3. Juni 2016

Monokulturelle Insel im transnationalen Raum

Frau Edelmann, braucht die Schweiz mehr Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationshintergrund?

Ja, die brauchen wir. Die Schweizer Gesellschaft ist eine Migrationsgesellschaft, und die Schule sollte ihr entsprechen. Im Moment steht die Schule noch eher als monokulturelle Insel im transnationalen Raum. Dies steht im deutlichen Kontrast zu der heterogenen Schülerschaft.
Doris Edelmann ist Leiterin des Instituts Schule und Gesellschaft der PH St. Gallen 
"Weiss, weiblich, christlich", NZZ, 3.6. Interview mit Doris Edelmann, von Katrin Schregenberger
Wie sieht die Lehrerschaft denn aus?
Sie ist typischerweise weiss, weiblich, christlich, aus der Mittelschicht.

Wie sollte man das Ungleichgewicht zwischen Schülern und Lehrern beheben?Teilweise löst sich das Problem von alleine durch den demografischen Wandel. Anderseits müssen die pädagogischen Hochschulen (PH) in ihrem Auftritt auch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gezielt ansprechen, um sie für den Beruf zu begeistern.

Schüler mit Migrationshintergrund haben Angst, an die PH zu gehen?
Im Rahmen unserer Studien haben viele Studierende mit Migrationshintergrund berichtet, dass sie zu Beginn nicht wussten, ob sie an die PH passten, ob sie dort erwünscht seien. Auch im Hinblick auf die Stellensuche hegten sie Zweifel, ob ihr Hintergrund hinderlich sein könnte.

Sollte man gezielt nach Studierenden mit Migrationshintergrund suchen?
Gezielte Kampagnen sind zweischneidig. In Deutschland gab es vor ein paar Jahren die Initiative: «Mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund an unsere Schulen!». Dies ist eine gutgemeinte Idee. Aber so werden Lehrkräfte auf ihren Migrationshintergrund reduziert. Die Betonung der Differenz kann zu einer Stigmatisierung führen. Manche geraten dann unter Verdacht, «Quoten-Migrantinnen und -Migranten» zu sein.

Aber immer mehr Schüler haben einen Migrationshintergrund!
Ja, aber gezielt nach Lehrpersonen mit Migrationshintergrund zu suchen, kann ins Negative kippen. Diesen wird dann bisweilen die alleinige Zuständigkeit für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zugesprochen. Die betroffenen Lehrpersonen lehnen eine solche enge Rollenzuschreibung meist ab.

Aber viele Lehrer mit Migrationshintergrund wollen explizit mit multikulturellen Klassen arbeiten.
Unsere Forschungsergebnisse weisen in diese Richtung. Viele Lehrkräfte mit Migrationshintergrund wollen eine Vorbildwirkung haben. Zeigen, dass in der Schweiz alle Bildungserfolg haben können. In vielen Schulen ist es noch so, dass Personen mit Migrationshintergrund nur durch den Hausdienst oder das Reinigungspersonal vertreten sind.

Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationshintergrund sollen also Vorbilder sein. Mehr nicht?
Auch als Informanten innerhalb des Kollegiums können sie eine wichtige Rolle einnehmen. Eine Lehrerin, die einen modernen Islam lebt, kann dazu beitragen, Stereotype und Vorurteile innerhalb einer Schule zu überwinden.

Und als Übersetzer? Es ist doch viel einfacher, wenn eine Türkisch sprechende Lehrperson mit Türkisch sprechenden Eltern kommuniziert.
Es kann sinnvoll sein. Aber selbst wenn Sprachkenntnisse vorhanden sind, werden sie nicht immer genutzt. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zögern oft, mit Eltern in ihrer Herkunftssprache zu sprechen. Sie wissen nicht, ob sie das überhaupt dürfen. Ihr ganzes Schulleben lang wurde ihnen gesagt: «Hier reden wir Deutsch.» Das müsste an Kollegien und in Schulleitungen diskutiert werden: Wann ist es in Ordnung, eine andere Sprache zu brauchen?

Beim Fall der Handschlag-Verweigerer sind kulturelle Konflikte aufgebrochen. Hätte eine muslimische Lehrperson die Situation verändert?
Das glaube ich nicht. Ich kenne die Details in diesem Fall nicht. Es könnte sich hier um eine gezielte Abgrenzung handeln, die vielleicht mit Frustration zu tun hat. Ab Schulbeginn sollte die Vielfalt in den Schulen thematisiert werden. Ein «Du bist anders und daher schlechter» sollte es nicht geben. Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund, aber auch ihre Eltern, sollten von Anfang an eine grosse Wertschätzung erhalten. In der Pubertät ist es dafür oft zu spät.

Es ist doch kaum möglich, in der Schule auf alle Sonderwünsche einzugehen.
Es geht nicht in erster Linie um Sonderwünsche, sondern um Anerkennung. Wenn Schüler im schulischen Alltag erfahren, dass sie anerkannt werden, dann baut sich weniger Frust auf. Dann entstehen auch weniger Sonderwünsche.

Wie sieht es mit Sonderwünschen vonseiten der Lehrpersonen aus? Wäre zum Beispiel eine Lehrerin, die aus religiösen Motiven ihren Schülern die Hand nicht gibt, in einer Schule denkbar?
Bei der Ausbildung von Lehrpersonen hat die Eignungsabklärung einen wichtigen Stellenwert. Im Kanton St. Gallen zum Beispiel ist es verboten, mit Kopftuch zu unterrichten. Generell kann man sagen: Wer seinen Glauben so streng auslebt, dass er nicht mehr zu den Werten unserer Gesellschaft passt, wird den Ansprüchen des Berufes nicht gerecht. Das gilt für alle Lehrkräfte, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Doris Edelmann ist Leiterin des Instituts Bildung und Gesellschaft an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.



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