8. Mai 2016

Konstruktivismus als Unterrichtsprinzip

Der Schaffhauser Erziehungsrat Christian Amsler hatvor der versammelten Lehrerschaft in der Schaffhauser Eishockey-Arena deutlicheWorte gewählt. Der Lehrplan 21 habe bereits viel Kritik provoziert, aber es gehe nicht um eine Idee, sondern um die Kinder.
Der Lehrplan 21 will das eigenverantwortliche Lernen bei den Schülern und Schülerinnen fördern. Die Lehrer sollen dabei die Kinder begleiten, sozusagen als Lernbegleiter funktionieren. Gegen diesen Plan gibt es auch in Schaffhausen Widerstand. Politische Vorstösse wollen die Einführung verhindern.
Konstruktivismus als Unterrichtsprinzip, von Markus Niederdorfer, 4.5.


Wie in den meisten Kantonen ist der Lehrplan21 im Ziel angekommen. Die EDK und Erziehungsdirektoren beschwören, besänftigen oder schweigen. Ausnahme bilden die Kantone Wallis, Baselland und Appenzell, wo ein klares Bekenntnis zur bestehenden Volksschule abgegeben wurde. Für die Romandie und das Tessin, ist die Diskussion nicht von Bedeutung, da sie sich nur an die eidgenössischen Bildungsstandards halten.
Deshalb verdienen die klaren Worte des Schaffhausers Regierungsrates Christian Amsler Anerkennung. Er nennt das Kind beim Namen.  Der Lehrer wird zum Lernbegleiter und das Kind zum Konstrukteur seiner Wirklichkeit. Genau dies sieht der pädagogische Konstruktivismus auch vor. 

Prof. Dr. Rolf Arnold sagt es so: 
„Neu Denken“ ist in Mode gekommen – auch in der Pädagogik. Dort wird nicht nur Schule „neu gedacht“, auch die Möglichkeiten und Grenzen von Lehrerinnen und Lehrern geraten neu in den Blick, wobei man alles zugleich vorfindet: Man testet und beurteilt – möglichst im internationalen Maßstab – Lehrerleistungen, auch mit dem zumeist unausgesprochenen Ziel, Verantwortlichkeiten zu „regeln“ oder doch zumindest Eindeutigkeiten und Standardisierung herzustellen, wo alles so unübersichtlich zu werden droht. Zugleich verbreitet sich in der Pädagogik seit einigen Jahren aber auch eine konstruktivistische Skepsis, welche in vielen Bereichen aufgegriffen wird, aber doch die Unübersichtlichkeit zunächst eher verstärkt, weil vermeintliche Gewissheiten ins Wanken geraten – vorausgesetzt, man lässt sich darauf wirklich ein. Der Konstruktivismus ist nun der Versuch, zunächst unser Denken selbst neu zu denken, bevor wir anfangen, mit unserem vertrauten Denkmustern „Neues“ zu denken, wobei letztlich nichts herauskommen kann. Konstruktivismus ist deshalb zunächst und in aller erster Linie eine Erkenntnistheorie. Er geht an die Wurzeln und ist deshalb „radikal“. Deshalb gibt es auch keinen „Radikalen Konstruktivismus“, der Konstruktivismus ist per se „radikal“. 

Ich sehe, was ich sehe

Was hat dieses nun, so mag man sich fragen, mit Unterricht und Schule zu tun? Die Antwort ist: „Es gibt kein Richtiges im Falschen!“ Wir können nicht so tun als wüssten wir Bescheid, wenn uns die neueren Forschungen immer nachdrücklicher mit der Tatsache konfrontieren, dass die Welt, wie wir sie sehen, ein Produkt unserer Sinnesorgane ist.
Die folgende Gegenüberstellung (Abb.1) ist zugegebenermaßen zuspitzend. Sie zeigt jedoch, dass wir heute auf dem Weg sind, uns von den Interventionshoffnungen und den
Machbarkeitsphantasien, wie sie auch die Bildungspolitik immer noch teilt, mehr und mehr zu lösen. Der Grund liegt darin, dass wir erkannt haben, dass nachhaltiges und kompetenzbildendes Lernen davon abhängig ist, ob es gelingt, die Vielfalt der Aneignungslogiken der Subjekte zunächst zu respektieren und ihre Aneignungsaktivitäten zu fördern.


