Der Bundesrat will die Kantone per Bundesgesetz zum Frühfranzösisch zwingen. Doch im Parlament wird er es schwer haben – besonders im Ständerat.
Illustration: Schaad |
Sprachenstreit: Berset setzt Kantonen ein Ultimatum, Tages Anzeiger, 7.7. von Markus Häfliger und Anja Burri
Es ist der letzte
Warnschuss des Bundesrats, abgefeuert in Form eines explosiven
Gesetzesentwurfs. Mit einer Änderung des Sprachengesetzes will er alle Kantone
zum Frühfranzösisch beziehungsweise Frühdeutsch verpflichten. Damit stellt sich
der Bundesrat einer Welle von kantonalen Volksinitiativen in der Deutschschweiz
entgegen, die den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule reduzieren
wollen. In den meisten Fällen richten sich diese Initiativen gegen das
Frühfranzösisch, während Frühenglisch beibehalten würde.
Das will der Bundesrat verhindern. Es gehe darum, die
Verständigung über die Sprachgrenzen hinweg sicherzustellen, und um den
«nationalen Zusammenhalt», sagt Bundesrat Alain
Berset. Dass
sich die Regierung mit diesem Eingriff in die Bildungshoheit der Kantone
schwertut, verhehlt er aber nicht: «Der Bundesrat würde es vorziehen, nicht
einschreiten zu müssen.» Er wünsche sich immer noch, dass sich die Kantone von
sich aus auf ihren Sprachenkompromiss von 2004 zurückbesinnen.
Leuthards Widerstand
Derzeit sieht es nicht danach aus, dass sich dieser Wunsch
erfüllen wird. Der Aargau, Appenzell Innerrhoden und Uri haben den
Sprachenkompromiss gar nie umgesetzt. Der Thurgau will sich auf das Schuljahr
2017/18 davon verabschieden und das Frühfranzösisch abschaffen. Davon lässt
sich die Thurgauer Bildungsdirektorin Monika Knill (SVP) vorerst auch durch
den Bundesratsentscheid nicht abbringen.
Der angekündigte Ausstieg des Thurgaus ist der Auslöser, dass
der Bundesrat mit seiner seit langem angedrohten Intervention Ernst macht. Der
Entscheid war allerdings umstritten. Gemäss bundesratsnahen Personen hat sich
CVP-Bundesrätin Doris Leuthard gegen eine Einmischung in die
Kantonsangelegenheiten gewehrt. Kritisch war offenbar auch Ueli Maurer (SVP).
Für das Gesetz waren dem Vernehmen nach die Romands Berset (SP), Burkhalter
(FDP) und Parmelin (SVP) sowie Simonetta Sommaruga (SP). Johann
Schneider-Ammann (FDP) sprach sich vergeblich dafür aus, den Entscheid zu
vertagen.
Berset berief sich vor den Medien auf die Bundesverfassung, die
den Bund und die Kantone verpflichtet, «die Verständigung und den Austausch
zwischen den Sprachregionen» zu fördern. Zudem gibt die Verfassung dem Bund
eine subsidiäre Regelungskompetenz, falls es die Kantone nicht selber schaffen,
den Schulunterricht zu harmonisieren.
Dazu schickt der Bundesrat nun drei Varianten in eine
Vernehmlassung. Die erste Variante würde den Sprachenkompromiss von 2004
national verbindlich erklären: Jedes Schulkind lernt ab der 3. Klasse eine
erste und ab der 5. Klasse eine zweite Fremdsprache, davon zwingend eine zweite
Landessprache. Die zweite Variante verlangt, dass der Unterricht in der zweiten
Landessprache spätestens in der 5. Klasse beginnt. Die dritte, mildeste
Variante wird vom Bundesrat favorisiert: Sie verlangt Frühfranzösisch
spätestens ab der 6. Klasse.
Derzeit ist allerdings fraglich, ob einer dieser Vorschläge im
Parlament mehrheitsfähig ist. Geschlossene Unterstützung kann der Bundesrat nur
bei der SP und den Grünen erwarten. «Die Kantone konnten sich nicht auf
gemeinsame Ziele für den Sprachenunterricht einigen», sagt SP-Nationalrat
Matthias Aebischer (BE). Er sei darum froh, dass der Bundesrat nun etwas tun
wolle.
Die SVP ist grossmehrheitlich gegen den Vorschlag. Für
Nationalrätin Verena Herzog (SVP, TG), die mit anderen Parlamentariern die
folgenschwere Anti-Frühfranzösisch-Motion im Thurgauer Grossen Rat eingereicht
hatte, ist das Vorgehen des Bundesrats «reine Zwängerei». Der Thurgau halte
sich ans geltende Sprachengesetz, das vorgibt, dass die Schüler am Ende der
obligatorischen Schulzeit über Kompetenzen in einer zweiten Landessprache
verfügen. «Ein Eingreifen des Bundes in die Bildungshoheit der Kantone ist
gegen unsere politische Kultur und widerspricht dem Föderalismus», sagt Peter
Keller (SVP, NW). Anders als dies Berset suggeriere, sei der Föderalismus
wichtiger für den Zusammenhalt des Landes als der Sprachenunterricht. Auch
Christian Wasserfallen (FDP, BE) ist gegen das Vorgehen des Bundesrats und
fragt, in welchen Bereich des Lehrplans sich der Bund wohl als Nächstes
einmische.
«Englisch lernt jeder»
Die CVP-Nationalrätinnen Kathy Riklin (ZH) und Andrea Gmür (LU)
stützen den Bundesratsentscheid hingegen. Falls in der Primarschule nur noch
eine Fremdsprache unterricht werde, müsse dies eine Landessprache sein, sagt
Gmür. «Alles andere wäre ein Kulturverlust, und Englisch lernt sowieso jeder.»
Im Nationalrat könnte der Gesetzesentwurf mit einem Teil der CVP-Stimmen und
einer (welschen) Minderheit der FDP darum knapp mehrheitsfähig sein.
Schwierig sieht es dagegen im Ständerat aus, dem Hüter des
Föderalismus. Dieser liegt auch Joachim Eder (FDP, ZG) am Herzen; nur wenn der
Sprachfrieden auf dem Spiel stehe, könne er sich ein Bundesgesetz «als ultima
ratio» allenfalls vorstellen. Seine Parteikollegen Ruedi Noser (ZH) und Hans
Wicki (NW) sprechen sich hingegen bereits heute ohne Wenn und Aber gegen die
Bundeslösung aus, ebenso Brigitte Häberli (CVP, TG). Sie warnt davor, dass
gegen das Gesetz das Referendum ergriffen werde und es dann erst recht zum
Sprachenkrieg komme. «Ist das klug für den Zusammenhalt der Schweiz?»
Aufgrund solcher Stimmen ist SP-Nationalrat Jean-François
Steiert, selber ein Befürworter der Bundeslösung, derzeit alles andere als
sicher, dass es dafür eine Mehrheit gibt. Man stehe aber erst am Anfang des
Prozesses, gibt Steiert zu bedenken: «Je nachdem, wie die anstehenden
Abstimmungen in den Kantonen ausfallen, könnte dies die Offenheit für eine
Bundeslösung eher fördern.»
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