"Man schaut heute genauer hin und will möglichst alle Kinder fördern", NZZaS, 20.3. Interview von René Donzé
Lehrer beklagen sich, es gebe immer mehr auffällige Kinder. Zu
Recht?
Es trifft zu, dass der
Druck auf die Schule zugenommen hat. Es gibt auch mehr Kinder mit einer
Diagnose wie ADHS oder Autismus. Mir sind aber keine Studien bekannt, die
belegen, dass die psychische Gesundheit der Kinder in unseren Schulen sich
verschlechtert hat. Man schaut heute genauer hin und will möglichst alle Kinder
fördern - auch jene, die Schwierigkeiten haben oder Probleme bereiten. Eltern
erwarten das zu Recht von der Schule.
Was ist denn eine
Verhaltensstörung?
Das ist ein
umgangssprachlicher Oberbegriff für Auffälligkeiten von Kindern, die von ihrem
familiären oder schulischen Umfeld als schwierig eingestuft werden. Eine
Diagnose im fachlichen Sinn ist es nicht.
Früher wurden solche
Schüler sowie solche mit Lernschwierigkeiten in Kleinklassen geschickt. War
deren Aufhebung ein Fehler?
Aus meiner Sicht haben
Kleinklassen die Erwartungen nicht erfüllt. Trotz der kleineren Klassengrösse
und der sonderpädagogischen Qualifikation der Lehrpersonen wehrten sich Eltern
oft gegen Zuteilungen ihrer Kinder in diese Klassen.
Was war der Grund für diese
Skepsis?
Viele Kleinklassen waren
schwer zu führen, und es gab oft Lehrerwechsel. Wenn lauter Kinder mit
besonderen Bedürfnissen in einer Klasse sind, ist das Lernniveau tiefer, was
sich auf die Berufsaussichten der Jugendlichen auswirkt. Fremdsprachige Kinder
waren zudem stark übervertreten in diesen Klassen.
Gelingt die Integration
dieser Schüler?
Bei einem grossen Teil
gelingt sie. Es gibt für Kinder und Jugendliche in Regelklassen unterstützende
Massnahmen wie integrative Förderung, Deutsch als Zweitsprache, bei Bedarf auch
Therapien wie etwa Logopädie.
Ein Wildwuchs, wird oft
moniert.
Sicher hat das Grenzen.
Der Bedarf nach Fördermassnahmen muss regelmässig überprüft werden. Wenn sie
wenig bringen, setzt man sie ab. Einige Kinder lassen sich trotz aller
Unterstützung nicht in der Regelklasse beschulen.
Was passiert in solchen
Fällen?
Dann klären wir ab, ob
eine Sonderschulung nötig ist.
Allein in der Stadt Zürich
gibt es auf 28 000 Schüler etwa 1400 Sonderschüler. Das widerspricht doch dem
Integrationsgedanken.
Knapp ein Drittel der
Sonderschulungen findet integriert in Regelklassen statt. Es gibt aber Kinder,
die kaum zu integrieren sind, weil sie wegen einer schweren Behinderung eine
intensive Betreuung brauchen. Auch bei den verhaltensauffälligen Kindern kann
Sonderschulung nötig werden, wenn sie in der Klasse nicht mehr tragbar sind. In
der Stadt Zürich machen diese etwa einen Viertel aller Sonderschüler aus.
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