Mechanistische Didaktik
Systemische  Didaktik

Lehr-Lernprozess als lineares Geschehen zwischen dem Lehrenden bzw. dem Sachanspruch und dem Lernenden
Linearität
Zirkularität
Lehr-Lernprozess als interdependentes Geschehen, in welchem sich die Vorstrukturen und
„Lernprojekte“ der
Lernenden artikulieren
Die Wirkungen des
Unterrichts lassen sich in einer Vorher-NachherLogik beurteilen und sogar
„messen“
Wirkungssicherheit
Wirkungsoffenheit
Die Wirkungen sind von einer Fülle nicht überschaubarer Variablen und von der Eigenlogik der Lerner abhängig und deshalb notwendig auch spezifisch
Der Lehrende hat die Lerner zu motivieren und zu den erwarteten Ergebnissen zu führen
Führen
Selbsttätigkeit
Die Lernenden können prinzipiell nur selbst lernen, es gilt, ihre
Motivation zu entdecken
Qualität und Erfolg des Lehr-Lerngeschehens sind vom Input des Lehrenden abhängig
Inputsteuerung
Prozesssteuerung
Qualität und Erfolg des Lehr-Lernprozesses ist von der Eigenlogik der lernenden Systeme abhängig
Quelle:  Prof. Dr. Rolf Arnold; Pädagogischer Konstruktivismus, Teil 1/2


Die Grundlage des Lehrplan21 fusst auf diesem "neuen" Lernkonzept.  Es geht davon aus, dass das Kind sich auf Grund der Reize, Lernlandschaften, welche die Schule oder Lehrperson aufbaut, sich auf den Weg macht, um sich nahhaltiges Wissen anzueignen, mit welchem es später in der Lage ist, den Herausforderungen des Lebens erfolgreich zu begegnen. Es ist auch zu sehen, dass der Lernzuwachs individuell, nicht linear erfolgt. Die Heterogenität wird damit zementiert. Die Kinder haben kaum mehr Möglichkeit, sich als Teil einer Gruppe zu sehen.

Gruppenerfahrungen wie gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten, sich gemeinsam zu freuen, sich zu unterordnen oder mal einen Widerstand zu organisieren, gehören nicht zum Konzept selbstorganisierten Lernens.  Hier befasst sich das Individuum mit sich und seinen Arbeitseinheiten. Wenn ein Kind über Jahre diesem Setting ausgesetzt ist, entwickelt es ein Bild von einer Realität, welches kaum mit der unseren übereinstimmt. Solidarität, Generationenvertrag und Gemeinschaft gehören zu den Verhaltensweisen, welche unsere Gesellschaft geprägt haben. Der zunehmende Individualismus stellt schon heute eine der grössten Herausforderungen für das Zusammenleben dar. Was aber geschieht, wenn eine ganze Generation europaweit diese Form von Bildung vorgesetzt bekommt? Hier schweigen die Bildungsexperten und Politiker, da es noch keine empirisch erhobenen Daten dazu gibt. Die USA könnte hier sicher Daten liefern, denn dort läuft diese Schulform schon seit Beginn des neuen Jahrtausends. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind dramatisch, falls man den Ausführungen der renommierten Bildungsexpertin und Historikerin Diane Ravitch glaubt.


Was passiert aber mit der klassischen, helfenden Lehrperson? Hier kennt Prof. Dr. Rolf Arnold auch die richtigen Antworten.

