12. Februar 2016

Von Trojanischen Pferden

Endlich ist auch in der WoZ ein Dossier von Bettina Dyttrich erschienen, das sich kritisch mit der aktuellen Bildungspolitik auseinandersetzt. Die Bilanz am Schluss des Textes scheint mir politisch sinnvoll und richtig zu sein, wo Beat Ringger vom Denknetz einen „linken Schulgrundkonsens“ vorschlägt: Keine Checks, kein Schulranking, Methodenfreiheit, Mitbestimmung der Basis, wobei die letzte Forderung unbedingt noch konkretisiert werden müsste.

Von Trojanischen Pferden und anderen Ungeheuern, Ein Kommentar eines Schulmeisterleins zu den Kommentaren von anderen Schreiberlingen, Newsletter FACH, 11.2. von Georg Geiger
Leider hat die Autorin die vehemente Kritik am Lehrplan 21 und vor allem am höchst ideologischen Kompetenzbegriff nicht aufgenommen. Schade! Denn dieser Begriff ist das Trojanische Pferd des Neoliberalismus in der Schule von heute. Die Kritik am Lehrplan 21 wurde von führenden Bildungspolitikern bisher immer damit abgetan, dass Lehrpläne ja eigentlich gar nicht so wichtig seien und sich die LehrerInnen eh nur begrenzt daran orientieren würden. Dass jetzt aber mit rigiden, von der FHNW entwickelten Online-Tools bereits die Thurgauer Lehrkräfte bei der konsequenten Umsetzung des kompetenzbasierten Lehrplaneskontrolliert werden sollen, lässt aufhorchen. (Vgl. BaZ vom 11.2.2016)

Genau so tönt es auch beim Kompetenzbegriff: Keiner wisse ja so genau, worum es da eigentlich gehe, und jeder könne darin etwas Eigenes erkennen. Und mantrahaft betonen die Bildungsverwaltungen, es sei nun endlich Schluss mit dem Nürnberger Trichter und dem sinnlosen Stoff-Pauken, denn angesichts der Vierten Industriellen Revolution mache das überhaupt keinen Sinn mehr. Als ob nicht seit Jahrzehnten die LehrerInnen wissen, dass stures Stoff-Büffeln alleine nicht reicht! Seit Jahrzehnten unterscheiden deshalb die meisten Lehrpläne Fähigkeiten/Fertigkeiten, Wissen und Haltungen. Doch die Versprechungen klingen verführerisch: „Die Schule wird locker, kreativ, individuell. Klingt gut? In Wahrheit siegt nur die neoliberale Ideologie, und es entsteht ein neues Zwangssystem.“ So fasst der deutsche Philosoph Christoph Türcke in derSüddeutschen Zeitung vom 10.Februar 2016 die aktuelle Schulentwicklung treffendzusammen. Der Kompetenzbegriff ergreift zunehmend inhaltsleer den ganzen Menschen: Dieser soll nicht nur lernen, sondern auch zeigen, dass er ständig mit grosser Freude auch lernen will. So freudig, dass er alles ganz alleine machen kann und der Lehrer sich diskret in die Coaching-Ecke zurückziehen soll.

Die Angst vor den Folgen der Digitalisierung und der neoliberal geprägten Globalisierung treibt die Bildungspolitiker immer mehr voran. Nochmals Christoph Türcke: „Nur die Länder, deren Schul- und Hochschulabsolventen für den digitalisierten Kapitalismus gerüstet sind, werden international mithalten können – so lautet die Befürchtung. Und die überstürzte Folgerung daraus heisst: Am besten werde gerüstet sein, wer von klein auf in die zukunftsträchtigen Soft Skills eingeübt ist und von all dem Ballast, für den es intelligente Software gibt, befreit wird.“ Es ist absehbar, wohin die Inflationierung der Matur und der Akademisierungsdruck führen werden: „In der flexibilisierten Bildungswelt ist das Abitur ein Auslaufmodell.“ So die Bilanz des Philosophen. Eigentlich erstaunlich, dass die WoZ diese politökonomischen Zusammenhänge im Zusammenhang mit dem Kompetenzbegriff nicht aufgreift.

