8. Juli 2016

Raclette reicht nicht

Noch hatte Bundesrat Alain Berset seine Ausführungen zur Revision des Sprachengesetzes kaum beendet, da ertönten aus den Kantonen schon erste Referendumsdrohungen. An seiner Sitzung vom Mittwoch hat der Bundesrat eine Vorlage präsentiert, die die Kantone dazu zwingen soll, sich an den im Jahr 2004 beschlossenen und später bestätigten Sprachenkompromiss zu halten. Er lautet: In der ganzen Schweiz werden in der Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet. Die erste ab der dritten Klasse, die zweite ab der fünften (Modell 3/5). Eine der beiden Sprachen muss eine Landessprache sein.
Raclette reicht nicht, NZZ, 8.7. Kommentar von Daniel Gerny


Schon früh sorgten Zweifel am Erfolg des Frühsprachunterrichts dafür, dass man sich von diesem Übereinkommen distanzierte. Das Thurgauer Parlament will aus dem Kompromiss aussteigen und den Französischunterricht in die siebte Klasse verschieben. Und vielleicht schon im nächsten Jahr entscheidet im Kanton Luzern das Volk über eine Initiative mit ähnlicher Stossrichtung. Es ist vor dem Hintergrund dieser Diskussionen verständlich, dass die Kantone auf ihre Souveränität in Bildungsfragen pochen und Widerstand ankündigen – zumal sie vor kurzem in einem Brief erneut bestätigt haben, den Harmonisierungsauftrag der Verfassung zu erfüllen.

Bloss sollte vor lauter Föderalismus und Bildungswissenschaft das Bewusstsein für die Funktion und die Bedeutung der Landessprachen nicht abhandenkommen. Auch wenn es nirgends ausgedeutscht wird: Die gegenwärtige Debatte richtet sich in ihrer Wirkung gegen das Französisch. Es akzentuiert sich eine Entwicklung, die sich seit Beginn der Fremdsprachen-Harmonisierung zeigt: Englisch als dominierende Wirtschafts- und Wissenschaftssprache verdrängt die zweite Landessprache. Es ist weder Zufall, dass die Verschiebung des Französischunterrichts in Kantonen ohne Sprachgrenze zum Thema wird, noch, dass die Gegenreaktion aus einem Department unter welschem Vorsitz kommt.
Dabei ist das Französisch schon heute in der Defensive: In Städten wie Biel gerät die Zweisprachigkeit unter Druck, Politiker ohne rhetorisches Talent in Deutsch bringen ihre Botschaft auf nationaler Ebene kaum unters Volk, und Cousins aus unterschiedlichen Landesteilen unterhalten sich lieber in Englisch. Das ist von Bedeutung, weil Verstehen in einer eigenen Landessprache mehr bedeutet als das blosse Verständigen in einer für beide fremden Sprache. Es erfordert das Eingehen auf Rhythmus, Kultur und Temperament des andern – wer in Italien in den Ferien ist, kennt dieses Gefühl. Ohne diese Verbundenheit fehlt der Schweiz nicht nur eine Klammerfunktion, sondern auch ein wirtschaftlicher Trumpf: zum Beispiel bei der Arbeitsmigration, die schon heute über die Landesgrenzen leichterfällt als zwischen den Sprachregionen.

Das Französisch braucht die Aufmerksamkeit, die das Englisch heute ohne bildungspolitisches Zutun auf sich zieht. Schülerinnen und Schüler wachsen dank Youtube, Immersionsklassen oder Expats auf Pausenhöfen und in Sportklubs weit selbstverständlicher mit Englisch auf als jede Generation zuvor. Das ist der grösste Trumpf dieser Sprache. Das Gefühl für die Westschweiz aber schwindet – und beschränkt sich irgendwann nur noch auf Käse. Doch Raclette zu mögen, reicht nicht aus. Man sollte es dort, wo es herkommt, auch bestellen können.


1 Kommentar:

  1. "Doch Raclette zu mögen, reicht nicht aus. Man sollte es dort, wo es herkommt, auch bestellen können." Die Verknüpfung von Frühfranz und besseren Sprachkenntnissen ist ja genau das, was nicht klappt. Und das hat offenbar weder Alain Berset noch Daniel Gerny kapiert. Würden diese sich mal die Mühe machen und hinschauen, was unsere Kinder und Jugendlichen nach 7 Jahren Franz können, dann müssten doch auch bei ihnen die Alarmglocken läuten.

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