9. Juli 2016

Welche Strafe soll es sein?

Die meisten kennen es nur noch von Bart Simpson: zur Strafe reihenweise «Du sollst nicht dies und das» auf die Tafel schreiben. Wie ein Mantra, nur mit wesentlich weniger spirituellem Anspruch. Nämlich null. Das Strafmodell war früher beliebt für jegliche Art des Vergehens: von Kaugummikauen während des Unterrichts über unaufgefordertes Reden, Leim auf dem Stuhl des Lehrers oder für ein vergessenes Heft. Es kam strafevolutionstechnisch so kurz nach der Schämecke und der Eselsmütze ins Spiel. Hauptsache Pranger.
Hohe Anforderungen beim Strafen, Bild: Screenshot
Doofe Strafen, Mamablog Tages Anzeiger, von Andrea Fischer Schulthess, 7.7.
Klar, Lehrer müssen über ein Instrumentarium verfügen, um erwünschtes Verhalten zu fördern und unerwünschtes möglichst zu unterbinden. Was dabei erwünscht oder unerwünscht ist oder sein soll, lassen wir hier mal getrost beiseite, damit liesse sich allein schon ein ganzer Blog füllen.

Im Idealfall gelingt die Erziehung, und um das geht es ja letztlich, weitgehend mit einer Mischung aus natürlicher Autorität seitens der Lehrperson und der Fähigkeit zur Einsicht seitens der Schüler. Im Idealfall. Natürliche Autorität ist nicht jedem gegeben, und der bedingungslose Respekt gegenüber Lehrpersonen ist nicht mehr in Stein gemeisselt oder wird Kindern von den Eltern eingebläut. Und bei der Einsicht ist es so, dass auch sie a) ein gewisses Mass an Vorerziehung voraussetzt und b) in einem gewissen Alter die Opposition erst recht definiert: Es ist unerwünscht, ergo tue ich es, denn ich kann damit Macht ausüben oder meinen Unwillen kundtun.

Die Prinzipien von Ursache und Wirkung
Aus diesen Gründen braucht es meist noch die eine oder andere Massnahme zusätzlich, um Versäumnisse oder ernsteres Vergehen zu ahnden. Schliesslich werden die Kids irgendwann sich selbst überlassen, und da ist es gesellschaftlich gesehen doch sehr nett, wenn sie die Prinzipien von Ursache und Wirkung und Recht und Verantwortung kennen. Auch wenn sie furchtbar staubig klingen, sind sie aktuell wie eh und je.

Doch wenn man sich bei Schweizer Eltern umhört, wird rasch klar: Die Bandbreite solcher Massnahmen in Schulen reicht von antiquierter Bart-Simpson-Pädagogik bis hin zur Vogel-Strauss-Taktik. Ein Zürcher Schulhaus verlangt von den Schülerinnen und Schülern, die irgendetwas ausgefressen haben, dass sie auf einem A4-Hüslipapier alle Felder bunt ausmalen sollen. Das ist nicht sonderlich schlimm, aber doch erschreckend sinnfrei. Einen direkten Zusammenhang zwischen Vergehen und Strafe kann ich hier beim besten Willen nicht erkennen, höchstens Fantasielosigkeit.

In einer Sekundarschule im Kanton Zürich müssen die Kinder regelmässig am Mittwochnachmittag nachsitzen und Seiten aus einer Zeitung abschreiben, auch dies ohne ersichtlichen Zusammenhang mit dem Vergehen. In einem Zürcher Gymnasium steht zudem das Abschreiben ganzer Schulbuchseiten hoch im Kurs. Ich bezweifle, dass dies den Kindern hilft, sich künftig anders zu verhalten.

Kinder werden selten zur Rechenschaft gezogen
Ich persönlich finde, im dritten Jahrtausend dürfte man dazu übergehen, von Strafmassnahmen zu verlangen, dass sie mindestens eins der zwei folgenden Kriterien erfüllen: Sie sollten entweder in einem für die Kinder erkennbaren, direkten Zusammenhang mit dem Vergehen stehen. Ein Beispiel: Wer Kaugummi kaut, hilft dem Hauswart dabei, Kaugummireste zu entfernen. Oder sie sollten dem Kind eine Aufgabe übertragen, die der Gemeinschaft etwas bringt. Ein Beispiel, ebenfalls aus einem Zürcher Gymnasium: Wer die klar definierten Regeln bricht, backt Muffins für die ganze Klasse. Das hat zwar keinen ursächlichen Zusammenhang. Aber die Gemeinschaft profitiert davon.

Wer nun anführt, dass dann ja doch wieder die Mütter die Muffins backen würden, dem möchte ich entgegnen: «Ja, die Chance besteht.» Aber das liegt an den Müttern (oder Vätern) selbst. An dem einfachen Grund, dass Kinder zu oft nicht zur Rechenschaft gezogen werden für ihr Handeln. Und das eben nicht nur in Schulen, sondern auch daheim. Warum das so ist, begreife ich nicht ganz. Ich finde es nämlich wesentlich angenehmer und einfacher, zusammenzuleben, wenn jeder weiss, was drin liegt und was für Konsequenzen es hat, wenn er oder sie sich darüber hinwegsetzt.

So, und jetzt alle miteinander hundertmal «Du sollst keine sinnlosen Strafen verhängen» schreiben.
In dem Sinne: frohes Schaffen, frohen Sommer!

Andrea Fischer Schulthess ist freischaffende Journalistin, Autorin und Märchenerzählerin. Sie lebt mit Tochter, Sohn und Mann in Zürich. Mit ihrem Mann ist sie seit 2009 das «Minitheater Hannibal». Anfang 2016 erscheint ihr erster Roman «Motel Terminal».


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