Kinder in der ersten Klasse sind zunehmend unterfordert. Dies hängt damit
zusammen, dass sie teilweise schon im Kindergarten Buchstaben oder Zahlen
lernen. Das führt dann zu Langeweile bei den einen und Frust bei den anderen.
In der ersten Klasse steht das ABC und die kleinen Zahlen auf dem Lernprogramm, Bild: Keystone
Jedes dritte Kind kann vor der Einschulung lesen und schreiben, Aargauer Zeitung, 6.3.
«Wir haben seit einigen Jahren immer mehr Kinder,
die immer mehr können», sagt Andrea Lanfranchi, Forschungsleiter an der
interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, gegenüber der «Schweiz am
Sonntag».
In einigen Kantonen beherrsche heute jedes dritte Kind bereits am ersten
Schultag den Stoff, den es erst am Ende der 1. Klasse können sollte. Mehrere
Studien, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden, bestätigen diesen
Trend.
Afra
Sturm, Professorin für Deutschdidaktik an der Fachhochschule Nordwestschweiz,
sieht die Ursache für die jungen Lese- und Schreibkünstler in den Kindergärten.
Früher war es den Kindergärtnerinnen verboten, Buchstaben und Zahlen zu
erwähnen. Das sollte den Schulen überlassen werden.
Heute
ist das anders. Zeigt ein Kind Interesse an Büchern oder an Zahlen, darf es
diese Freude nun schon vor der Einschulung ausleben. Doch längst nicht alles
geschieht aus Eigeninteresse. Mami und Papi drängen ihren Nachwuchs zunehmend
zu Höchstleistungen. «Viele Eltern von kleinen Kindern haben Angst, etwas
Wichtiges zu verpassen», sagt der Psychologe und Heilpädagoge Lanfranchi.
Nach
Englisch in der Spielgruppe könne man heute tatsächlich Frühchinesisch buchen,
aber auch Schach für Kleinkinder oder «Violine ab 3». «Muss man schon als Baby
Algebra lernen? Sicher nicht!»
Dieser
«Frühförderungswahn» sei schädlich für die Entwicklung der Kinder. Das
wohlgemeinte «Projekt Kind» könne die Heranwachsenden überfordern. «Das Gras
wächst schliesslich nicht schneller, wenn man daran zieht», sagt Lanfranchi.
Gleichzeitig gäbe es Eltern, die ihre Kinder zeitlich und finanziell nicht so
unterstützen könnten, wie es nötig wäre.
Diese
Entwicklung fordert auch die Lehrerinnen und Lehrer. Wenn das Gefälle innerhalb
einer Klasse zu gross wird, droht der einen Gruppe Langeweile, der anderen
Frust und Überforderung.
Die
Lehrpersonen reagierten mit individualisiertem Unterricht, sagt Lehrerpräsident
Beat Zemp zur Zeitung. Doch wenn die Klassen immer grösser würden, sei dies
bald nicht mehr ausreichend möglich.
Zemp
warnt deshalb vor den geplanten Kürzungen der Bildungsbudgets in den Kantonen.
Neben grösseren Klassen spitze sich so auch der Mangel an Sonderpädagogen
weiter zu.
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