7. März 2016

Zürcher Lehrer stellen Lehrplan 21 infrage

Der ZLV stört sich daran, dass die Zürcher Bildungsdirektion seinem Anliegen, wie der Lehrplan 21 umgesetzt werden soll, zu wenig Beachtung schenke. Wie der Verband am Montag mitteilt, verlässt er daher per sofort alle Arbeitsgruppen, die sich mit der Einführung des Plans im Kanton Zürich befassen. «Für die Bildungsdirektion sind die Lehrpersonenverbände offenbar nur Dekoration», lässt sich ZLV-Vizepräsident Kurt Willi zitieren.













Silvia Steiner: "Ohne Lehrer geht es nicht", Bild: Christian Beutler
Die Zürcher Lehrer stellen den Lehrplan 21 infrage, NZZ, 7.3. von André Müller und Walter Bernet


Konkret ist den Lehrern die Lektionentafel, wie sie der Bildungsrat unter dem Präsidium von Silvia Steiner (cvp.) favorisiert, ein Dorn im Auge: Diese sei in der Diskussion von allen Lehrpersonenverbänden abgelehnt worden. Ferner werden in der Mitteilung «fehlende Umsetzungsressourcen» beklagt; es soll also mehr Geld, insbesondere für Weiterbildungen, fliessen.

Der Verband schickt sich nun an, ein Powerplay aufzuziehen: Er werde den Lehrplan 21 nicht mehr unterstützen, sofern sich an den Rahmenbedingungen nichts ändere. Bisher hat sich der ZLV für den neuen Lehrplan ausgesprochen und will das gemäss Mitteilung auch künftig tun, «sofern die Rahmenbedingungen stimmen».

Fokussierung auf Vernehmlassung
Wie ZLV-Präsidentin Lilo Lätzsch auf Anfrage bestätigt, sind es nur noch vereinzelte Sitzungen, die vom Boykott betroffen sind. «Wir fokussieren uns jetzt ganz auf die Mitte April beginnende Vernehmlassung, statt Zeit in Sitzungen zu verbringen, die uns nach unseren Erfahrungen wenig bringen», sagt Lätzsch. Der Entscheid sei von der Geschäftsleitung gefällt worden und werde von allen Sektionen mitgetragen.

Der ZLV stehe inhaltlich nach wie vor voll hinter dem Lehrplan 21. Die Kritik richte sich nur an die Umsetzung im Kanton Zürich. Die Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen sei an sich gut verlaufen. Danach habe aber die vom Bildungsrat eingesetzte Steuergruppe wesentliche Anliegen der Lehrerschaft nicht berücksichtigt. Lätzsch hat später festgestellt, dass einzelne Bildungsräte über diese nicht einmal im Bild sind.

Die Kernanliegen des ZLV
Konkret geht es um die Lektionentafel, welche die Dotationen für die einzelnen Fächer regelt. Zwei die Mittelstufe (4. bis 6. Klasse) betreffende Kernanliegen des ZLV seien übergangen worden: Erstens sei die Lehrerschaft für eine maximale wöchentliche Lektionenzahl von 30 eingetreten, und zweitens habe sie sich gegen den spürbaren Abbau von Halbklassenlektionen gewehrt. Dazu komme die Zurückweisung der Möglichkeit, in der 3. Sekundarstufe berufliche Orientierung als Wahlfach anzubieten. Der ZLV sei enttäuscht, dass nur ein Vorschlag für die Lektionentafel in die Vernehmlassung gehen soll – die von allen Lehrerverbänden verworfene. Lätzsch fordert eine Wahlmöglichkeit.

Gut unterwegs sei man bei den Lehrmitteln, etwas enttäuscht vom Festhalten am Notenzeugnis, zu dem allerdings wirkliche Alternativen fehlten. Die knappen Ressourcen für Weiterbildung und Unterstützung könnten für einzelne Schulen zum Problem werden, sagt Lätzsch. Der ZLV plane nun, sich mit allen andern Lehrerverbänden zusammenzusetzen, sobald die Vernehmlassungsvorlage vorliege, um in möglichst vielen Punkten gemeinsame Eingaben zu formulieren.

