Die Zahl sieben war bereits in der
babylonischen Kultur Zeichen für Wissbegierde und Vollkommenheit. Die Zahl
sieben trägt, was vollendet ist. Nicht von ungefähr begegnet uns diese Zahl auf
vielfältige Weise: sieben Wochentage, sieben Weltwunder, sieben Tugenden oder
in Märchen wie «Schneewittchen und die sieben Zwerge». So manches Märchen lesen
wir auch über die Sammelfächer. Wer dagegen ist, fördere zu wenig das vernetzte
Denken, schaffe eine Bildungsinsel oder sei einfach ein müder Lehrer, der sich
gegen Reformen stellt. Ich frage mich: «Spieglein, Spieglein an der
Wand» – was ist das Beste für die Bildung in unserem Land?
Schneewittchen und die sieben Einzelfächer, Basler Zeitung, 10.5. von Pascal Ryf
Heute haben
Sekundarschüler je zwei Lektionen Geschichte und Geografie pro Woche. Das neue
Sammelfach «Räume, Zeiten, Gesellschaft» (RZG) käme insgesamt auf lediglich
drei Wochenlektionen zu stehen. Ebenso sollen die Fächer Biologie, Chemie und
Physik zum Fächerverbund «Natur und Technik» zusammengeführt werden.
Praktizierende
Lehrpersonen sind oft nicht in allen Fächern eines Fächerverbundes ausgebildet.
Abhilfe schafft die Pädagogische Hochschule FHNW mit einem Zertifikatslehrgang:
Wer in einem der Fächer Biologie, Chemie oder Physik ausgebildet ist, belegt
den CAS (Certificate of Advanced Studies) «Fachdidaktik Natur und Technik». Sieben
Samstage genügen, und die Ausbildung zum Chemielehrer ist vollendet – dies
wohl nicht ganz im Sinne des babylonischen Zeichenverständnisses. Dazu kommen
noch drei Tage Schulpraktikum und eine Abschlussarbeit. Zum Schnäppchen von
11 130.00 Franken, der finanzstarke Kanton Baselland übernimmt die Kosten,
können auch noch die Module Physik oder Biologie besucht werden. Ein Schelm,
wer hier an eine Schnellbleiche denkt. Der ganze Kurs wird mit
15 Kreditpunkten (ECTS) ausgewiesen. Für ein Bachelorstudium in Chemie als
Nebenfach werden an der Universität 60 Kreditpunkte verlangt!
Ein guter Schulunterricht
erfordert fachlich sattelfeste Lehrpersonen und nicht Generalisten, die von
allem ein wenig, aber von nichts viel wissen. Lehrpersonen mit unzureichender
fachlicher und fachdidaktischer Kompetenz sind nicht nur eine Gefährdung für
die Unterrichtsqualität und das Ansehen des Berufsstandes, sondern insbesondere
im Fach Chemie ein veritables Sicherheitsrisiko. Auch kommen
Disziplinarprobleme häufiger vor, wenn ein Lehrer seiner Aufgabe nicht
gewachsen ist. So erstaunt es auch nicht, dass in einer Umfrage des
Lehrervereins Basel-Landschaft 73 Prozent aller Sekundarlehrpersonen sich
gegen die Sammelfächer ausgesprochen haben. Nicht weil sie Angst vor weiteren
Reformen haben, sondern weil sie das Risiko des Bildungsabbaus höher
einschätzen als einen möglichen Gewinn.
Lehrer denken
interdisziplinär
Trotz anderslautenden
Behauptungen sind die Einzelfächer mit dem Lehrplan 21 kompatibel. Dieser
verlangt nämlich nicht, dass in Integrationsfächern unterrichtet werden muss.
Auch das Schreckgespenst der «Bildungsinsel» greift zu kurz: Während im Kanton
Aargau zwar in der Realschule (Niveau A) naturwissenschaftliche Fächer im
Integrationsfach «Realien» unterrichtet werden, findet in der Sekundar- und
Bezirksschule (Niveau E/P) Unterricht in Einzelfächern statt.
Vernetztes Denken ist
nicht an Sammelfächer gebunden. Sehr wohl vorausgesetzt ist dafür aber das
ganzheitliche Beherrschen seiner Bausteine und Werkzeuge. Auch heute
entwickeln engagierte Lehrpersonen Unterrichtseinheiten, in denen sie zwei oder
drei Fächer verbinden. Statt Geografie und Geschichte in das enge RZG-Korsett
zu zwingen, können im Geschichtsunterricht auch Bezüge zu Musik, Politik, Kunst
oder Literatur geschaffen werden. Diese Interdisziplinarität ist höchst
spannend, deswegen verlangt aber niemand, Geschichte und Deutsch in ein
Sammelfach zu integrieren.
Befürworter von
Sammelfächern führen gerne wissenschaftliche Studien ins Feld, um ihre
Argumente zu unterlegen. Doch ebendiese Publikation in «Science Education
between Science and the Teaching» kommt zum Schluss, dass «fächerübergreifender
naturwissenschaftlicher Unterricht im Pisa-Test zu den gleichen Resultaten
führt wie gefächerter Unterricht», und dass «es politisch einfacher ist, bei
einem Integrationsfach zu sparen als beim Zweistundenfach Physik».
Wenn also Lehrpersonen
schlechter ausgebildet, Geografie und Geschichte um eine Wochenlektion
abgebaut, Sammelfächer als Sparmassnahme durchgesetzt werden, der Kanton
Millionen für Schnellbleichen ausgeben soll und für die Jugendlichen kein
Mehrwert entsteht, fällt es leichter, ans Schneewittchen zu glauben als an
einen Bildungszuwachs. «Spieglein, Spieglein an der Wand» – die Wähler im
Kanton Baselland haben es in der Hand.
Pascal Ryf ist Schulleiter
der Primarschule Allschwil und CVP-Landrat.
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