Das
Konzept der «Leichten Sprache» will Anspruchsvolles vereinfachen. Bei der
Begeisterung darüber geht jedoch vergessen: Leichte Sprache ist seichte Sprache.
Leichte Sprache ist vor allem durch Verbote charakterisiert, Bild: Gaetan Bally
Schöne neue Sprachwelt, NZZ, 20.7. von Konrad Paul Liessmann
|
Heute muss alles leicht gehen. Sich anzustrengen, ist verpönt, noch
verpönter ist es, jemandem eine Anstrengung abzuverlangen. Bis zu 40 Prozent
der Erwachsenen, so lesen wir, sind des Lesens und Schreibens so entwöhnt, dass
sie normalen schriftlichen Kommunikationen nicht mehr folgen können. Zwar
sollten diese Menschen in der Schule einmal die grundlegenden Kulturtechniken
erworben haben, aber wer diese nicht ständig nützt, verliert offenbar diese
Fähigkeiten wieder.
Kühne Thesen der Befürworter
Nun könnte man versuchen, davon Betroffene wieder an die Sprache, an
anspruchsvollere Texte, an Bücher heranzuführen – aber das wäre für alle
Beteiligten viel zu anstrengend. Einfacher ist es, alles zu vereinfachen. Da
kommt das für geistig Behinderte und sprachunkundige Migranten entwickelte
Konzept der «Leichten Sprache» gerade recht.
Was aber soll man unter «Leichter Sprache» verstehen? Die
Duden-Redaktion legte soeben ein Handbuch «Leichte Sprache» vor, das die
theoretischen Grundlagen und die Orientierung für die Praxis liefern soll.
Unter Aufbietung aller Raffinements, die der Jargon der Soziolinguistik bietet
– also in ziemlich schwerer Sprache –, wird die These propagiert, dass Leichte
Sprache eine Varietät der deutschen Sprache unter vielen sei, irgendwo
angesiedelt zwischen Dialekten, Fachsprachen, Jugendsprachen und Xenolekten.
Diese These mutet einigermassen kühn an, handelt es sich bei Leichter Sprache
doch um ein reines Kunstprodukt, das vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt
wurde. Leichte Sprache ist dann auch im Wesentlichen durch einen Katalog von
Verboten charakterisiert. Nicht erlaubt sind unter anderem Nebensätze,
zusammengesetzte Hauptwörter, Passivkonstruktionen, Zeitenfolgen, Jahreszahlen,
Metaphern, der Konjunktiv und der Genitiv.
Schöne neue Sprachwelt. Zahlreiche Behörden sind mittlerweile
verpflichtet, ihre Verlautbarungen auch in Leichter Sprache zu veröffentlichen,
einige gehen dazu über, alle Bürger nur noch in Leichter Sprache zu
informieren, um die Stigmatisierung von Menschen, die auf Leichte Sprache
angewiesen sind, zu verhindern. Übersetzungsbüros schiessen aus dem Boden, die
Nachfrage ist gross, das Geschäft mit der Vereinfachung läuft bestens. Und
bevor noch die erste zögerliche Kritik an dem Unterfangen geäussert werden
kann, hat sich dieses dagegen auch schon immunisiert: Wer Vorbehalte anmelde,
hänge wohl einem reaktionären Bildungsideal an, vertrete kulturpessimistische
Positionen und wolle Menschen, die Schwierigkeiten mit einer komplexen Sprache
hätten, diskriminieren.
Sprache, so suggerieren es diese Konzepte, diene nur der Übermittlung
simpler Informationen. Wenn man alles Notwendige wie Formulare, Parteiprogramme
und Wahlaufrufe gleich in Leichter Sprache verfasse und alles Unnötige wie
Goethes «Faust», die Bibel und Thomas Manns «Zauberberg» in Leichte Sprache
«übersetze», sei niemand mehr von den Segnungen der Politik und Kultur
ausgeschlossen. «Übersetzen» ist hier aber ein gefährlicher Euphemismus. Denn
es handelt sich nicht darum, einen Text mit all seinen Nuancen und
Bedeutungsebenen von einer in eine andere Sprache zu übertragen, sondern um den
Versuch einer radikalen Reduktion, Verflachung und Vereinfachung. Leichte
Sprache ist seichte Sprache.
Verzichtbares Privileg von
Bildungseliten
Dass in und mit Sprache gedacht und argumentiert, abgewogen und
nuanciert, differenziert und artikuliert wird, dass es so etwas wie Rhythmus,
Stil, Schönheit und Komplexität als Sinn- und Bedeutungsträger in einer Sprache
gibt, wird schlicht unterschlagen oder als verzichtbares Privileg von
Bildungseliten denunziert. Dieselben besorgten Menschen, die sich darüber
beklagen, dass die Populisten alles vereinfachten, in den sozialen Medien nur
noch primitive Zustimmungs- oder Ablehnungsvokabeln verwendet würden und dem
Volk deshalb nicht mehr zu trauen sei, fördern durch die Propagierung der
Leichten Sprache ebendiese Entwicklung. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen