Peter Rothenbühler über
den Fremdsprachenunterricht und warum es nichts bringt, allen Kantonen den
Unterricht einer zweiten Landessprache bereits in der Unterstufe aufzuzwingen.
Wo bleibt das Welschlandjahr? Aargauer Zeitung, 11.7. von Peter Rothenbühler
Alain Berset meint es gut. Er möchte etwas für den
Zusammenhalt des Landes tun und denkt, dass dies über das Erlernen einer
zweiten Landessprache in der Schule geht. Leider irrt er sich. Auch wenn es ihm
gelingen sollte, als eidgenössischer Sprach-Vogt alle Kantone zu zwingen, mit
dem Unterricht einer zweiten Landessprache schon in der Unterstufe zu beginnen,
kommt er seinem Ziel, etwas Nachhaltiges für den Zusammenhalt des Landes zu
tun, nicht viel näher.
Denn
das wäre nur ein erster, kaum effizienter Schritt. Der Fremdsprachenunterricht
nützt nichts, wenn die Lehrer schlecht ausgebildet und unmotiviert sind und die
Schüler den Sinn ihres Lernens nicht einsehen. Der Fremdsprachenunterricht
leidet nicht darunter, dass er bald an einigen Orten erst in der Oberstufe
beginnt. Nein, er trägt nur wenig Früchte, wenn der Baum des Sprachunterrichts
nicht gedüngt und gewässert wird.
Ich
will sagen: es genügt nicht, die andere Landessprache in der Schule rein
theoretisch zu büffeln, wenn weder Lehrer noch Schüler je längere Zeit ganz in
die zu lernende andere Sprache eintauchen, indem sie sich ins andere
Sprachgebiet bewegen. Oder wenn die kleinen Westschweizer brav Deutsch lernen
und, kaum in Zürich angekommen, feststellen müssen, dass dort ein anderes Idiom
gesprochen wird. Oder wenn sie im Deutschschweizer Fernsehen die «Arena»
mitverfolgen wollen und nur Bahnhof verstehen, weil dort mindestens vierzig
unterschiedliche Dialekte gepflegt werden, aber nicht die deutsche Sprache, die
sie mühsam – und «im Interesse des Zusammenhalts des Landes» – gelernt haben.
Dort, wo der Bund Weisungsrecht hat, Verantwortung
übernehmen
Gerade
hier, bei der Förderung des Austausches auf sprachlicher Ebene, könnte der Bund
dort, wo er ein gewisses Weisungsrecht hat, Verantwortung übernehmen, statt die
Kantone zu massregeln. Übrigens: Das Land fällt auch nicht auseinander, wenn
wir alle miteinander nur noch Englisch sprechen. Zu gross sind unsere
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten. Klammer zu. Ich
habe es immer bedauert, dass wir zwar vier Landessprachen haben, dafür von
aller Welt bewundert werden, dass aber das Land keine massiven Anstrengungen
unternimmt, um den Austausch, das gegenseitige Verständnis zu fördern.
Ich
erinnere mich an die Zeit nach der Abstimmung über den EWR, wo die
Westschweizer massiv dafür und die Deutschschweizer massiv dagegen gestimmt
hatten. Als Versöhnungsgeste hat die «Schweizer Illustrierte» damals mit dem
rührigen Luzerner Verkehrsdirektor und den Hoteliers eine Willkommens-Aktion lanciert,
die allen Westschweizern erlaubte, ein verlängertes Wochenende in einem
Luzerner Hotel zum halben Preis zu verbringen. Sie kamen in Scharen, brachten
aus Dankbarkeit ganze Kisten Weisswein mit! Und gesprochen wurde gebrochen
Französisch und Deutsch.
Die Mehrsprachigkeit darf man nicht den Schulen
allein aufbürden
Und
wie war das früher mit dem Welschlandjahr? Jugendliche in der Berufsausbildung
lernten erst richtig Französisch, wenn sie ihre Zeit bei einem Weinbauern in
Féchy oder bei einer Madame in Epalinges oder auf der Post in Genf
absolvierten. Sie zehrten ein Leben lang von den Erlebnissen. Wo ist das
Welschlandjahr geblieben? Wo ist der Appell von Alain Berset an Coop, Migros,
Swisscom, SBB, Post, Novartis, UBS, Google und Nestlé, wieder systematisch
jeden Auszubildenden in das andere Sprachgebiet zu schicken?
Wo
bleibt der Appell der Medienministerin an die SRG, nationale Sendungen zu
kreieren, wo auf spielerische Art die Mehrsprachigkeit gepflegt wird, als Quiz,
als Samstagabendshow, als 1.-August-Sendung. Wo bleibt der Aufruf, doch bitte –
auch aus Rücksicht auf die vielen Ausländer – wenigstens den Wetterbericht auf
Hochdeutsch zu bringen? Wo bleibt der Rat, französische Filme im
Deutschschweizer Fernsehen in Originalversion zu zeigen, mit Untertiteln? Und
wo bleibt die Mahnung an alle Radios, wenigstens zehn Prozent Songs zu spielen,
die nicht englisch sind? Wo bleibt das forcierte Austauschprogramm für Schüler?
Wo
bleiben die Zuschüsse für zweisprachige Zeitungen? Man sieht, der Bund könnte vieles
tun, wenn es ihm wirklich ernst wäre mit der Förderung des Sprachunterrichts.
Die schweizerische Mehrsprachigkeit darf man nicht den Schulen allein
aufbürden. Schwimmen lernen kann man auch nur, wenn man ins Wasser geht.
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