Silvia Steiner prüft noch einmal
Bildungsdirektorin Silvia Steiner hält den Entscheid des ZLV für bedauerlich. Er sei ihr letzte Woche von ZLV-Präsidentin Lilo Lätzsch telefonisch angekündigt worden. Als Grund vermutet Steiner, dass sich abweichende Haltungen in diversen Punkten summiert hätten. Grundsätzlich stehe die Lehrerschaft hinter dem Lehrplan 21, der im beruflichen Alltag ja nur beschränkte Auswirkungen habe.

In den vom Bildungsrat, der für das Lehrplan-21-Projekt zuständig ist, eingesetzten Subkommissionen habe man generell keine Strichlisten geführt, woher welche der schliesslich bevorzugten Vorschläge gekommen seien. Wie Steiner sagt, hat sie veranlasst, dass jetzt die Anliegen der Lehrer nochmals gesammelt und separat zusammengestellt werden.

Ohne Lehrerschaft geht es nicht
Steiner fordert den ZLV auf, sich nicht zu verweigern. Ohne das Mittun der Lehrerschaft sei der Lehrplan 21 nicht umzusetzen. Sie selber werde das Gespräch suchen. Bisher habe man mit der Lehrerschaft immer Konsenslösungen gefunden, wie zum Beispiel bei dem Einführungsmodell und der Beurteilung. Dies erwartet die Bildungsdirektorin auch für die Stundentafel. Ein Entscheid sei in dieser Frage noch nicht gefallen. Der Bildungsrat soll die Vernehmlassungsvorlage der Zürcher Version des Lehrplans 21 am 19. März verabschieden. Vorher wird er sich insgesamt dreimal zu Sitzungen treffen. Die Auswertung der Vernehmlassung ist für Ende 2016 geplant.

Grundsätzliche Kritik am Lehrplan kam bisher vor allem von rechts: So ist vor einigen Monaten aus SVP- und EDU-Kreisen eine Initiative eingereicht worden. Darin wird gefordert, dass der Kantonsrat über die Einführung neuer Lehrpläne befinden und dessen Entscheide dem fakultativen Referendum unterstehen sollen. Faktisch geht es in erster Linie darum, den Lehrplan 21,für dessen Einführung der Fahrplan schon besteht, an der Urne noch abschiessen zu können.

Reaktionen aus dem Kantonsrat
Im Kantonsrat halten sich die Bildungspolitiker mit Einschätzungen noch zurück. Völlig erstaunt zeigt man sich nicht wegen des Schrittes des ZLV; dass die Zusammenarbeit nicht einwandfrei funktioniert hat, war kein Geheimnis.

Sabine Wettstein-Studer (fdp.) betont, wie wichtig es sei, die Lehrpersonen für den Lehrplan 21 zu gewinnen: «Ohne sie lässt sich der neue Lehrplan nicht umsetzen.» Sie findet es daher «sehr schwierig», dass sich der ZLV aus den Arbeitsgruppen verabschiedet hat – befürwortet aber, dass die Direktion mehrere Umsetzungsvarianten in die Vernehmlassung schickt.

Anita Borer, SVP-Kantonsrätin, die sich für die Initiative «Lehrplan vors Volk» einsetzt, möchte sich zu den vom ZLV kritisierten inhaltlichen Punkten erst äussern, wenn diese konkret ausformuliert sind. Dennoch sagt Borer: «Der Entscheid zeigt: Die Institutionen möchten mehr Mitsprache bei der Umsetzung des Lehrplans. Unsere Initiative bietet genau diese Möglichkeiten.» 

Durch die Initiative könnte die Drohung des ZLV mehr Gewicht erhalten. Borer sieht aber keine Gefahr, dass die Initiative so die Hand der Gewerkschaften stärke: «Wir fordern mit der Initiative eine allgemeine Mitbestimmung und keine konkreten inhaltlichen Massnahmen.» Es gehe darum, dass sich der Kantonsrat und allenfalls das Volk zum Lehrplan äussern können.


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