Frau Edelmann, braucht die Schweiz
mehr Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationshintergrund?
Ja,
die brauchen wir. Die Schweizer Gesellschaft ist eine Migrationsgesellschaft,
und die Schule sollte ihr entsprechen. Im Moment steht die Schule noch eher als
monokulturelle Insel im transnationalen Raum. Dies steht im deutlichen Kontrast
zu der heterogenen Schülerschaft.
Doris Edelmann ist Leiterin des Instituts Schule und Gesellschaft der PH St. Gallen
"Weiss, weiblich, christlich", NZZ, 3.6. Interview mit Doris Edelmann, von Katrin Schregenberger
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Wie sieht die Lehrerschaft denn aus?
Sie ist
typischerweise weiss, weiblich, christlich, aus der Mittelschicht.
Wie sollte man das Ungleichgewicht
zwischen Schülern und Lehrern beheben?Teilweise
löst sich das Problem von alleine durch den demografischen Wandel. Anderseits
müssen die pädagogischen Hochschulen (PH) in ihrem Auftritt auch Schülerinnen
und Schüler mit Migrationshintergrund gezielt ansprechen, um sie für den Beruf
zu begeistern.
Schüler mit Migrationshintergrund
haben Angst, an die PH zu gehen?
Im Rahmen
unserer Studien haben viele Studierende mit Migrationshintergrund berichtet,
dass sie zu Beginn nicht wussten, ob sie an die PH passten, ob sie dort
erwünscht seien. Auch im Hinblick auf die Stellensuche hegten sie Zweifel, ob
ihr Hintergrund hinderlich sein könnte.
Sollte
man gezielt nach Studierenden mit Migrationshintergrund suchen?
Gezielte
Kampagnen sind zweischneidig. In Deutschland gab es vor ein paar Jahren die
Initiative: «Mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund an unsere Schulen!».
Dies ist eine gutgemeinte Idee. Aber so werden Lehrkräfte auf ihren
Migrationshintergrund reduziert. Die Betonung der Differenz kann zu einer
Stigmatisierung führen. Manche geraten dann unter Verdacht,
«Quoten-Migrantinnen und -Migranten» zu sein.
Aber immer mehr Schüler haben einen
Migrationshintergrund!
Ja, aber
gezielt nach Lehrpersonen mit Migrationshintergrund zu suchen, kann ins Negative
kippen. Diesen wird dann bisweilen die alleinige Zuständigkeit für Schülerinnen
und Schüler mit Migrationshintergrund zugesprochen. Die betroffenen
Lehrpersonen lehnen eine solche enge Rollenzuschreibung meist ab.
Aber viele Lehrer mit Migrationshintergrund
wollen explizit mit multikulturellen Klassen arbeiten.
Unsere
Forschungsergebnisse weisen in diese Richtung. Viele Lehrkräfte mit
Migrationshintergrund wollen eine Vorbildwirkung haben. Zeigen, dass in der
Schweiz alle Bildungserfolg haben können. In vielen Schulen ist es noch so,
dass Personen mit Migrationshintergrund nur durch den Hausdienst oder das
Reinigungspersonal vertreten sind.
Lehrer und Lehrerinnen mit
Migrationshintergrund sollen also Vorbilder sein. Mehr nicht?
Auch als
Informanten innerhalb des Kollegiums können sie eine wichtige Rolle einnehmen.
Eine Lehrerin, die einen modernen Islam lebt, kann dazu beitragen, Stereotype
und Vorurteile innerhalb einer Schule zu überwinden.
Und als Übersetzer? Es ist doch viel
einfacher, wenn eine Türkisch sprechende Lehrperson mit Türkisch sprechenden
Eltern kommuniziert.
Es kann
sinnvoll sein. Aber selbst wenn Sprachkenntnisse vorhanden sind, werden sie
nicht immer genutzt. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zögern oft, mit
Eltern in ihrer Herkunftssprache zu sprechen. Sie wissen nicht, ob sie das
überhaupt dürfen. Ihr ganzes Schulleben lang wurde ihnen gesagt: «Hier reden
wir Deutsch.» Das müsste an Kollegien und in Schulleitungen diskutiert werden:
Wann ist es in Ordnung, eine andere Sprache zu brauchen?
Beim Fall der Handschlag-Verweigerer
sind kulturelle Konflikte aufgebrochen. Hätte eine muslimische Lehrperson die
Situation verändert?
Das glaube
ich nicht. Ich kenne die Details in diesem Fall nicht. Es könnte sich hier um
eine gezielte Abgrenzung handeln, die vielleicht mit Frustration zu tun hat. Ab
Schulbeginn sollte die Vielfalt in den Schulen thematisiert werden. Ein «Du
bist anders und daher schlechter» sollte es nicht geben. Schüler und
Schülerinnen mit Migrationshintergrund, aber auch ihre Eltern, sollten von
Anfang an eine grosse Wertschätzung erhalten. In der Pubertät ist es dafür oft
zu spät.
Es ist doch kaum möglich, in der
Schule auf alle Sonderwünsche einzugehen.
Es geht
nicht in erster Linie um Sonderwünsche, sondern um Anerkennung. Wenn Schüler im
schulischen Alltag erfahren, dass sie anerkannt werden, dann baut sich weniger
Frust auf. Dann entstehen auch weniger Sonderwünsche.
Wie sieht es mit Sonderwünschen
vonseiten der Lehrpersonen aus? Wäre zum Beispiel eine Lehrerin, die aus religiösen
Motiven ihren Schülern die Hand nicht gibt, in einer Schule denkbar?
Bei der
Ausbildung von Lehrpersonen hat die Eignungsabklärung einen wichtigen
Stellenwert. Im Kanton St. Gallen zum Beispiel ist es verboten, mit Kopftuch zu
unterrichten. Generell kann man sagen: Wer seinen Glauben so streng auslebt,
dass er nicht mehr zu den Werten unserer Gesellschaft passt, wird den
Ansprüchen des Berufes nicht gerecht. Das gilt für alle Lehrkräfte, ob mit oder
ohne Migrationshintergrund.
Doris
Edelmann ist Leiterin des Instituts Bildung und Gesellschaft an der
Pädagogischen Hochschule St. Gallen.
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