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Lehrpersonal mit Migrationshintergrund – diese Forderung kommt immer wieder
auf. Ist sie angebracht? Es bestehen Zweifel. Zahlen zum Thema gibt es kaum.
Den Handschlag
verweigern, das ist etwas Neues. Als zwei syrische Brüder aus Therwil vor
einigen Wochen ihrer Lehrerin aus religiösen Motiven die Hand nicht geben
wollten, kam es zum Eklat. Die öffentliche Empörung wuchs noch, als die
Schulleitung die Verweigerung der beiden Muslime vorerst akzeptierte. Der Fall
Therwil ist ein Einzelfall. Doch wirft er die Frage auf, wie verschiedene
Kulturen in der Schule unter einen Hut gebracht werden können. Wäre der Fall
anders verlaufen, wenn muslimische Lehrer involviert gewesen wären?
Die Kurdin Dilsad Grifone, Lehrerin für die Gymnasialstufe, unterrichtet Flüchtlinge und Migranten, Bild: Goran Basic Unsere Schule - zu schweizerisch? NZZ, 3.6. von Katrin Schregenberger |
Jasmin El Sonbati,
Gymnasiallehrerin in Basel und Mitbegründerin des Vereins für einen
fortschrittlichen Islam, will dem muslimischen Hintergrund nicht zu viel
Gewicht geben: «Es kann sein, dass ich als Muslimin anders reagiert hätte. Das
gilt aber nicht für alle Muslime», sagt sie. Generell führe eine Ethnisierung
der Lehrerschaft in die falsche Richtung. «Muslimische Lehrer sollen nicht nur
für Muslime da sein, sondern für alle Schüler.» Im Fall Therwil ist ihr Appell
klar: «pädagogisieren statt religionisieren». Aber auch El Sonbati sieht: «Die
Verunsicherung in der Lehrerschaft ist sehr gross. Es fehlen Informationen zum
Islam.»
Problematisches Etikett
Sollte
es mehr Lehrer und Lehrerinnen geben, die durch ihren Migrationshintergrund als
kulturelle Vermittler wirken? Die Forderung jedenfalls ist seit längerem
gestellt: Im Jahr 2000 empfahl die Schweizerische Konferenz der
Erziehungsdirektoren (EDK) die Heterogenität, «das Exotische» in die Schulen zu
holen. Die Rektorinnen und Rektoren der Schweizerischen Pädagogischen
Hochschulen (damals COHEP) bliesen 2007 ins gleiche Horn. In Deutschland wurde
die Forderung noch vehementer placiert: Erst letztes Jahr wünschte sich
Bundeskanzlerin Merkel mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an den deutschen
Schulen. Und auch der Lehrerverband würde es nicht zuletzt wegen des
Lehrermangels begrüssen, wenn mehr Migranten diesen Beruf wählten.
Die
Forderungen sind also da. Was fehlt, sind die Zahlen. Wie viele Lehrer mit
Migrationshintergrund es an den Schweizer Schulen gibt, weiss niemand. Das
Bundesamt für Statistik hat nur rudimentäre Daten zur Lehrerschaft: 5,7 Prozent
aller Lehrer und Lehrerinnen auf allen Schulstufen haben einen ausländischen
Pass. Schweizer Lehrpersonal mit Migrationshintergrund ist nicht erfasst. Im Vergleich:
Rund ein Viertel der Lernenden aller Stufen sind Ausländer, 30 Prozent der
Schüler sprechen als Muttersprache nicht die Ortssprache.
Die
Schule als Ort der gesellschaftlichen Integration soll ein Abbild ebenjener
Gesellschaft sein. Darin sind sich Politik und Fachwelt einig. Problematisch
ist die explizite Forderung nach mehr Lehrpersonal mit Migrationshintergrund
aber trotzdem, wie Bruno Leutwyler, Professor an der Pädagogischen Hochschule
Zug, in einer Studie aufgezeigt hat. Erstens sei die Kategorisierung zu
statisch: «Die Forderung suggeriert, dass Lehrer mit Migrationshintergrund eine
angeborene, besondere Eigenschaft hätten.»
Dabei
umfasse die Kategorie ganz unterschiedliche Migrationserfahrungen. «Wenn ein
Lehrer aus Konstanz in Kreuzlingen unterrichtet, heisst das nicht, dass er mit
einem syrischen Kind besser umgehen kann.» Zweitens handle es sich hier um eine
hochproblematische Etikettierung. «Differenzen werden aufgebaut und die
Lehrpersonen dadurch ausgegrenzt.» Die Lehrer würden auf ihren Hintergrund
reduziert.
