30. Juni 2016

In den Rücken gefallen

Ein bürgerlich gesinnter Lehrer am Gymnasium Liestal – traditioneller Verfechter ­schulischer Disziplin – sanktioniert eine Vielzahl unentschuldigter Absenzen einer Schülerin mit Arrest und einem Eintrag im Zeugnis. Daraufhin meldet sich der Anwalt der Familie und verlangt die Rücknahme der Strafen. Der ­Lehrer verfasst eine formelle Abmahnung und kündigt eine Verwarnung der Schulleitung an.
Baselland schafft Lehrerberuf ab, Basler Zeitung, 30.6. von Roland Stark


Die Schülerin präsentiert mittlerweile ein Arztzeugnis, das ihr wiederholte Migräneanfälle bescheinigt. Der Rektor weist den Lehrer an, die Absenzen in «entschuldigt» umzufälschen und die Datenbank der Schule entsprechend zu korrigieren. Der Lehrer weigert sich, worauf das Zeugnis vom Konrektor anstatt vom Klassenlehrer ­unterschrieben wird. Der desavouierte Lehrer reicht beim rot-grün dominierten Schulrat Beschwerde ein mit der Begründung, die im Bildungsgesetz festgelegte Kompetenzverteilung zwischen Klassenlehrer und Schulleitung sei missachtet worden. Der von einem Sozialdemokraten präsidierte Schulrat schmettert die Eingabe ab, weil der Lehrer nicht beschwerdelegitimiert sei. Auch die nächste ­Instanz, der rot-grüne Regierungsrat, bestätigt den Entscheid des Schulrates und brummt dem Lehrer noch eine Rechnung für die Verfahrens­kosten von 400 Franken auf. Gestern hat nun auch noch das linke Kantonsgericht die Beschwerde des Lehrers abgewiesen.

Die parteipolitischen Fronten scheinen klar. Fast. Zwar sind die Fakten des Falls unbestritten, die Etiketten der betroffenen Personen müssen jedoch ausgetauscht werden. Das ideologische Weltbild steht kopf.

Der angeprangerte Lehrer ist Sozialdemokrat, der Schulratspräsident gehört ebenso wie die ­Bildungsdirektorin Monica Gschwind der FDP an. Der Regierungsrat insgesamt ist stramm bürgerlich ausgerichtet. Die Kuschelpädagogen kommen für einmal aus dem rechten Lager. Das von den bürgerlichen Erziehungsboykotteuren ausgesendete Signal ist verheerend. Regelverstösse bleiben ohne Folgen, engagierte Lehrer werden im Regen stehen gelassen, ihre Autorität wird geschwächt. Schul­behörden knicken vor den Eltern und den Anwälten ein und fallen der ­Lehrerschaft in den Rücken. Strittige Probleme (Stichwort Handschlag) werden im Kanton Basel-Land offenbar nicht mehr pädagogisch, sondern nur noch juristisch beurteilt. Eine Bankrotterklärung auf der ganzen Linie.

In über vierzig Jahren Schuldienst, elf in ­Pratteln (BL), ist mir ein derartiger Fall noch nicht begegnet. Die in dieser Zeit aufgetischten Aus­reden für Absenzen, Verspätungen oder fehlende Hausaufgaben füllen Regale: Der Bus ist ausge­fallen – meine Mutter hat verschlafen – der ­Hamster hat das Kabel vom Radiowecker durchgebissen – die Katze hat das Matheheft gefressen. Nicht im Traum wäre es den Vorgesetzten in den Sinn gekommen, den Lehrerinnen und Lehrern die Unterstützung zu versagen, weil ihre Strafen von den Schülern oder den Eltern als ungerecht empfunden wurden. Anwälte kannten wir damals nur aus den Krimis oder aus dem «Tatort im Fernsehen». Auf dem Schulareal hatten sie nichts verloren.

Unterdessen klammert sich die Schulbüro­kratie im Zweifelsfall an juristische Gutachten wie Besoffene an den Laternenpfahl. Paragrafen ­können aber Kompetenz, Urteilsvermögen und Rückgrat nicht ersetzen. «Jeder Beschäftigte steigt so weit auf, bis er seinen Grad der Inkompetenz erreicht hat.» In der Bildungspolitik wirkt sich das Peters-Prinzip verhängnisvoll aus.

Auch in Liestal.


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