Soll das Zürcher Untergymnasium mit
Lateinobligatorium eine naturwissenschaftliche Schwester bekommen? Ja, sagt
eine Kommission des Kantonsrats - und ist sich doch nicht einig.
Ein neuer Typ Untergymnasium soll mehr Mathematiker und Naturwissenschafter hervorbringen, Bild: Gaetan Bally
Einmal Mathe, immer Mathe, NZZ, 3.3. von Walter Bernet
Die
Klage über den Nachwuchsmangel in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften
und Technik (Mint) ist zwar nicht mehr ganz jung, aber keineswegs verebbt.
Gegenmassnahmen wurden in den letzten Jahren auf allen Ebenen der Bildung
entwickelt - vom Physik-Kit für Kindergärten bis zur verbesserten Information
über Studiengänge und zur Gewinnung von Gymnasiastinnen für bis anhin
männerlastige Fachgebiete. Fast alle Gymnasien haben in den letzten Jahren die
Mint-Fächer gestärkt.
Das
löchrige Ofenrohr
Geblieben
ist eine unverrückbare Bastion: das Langgymnasium. Diese im Kanton Zürich tief
verankerte Institution der Begabtenförderung setzt in den ersten beiden Klassen
nach wie vor auf die bildende und das analytische Denken schärfende Kraft des
Lateinunterrichts, wenn die 7 oder 8 Wochenstunden Latein von früher auch einem
ausgeglichenen Verhältnis zur Mathematik gewichen sind. Soll diesem
altsprachlich geprägten Untergymnasium eine mathematisch-naturwissenschaftlich
geprägte Konkurrenz zur Seite gestellt werden? Und könnte diese tatsächlich
etwas bewirken im Kampf gegen den Mangel an einschlägigen Fachleuten?
Am
Montag wird der Kantonsrat über ein Postulat debattieren, das genau dies
verlangt. Dagegen gibt es gute Gründe. Als Ofenrohr-Argument bezeichnet Theo
Wirth, früher Fachdidaktiker für alte Sprachen, einen davon: Erfahrungen mit solchen
Klassen in Zug und Luzern zeigten, dass daraus am oberen Ende nicht mehr
Naturwissenschafter und Ingenieure hervorgingen, weil die Schüler wie durch
seitliche Rauchaustritte aus einem Ofenrohr längst vorher in einfachere Profile
wechselten. In der Kommission für Bildung und Kultur (KBIK) herrscht aber die
Meinung vor, das mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium sei einen
Versuch wert. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wie breit dieser Versuch
anzulegen wäre, ziemlich weit auseinander.
Eine
Kommissionsminderheit aus FDP, GLP, GP, CVP, EVP und AL stützt die Ansicht der
Regierung, dass ein Versuch, der im Untergymnasium anstelle von Latein mehr
Unterricht in Mint-Fächern anbietet und in ein
mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium mündet, sich auf einen einzigen
Mittelschulstandort beschränken sollte. Weitergehende Versuche würden sich zu
stark auf das Gesamtsystem mit Sekundarschule und Berufsbildung auswirken und
bedürften grundsätzlicherer Überlegungen, begründet Marc Kummer, der Chef des
Mittelschul- und Berufsbildungsamts, die Haltung der Regierung. Probleme
könnten sich beispielsweise ergeben, weil aus den Sekundarschulen an ein
mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium wechselnde Schüler schlechtere
Voraussetzungen als speziell geförderte Gymnasiasten mitbrächten.
Für
die Kommissionsmehrheit aus SVP, SP und EDU, aus deren Reihen das Postulat
ursprünglich stammt, ist dieses Vorgehen zu eng. Das Resultat wäre in ihrer
Sicht eine «Eliteklasse», die nur für die Besten zugänglich wäre. Wie
KBIK-Präsident Moritz Spillmann (sp., Ottenbach) sagt, würde nur ein breiterer
Versuch eine wirkliche Förderung im Mint-Bereich ermöglichen. Auch er und mit
ihm die Kommissionsmehrheit ist allerdings der Meinung, dass ein Versuch an
mehreren Standorten den Einbezug aller Akteure, namentlich auch der
Sekundarschule, voraussetzte.
Rämibühl
in den Startlöchern
Für
einen Versuch interessiert haben sich bisher das
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium (MNG) und das Realgymnasium (RG)
Rämibühl. Beide wären an einem gemeinsamen Versuch, an dem das RG das
Untergymnasium, das MNG als Kurzgymnasium die Fortsetzung übernähme,
interessiert. Nach Medienberichten über die Idee eines auf einen Standort
beschränkten Versuchs vor einem guten Jahr haben sich RG-Rektorin Ursula Alder
und MNG-Rektor Daniel Reichmuth zusammengesetzt und einen Vorschlag auf der
Basis von zwei Klassen vorbereitet, bei dem die Informatik einen der
wesentlichen Pfeiler darstellen würde. Entschieden sei noch nichts, sagen
Reichmuth und Alder. Man warte gespannt auf die Debatte im Kantonsrat.
Vorbereitet sind die Rämibühl-Schulen für beide Szenarien. Als Mitglied der
Schulleiterkonferenz Mittelschulen hält Alder es aber für einen klugen
Schachzug, den Versuch auf einen Standort zu beschränken, damit das austarierte
System im Kanton nicht beeinträchtigt werde.
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