26. Mai 2016

Die Vermittlerin

Wenn der Landrat den Lehrplan für die Volksschule absegnet, sei dieser breiter abgestützt, argumentiert Bildungsdirektorin Monica Gschwind. Sie kritisiert ihren Vorgänger Urs Wüthrich: Als sie ihr Amt angetreten habe, standen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Gschwind will Vertrauen schaffen.












Monica Gschwind stimmt zweimal "Ja", Bild: Kenneth Nars
Bildungsdirektorin Gschwind: "Ich sehe meine Rolle als Vermittlerin", Basellandschaftliche Zeitung, 24.5. von Hans-Martin Jermann


Frau Gschwind, klären wir zu Beginn ein mögliches Missverständnis: Stimmen wir am 5. Juni nur über eine Kompetenzfrage ab oder auch über den Lehrplan selbst?
Monica Gschwind: Wir stimmen ausschliesslich über eine Kompetenzfrage ab, über nichts anderes: Soll das Parlament den künftigen Lehrplan genehmigen oder weiterhin der Bildungsrat?
Aber jene, die dem Landrat die Entscheidkompetenz für den Lehrplan geben wollen, sind zugleich jene, die diesen inhaltlich kritisieren. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Kompetenzfrage und Inhalt.
Der Baselbieter Bildungsrat hat beschlossen, den von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) verabschiedeten Lehrplan 21 weitgehend zu übernehmen. Die Kantone sind im Umgang mit dieser Vorlage der EDK jedoch relativ frei. Sie dürfen den Lehrplan ihren Bedürfnissen und Verhältnissen anpassen, ohne dass deswegen die Bildungsharmonisierung infrage gestellt wird. Für mich als Bildungsdirektorin ist wichtig, dass wir am Ende über einen Lehrplan verfügen, der mehrheitsfähig ist. Zentral ist nun die Frage, in welchem Umfang der Lehrplan 21 aufs Baselbiet zugeschnitten wird. Im Kanton Baselland heisst der angepasste Lehrplan 21 «Lehrplan Volksschule». Die Zustimmung zu einer Verschiebung der Kompetenz kann meines Erachtens hilfreich sein, damit wir zu einem mehrheitsfähigen Lehrplan kommen, der seinen Namen verdient und im Sinne des Baselbiets ist.
Wie stehen Sie zur Kompetenzfrage beim Lehrplan und zur Beibehaltung von Einzelfächern?
Persönlich werde ich am 5. Juni zwei Mal Ja stimmen. Als Landrätin habe ich beide Parlamentarischen Initiativen mitunterzeichnet. Der Regierungsrat enthält sich einer Stellungnahme, weil es sich um Begehren handelt, die direkt dem Landrat entstammen. Zudem bin ich Präsidentin des Bildungsrates, der beide Vorlagen ablehnt. Sie sehen: Ich trage mehrere Hüte. Als eine meiner ersten Amtshandlungen als Regierungsrätin habe ich daher den sogenannten Marschhalt ausgerufen, der die relevanten Anspruchsgruppen aus der Bildung und ihre diversen Sichtweisen vereint. Ein wichtiger Schritt war, eine Lösung zu ermöglichen, die die Schulen vor einem grossen Problem bewahrt. Denn ohne den Marschhalt wären die Fächerverbünde bereits im kommenden August eingeführt worden. Ein Ja am 5. Juni zur Festschreibung der Einzelfächer hätte in den Schulen folglich zu schwierigen Situationen geführt. Sinn und Ziel des Marschhalts war unter anderem, Planungssicherheit zu schaffen.
«Der Bildungsrat kämpft um seine Existenz», war in Medienberichten zu lesen. Steht am 5. Juni der Bildungsrat zur Disposition?
Nein, die Abstimmung stellt den Bildungsrat nicht zur Disposition. Der Landrat hingegen hat bekanntlich eine Motion überwiesen, die eine Abschaffung des Bildungsrates fordert. Ich hätte das weniger starke Instrument des Postulats bevorzugt, um eine sorgfältige Prüfung vornehmen zu können. Nun müssen wir einen Weg finden, wie die Forderung umzusetzen ist. Meiner Meinung nach muss es ein Gremium geben, das sich mit Details zu Stundentafeln und Lehrmitteln auseinandersetzt. Die zentrale Frage ist, wer abschliessend darüber entscheiden darf. Die Vorarbeit, die die Mitarbeitenden meiner Direktion leisten, ist sehr wichtig. Ich lege aber auch Wert darauf, weitere Meinungen einzubeziehen.