Sporttag und Ramadan?
Drittens
führe die Forderung dazu, dass einzelne Personen quasi als Sonderbotschafter
für interkulturelle Fragen in die Pflicht genommen würden, anstatt dass die
Institution sich in eine interkulturell kompetente Schule entwickle.
Interkulturell kompetent sein heisst hier: den Dialog suchen. Und einen
kreativen Umgang mit kulturellen Unterschieden zu finden.
Leutwyler
gibt ein Beispiel: «Wenn der Sporttag zur Zeit des Ramadan stattfindet, dann
kann man einzelnen Schülern andere Rollen geben und sie zum Beispiel als
Schiedsrichter einsetzen.» Diesen Umgang müssten alle Lehrer lernen.
Dass
es keinen Migrationshintergrund braucht, um mit Klassen mit hohem Ausländer-
und Migrationsanteil zu arbeiten, weiss auch Markus von Siebenthal. Er ist
Lehrer an der Sek G in Kreuzlingen. In seinen Klassen haben manchmal 50
Prozent, manchmal aber auch 80 oder 100 Prozent der Schüler und Schülerinnen
Migrationshintergrund. «Die Zusammensetzung meiner Klasse merke ich nicht»,
schickt er voraus. Im Unterricht setzt er auf Regeln – und zwar ohne
Sonderrechte. Um die Regeln durchzusetzen, brauche es eine ehrliche
Kommunikation – auch mit den Eltern.
Doch
könnten gerade hier Lehrer mit Migrationshintergrund nicht helfen? «Das wäre
sicher ein Mehrwert», sagt von Siebenthal. Ob eine solche Lehrperson dann mit
den Schülern aber besser arbeiten könne, sei nicht klar. «Vielleicht wäre der
Lehrer auch viel strenger.» Oder die Lehrperson kommt in einen
Identitätskonflikt, wie dies von Siebenthals Vorgänger passiert ist: Dieser
habe begonnen, mit Schülern in der Muttersprache zu reden. Dabei sei es aber
nicht geblieben. Der Lehrer habe sich mit einigen Schülern verbrüdert, was zu
Problemen geführt habe.
Lehrer
mit Migrationshintergrund haben durchaus das Potenzial, in den Schulen als
Informanten für kulturelle Vermittlung zu wirken (siehe Interview). Obwohl
Migranten im Lehrerberuf untervertreten sind, fehlt es in der Schweiz an
Bestrebungen, dies zu ändern. Die pädagogischen Hochschulen (PH) werben nicht
gezielt Studierende mit Migrationshintergrund an. Man hofft, dass sich das
Problem irgendwann von alleine löst.
In der Falle
Andere
hinterfragen die Kategorie «Migrationshintergrund» grundsätzlich und
postulieren, dass alle Lehrer, unabhängig von ihrem Hintergrund, interkulturell
fähig sein sollten. Fest steht: Auch in Bezug auf die Zahlen zu den angehenden
Lehrerinnen und Lehrern kann nur spekuliert werden. Nur einzelne PH haben
eigene Erhebungen gemacht. So hatte die PH Luzern 2010 13 Prozent Studenten mit
Migrationshintergrund, die PH St. Gallen kam ein Jahr später auf 17 Prozent. An
der PH Thurgau hatte im Jahr 2015 ein Viertel der Studenten mindestens einen
Elternteil, der weder in der Schweiz noch in Deutschland geboren wurde.
Die
Rekrutierung ist das eine. Die Karriereaussichten sind das andere. Manche
bleiben auf dem Migrationshintergrund sitzen. Dilsad Grifone ist eine davon.
Die Kurdin hat studiert und könnte eigentlich am Gymnasium oder an der
Berufsschule lehren. Nur hatte sie noch nie die Chance dazu. Stattdessen
unterrichtet sie Flüchtlinge und Migranten im 10. Schuljahr, was ihr
grundsätzlich gut gefällt, aber fachlich unbefriedigend ist. «Für die Schule
ist das gut, für mich ist es eine Sackgasse», sagt sie.
Auch
hier ist klar: Dilsad Grifone ist zuerst ein individueller Fall, und
Diskriminierung lässt sich nicht beweisen. Dann aber ist er ein Hinweis auf ein
existentes, wenn auch nicht quantifizierbares Problem. «Ich möchte nicht immer
auf meinen Migrationshintergrund reduziert werden», sagt Grifone. Sie sitzt in
der Migrationsfalle. Die Schweizer Schule steckt ihrerseits noch in der
Inländerfalle.
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