Basis bildet das Modell der Core-Kompetenzen.  Dieses stützt sich auf dem Bild des agierenden Machers, der genügend Zeit hat, sich immer wieder zu hinterfragen, dort wo nötig, nach zu justieren, damit er wieder frisch und "uptodate" wahrgenommen wird.
Mit seinem Gestaltungsraum schafft er die Produktionsräume, oder halt Lernlandschaften, in welche er seine Arbeiter schickt. Er kontrolliert, die Arbeitsprotokolle -natürlich nur auf die Zeit, nicht aber auf die Qualität, da ja seine Arbeiter ohne Fremdeinwirkung an ihren Produkten gestalten. In diesem Modell erkenne ich weiter den klassischen, erfolgreichen Coach, der selbstständig tätig ist – mit seiner breiten Toolbox in Systeme einwirkt und so das Ganze am Fluss hält. Und dann sich auf den nächsten Einsatz vorbereit und so sich motiviert einer neuen Herausforderung stellt.

Aber es ist halt ein Modell für Lehrpersonen, welche in ihrem Gestaltungsraum kontrolliert werden müssen. Denn nun wird noch der Buchhalter bemüht. Und wer führt die Buchhaltung? Die Lehrperson in sogenannten Portfolios, die sie zu Handen der Schulleitung, manuell oder elektronisch, nachzuführen hat und über ihren Stufenanstieg mitenscheiden.

Zweifelsohne birgt dieses Modell eine Fülle an Weiterbildungsmöglichkeiten.  Hier liegt viel Potential für die Fachhochschulen; und wir Lehrpersonen sind die Schüler, welche sich mit dem SOL vertieft auseinanderzusetzen haben. Gerne würde ich diesem Modell noch eine weitere Kompetenz hinzufügen: GoodHealthKeeping (GHK) Damit kann die Burnout Gefährdung vermindert werden. 



Quelle: Prof. Dr. Arnold Pädagogischer Konstruktivismus, Teil 5

Im Kanton Schaffhausen freuen sich viele Lehrpersonen auf die neue Herausforderung. Sie vertrauen auf die Aussagen ihres Regierungsrates. Sie glauben an das Gute an der Sache. Und sie hoffen, dass sie die Ressourcen erhalten, damit sie den Auftrag erfüllen können.
Was sie aber auch nicht machten, ist eine klare Analyse darüber, wie die Volksschule sich weiterentwickeln soll, was zur Gestaltungs - und Schulentwicklungskompetenz gezählt wird. Diese schwere Arbeit wurde ihnen abgenommen, wie allen anderen Lehrpersonen. Denn die meisten beklagen sich jetzt schon über zu wenig Zeit, um sich mit der Zukunft ihres Kerngeschäftes auseinanderzusetzen.

Es ist nun an der Zeit sich gemäss den Core-Kompetenzen zu verhalten und Einfluss auf die totale Umgestaltung der Volksschule zu nehmen. 
Der Lehrplan21 ist noch nicht im Ziel. In der Schweiz kennen wir das Volksrecht. Und diese Hürde muss der Lehrplan21 noch überwinden.
Deshalb muss das Reformprojekt angehalten werden, damit nicht noch mehr Geld aus der öffentlichen Hand ausgegeben wird. Wenn das Volk den Lehrplan21 nach einer breiten Bildungsdebatte legitimiert, dann kann gemeinsam mit einem entsprechenden Mandat der Umbau der Volksschule vorangetrieben werden.

Regierungsrat Amsler hat gezeigt, welches die Benchmarks des Lehrplans21 sind. Ich benutze diesen der Wirtschaftswelt vertrauten Begriff, da über die elektronischen Testverfahren, welche zum nivellieren des Systems, entwickelt und benötigt werden, das Individuum, hier für Lehrer und Lernenden angewendet- in der Schule der Zukunft online "betreut" sind und "online" gecoacht werden. Die Schule von morgen ist output-orientiert, das heisst möchte Ergebnisse (Pisa) sehen. Die Ergebnisse werden aber kaum der Logik der Tests folgen, da dieses Messen dem konstruktivistischen Ansatz diametral entgegenwirkt. Der Lehrplan21 lässt zu viele Fragen offen.


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