-Strauss-Taktik. Ein Zürcher
Schulhaus verlangt von den Schülerinnen und Schülern, die irgendetwas
ausgefressen haben, dass sie auf einem A4-Hüslipapier alle Felder bunt ausmalen
sollen. Das ist nicht sonderlich schlimm, aber doch erschreckend sinnfrei.
Einen direkten Zusammenhang zwischen Vergehen und Strafe kann ich hier beim
besten Willen nicht erkennen, höchstens Fantasielosigkeit.
In einer Sekundarschule im Kanton Zürich müssen die Kinder regelmässig
am Mittwochnachmittag nachsitzen und Seiten aus einer Zeitung abschreiben, auch
dies ohne ersichtlichen Zusammenhang mit dem Vergehen. In einem Zürcher
Gymnasium steht zudem das Abschreiben ganzer Schulbuchseiten hoch im
Kurs. Ich bezweifle, dass dies den Kindern hilft, sich künftig anders zu
verhalten.
Kinder werden selten zur Rechenschaft gezogen
Ich persönlich finde, im dritten Jahrtausend dürfte man dazu übergehen,
von Strafmassnahmen zu verlangen, dass sie mindestens eins der zwei folgenden
Kriterien erfüllen: Sie sollten entweder in einem für die Kinder
erkennbaren, direkten Zusammenhang mit dem Vergehen stehen. Ein Beispiel: Wer
Kaugummi kaut, hilft dem Hauswart dabei, Kaugummireste zu entfernen. Oder
sie sollten dem Kind eine Aufgabe übertragen, die der Gemeinschaft etwas
bringt. Ein Beispiel, ebenfalls aus einem Zürcher Gymnasium: Wer die klar
definierten Regeln bricht, backt Muffins für die ganze Klasse. Das hat zwar
keinen ursächlichen Zusammenhang. Aber die Gemeinschaft profitiert davon.
Wer nun anführt, dass dann ja doch wieder die Mütter die Muffins backen
würden, dem möchte ich entgegnen: «Ja, die Chance besteht.» Aber das liegt an
den Müttern (oder Vätern) selbst. An dem einfachen Grund, dass Kinder zu oft
nicht zur Rechenschaft gezogen werden für ihr Handeln. Und das eben nicht nur
in Schulen, sondern auch daheim. Warum das so ist, begreife ich nicht ganz. Ich
finde es nämlich wesentlich angenehmer und einfacher, zusammenzuleben, wenn
jeder weiss, was drin liegt und was für Konsequenzen es hat, wenn er oder sie
sich darüber hinwegsetzt.
So, und jetzt alle miteinander hundertmal «Du sollst keine sinnlosen
Strafen verhängen» schreiben.
In dem Sinne: frohes Schaffen, frohen Sommer!
In dem Sinne: frohes Schaffen, frohen Sommer!
Andrea Fischer Schulthess ist
freischaffende Journalistin, Autorin und Märchenerzählerin. Sie lebt mit
Tochter, Sohn und Mann in Zürich. Mit ihrem Mann ist sie seit 2009 das «Minitheater Hannibal». Anfang 2016
erscheint ihr erster Roman «Motel Terminal».
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