Den Bildungsrat soll es weiterhin geben, er soll aber nicht abschliessende Entscheidkompetenz haben.
Das ist eine Möglichkeit. Es ist noch einiges zu diskutieren – etwa, wie ein solches Gremium für Bildungsfragen künftig personell zusammengesetzt wird. Zum Beispiel sind die Schulleitungen im Bildungsrat heute nicht vertreten. Das ist ein grosses Manko. Gefordert wird auch, dass an die Beschlusskompetenzen eines solchen Gremiums eine Finanzkompetenz geknüpft ist. Wenn eine neue Stundentafel beschlossen wird, hat das in der Regel Kosten zur Folge. Mit seiner Motion steht Baselland im Übrigen interkantonal nicht alleine da. Der Trend ist eindeutig: In einigen Kantonen wurde der Bildungsrat in den letzten Jahren abgeschafft. Es gibt aktuell noch sieben Deutschschweizer Kantone mit Bildungsrat.
Aus dem Bildungsrat hören wir den Vorwurf, dass Sie am liebsten ein Gremium hätten, das die Knochenarbeit verrichtet, aber nichts entscheiden darf.
Das ist Unsinn. Aus der Arbeit des Gremiums resultiert ja ein Produkt, das der Regierung zum Beschluss vorgelegt wird. Der Prozess ist entscheidend dafür, wie eine Vorlage am Schluss aussieht. Das Gremium hätte selbst ohne abschliessende Entscheidkompetenz weiterhin grossen Einfluss.
Weshalb sind Sie fürs Beibehalten von Einzelfächern?
Zunächst: Die Fächerverbünde sind kein zentraler Bestandteil des Lehrplans 21; er lässt sich auch mit Einzelfächern umsetzen. Für mich persönlich ist diese Frage auch nicht die alles Entscheidende. Ich sehe die Fächerverbünde im Prinzip aber eher kritisch, weil die Lehrer damit zu Generalisten werden. Damit sei nicht gesagt, dass die Einführung von Fächerverbünden zu einer Verschlechterung der Bildungsqualität führen würde. Dies auch deshalb nicht, weil sich Fächerverbünde auch unter jeweils spezialisierten Lehrkräften aufteilen lassen und die Ausbildung der Fachhochschule Nordwestschweiz auf die neue Situation an den Schulen Rücksicht nehmen würde. Wie auch immer das Volk entscheiden und der Lehrplan künftig aussehen wird: Es gibt Lösungen.
Mit dem 5. Juni ist die Debatte um die Bildungsreform nicht am Ende. Mehrere reformkritische Initiativen und Vorstösse, die meisten von der Starken Schule Baselland, stecken in der Pipeline. Wie gehts weiter?
Im Landrat ist eine Motion von Regina Werthmüller (GU) überwiesen worden, die auf allen Stufen einen Lehrplan mit konkreten Lernzielen statt den neuformulierten Kompetenzen fordert. In der Bildungsdirektion prüfen wir derzeit, wie dieses Anliegen umgesetzt werden kann. Wir müssen aber – und das gilt für alle Vorstösse und Initiativen –, mit unseren Schulen vorwärtskommen. Ziel des Marschhalts ist es, die unterschiedlichen Ideen für die Schule besser einzubinden, den Lehrern, Schulleitern und anderen Anspruchsgruppen besser zuzuhören, und zwischen den Partnern im Bildungswesen Vertrauen zu schaffen. Damit soll längerfristig eine Flut an Initiativen, so berechtigt sie im Einzelfall auch sein mögen, vermieden werden. Jede Initiative bringt auch Unruhe in die Schule. Ich will ein mehrheitsfähiges Bildungswesen.
Das klingt nach Kritik an Ihrem Vorgänger Urs Wüthrich. Als wäre früher das angesprochene Vertrauen nicht vorhanden gewesen.
Für mich zählt nur das Resultat, das ich am 1. Juli 2015 beim Amtsantritt angetroffen habe. Ich musste feststellen: Es fehlt an Vertrauen, es standen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Ich sehe meine Rolle deshalb als Vermittlerin zwischen den Polen im Bildungswesen, damit wir zur Ruhe kommen im Kanton Baselland. Ich stelle mich sehr gerne der Herausforderung, einen guten Weg zu finden, damit die Blockade in unserem Schulwesen aufgehoben werden kann.


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