Mit einem simplen „Zurück zum Frontalunterricht“ aber ist es nicht getan, auch wennich dem Berliner Gymnasiallehrer Rainer Werner (FAZ) auf Grund meiner eigenen Unterrichtserfahrung durchauszustimme, dass das „klug geführte Unterrichtsgespräch von den Schülern als besonders effektiv, informativ, sie keineswegs bevormundende Lernform wahrgenommen wird.“ Doch in einem anregenden Mail zu diesem Artikel bringt ein Fachdidaktiker eine meiner Ansicht nach sinnvolle Differenzierung in die Debatte mit ein, wenn er schreibt: „Methoden generieren keine Schülerorientierung. Lehrervorträge oder Klassengespräche sind nicht per se schlecht und Schülerorientierung ist nicht das Gegenteil von Lehrerzentrierung (und de facto Lehrerverantwortung), sondern im Gegenteil Zuwendung zu den SchülerInnen in ihrem Bedürfnis, den Schulstoff zu verstehen. Dass guter Unterricht ein gemeinschaftliches Erlebnis ist, zu dem auch SchülerInnen beitragen dürfen und müssen, scheint mir dabei ebenso klar wie der Umstand, dass die Lehrpersonen eine klare Vorstellung davon entwickeln müssen, wie sie ihre SchülerInnen in die Lage versetzen können, wirklich etwas zu lernen. Da die meisten SekII-LehramtskandidatInnen von der Uni kommen und ohnehin einen leichten Hang zum „Dozieren“ haben, finde ich daher das explizite Lob des Frontalunterrichts (und die implizite Forderung danach, dass dieser mehr Raum erhält) etwas problematisch. Ein gutes Unterrichtsgespräch zu führen ist nämlich sau-schwierig - und die meisten scheitern daran (nicht nur AnfängerInnen). Und Gründe dafür sind vielfältig: der Stoff selbst, die fachlichen Kenntnisse oder die Tagesform der Lehrperson, Wille oder Unwille der SchülerInnen etc. Und ich ärgere mich, wenn Studierende sich entweder der Auseinandersetzung mit anderen Methoden verweigern oder einfach schlechten Unterricht abliefern mit dem Hinweis darauf, es sei ja jetzt belegt, dass der Frontalunterricht eben doch besser sei (Hattie und Co, oder eben dieser Artikel von Rainer Werner). Aus diesem Grund machen mich diese Beiträge nicht so happy, weil sie ja meistens nur oberflächlich rezipiert werden.“

Dem Weltwoche-Artikel misstraue ich. Der Schüler als selbstorganisierter Kleinunternehmer des eigenen Lernens, diese Hybridkonstruktion des Konstruktivismus: Sie entspringt nicht nur dem sozialdemokratischen Gutmensch-Pädagogen, sie ist auch und vor allem - wie bereits oben dargelegt - ein Produkt des Neoliberalismus. Das reflektiert der Weltwoche-Artikel in keiner Weise - geschweige denn die Weltwoche-Redaktion. Und dass man sich über die Genderanliegen und das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit lächerlich macht, das kommt den Herren Blocher und Köppel natürlich sehr gelegen. Denn nichts fürchten sie so sehr wie die Verbreitung der simplen Tatsache, dass unser aller ökologischer Fussabdruck in der Schweiz zwei- bis dreimal zu gross ist. Nachhaltigkeit gehört meiner Ansicht nach in Zeiten der Klimaerwärmung zu den Fundamenten eines Lehrplans, wie auch die Menschenrechte oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es geht nicht darum, den Jugendlichen irgendeine Ideologie überzustülpen, aber zum aufklärerischen Charakter unserer Kultur sollen wir stehen, und das soll auch in unseren schulischen Lehrplänen erkennbar sein: Gebrauche Deinen Verstand! Uebe Dich darin, alles kritisch zu hinterfragen! Und verhalte Dich dabei nach dem Kantschen Imperativ: Wenn die Maxime des eigenen Handelns sich danach richten soll, ob sie auch ein allgemeines Gesetz werden könne, dann gehört dazu auch die kollektive Ebene der Generationenabfolge, und nicht nur das Einzelsubjekt. Bezeichnenderweise waren der Genderaspekt und die Nachhaltigkeit dann die zwei Dinge, die von den Lehrplan-21-MacherInnen nach der kritischen Vernehmlassung am massivsten redimensioniert wurden. Angst vor der Kritik der rechten, der ‚Weltwoche‘-Ecke also?

Es gibt kein Zurück in die autoritäre Gotthelf-Schule, wie sie Anker so schön gemalt hat und wie sie Blocher so gerne melancholisch betrachtet, während er gleichzeitig die Welt mit seinen reaktionären neoliberalen Taten in eine ganz andere Richtung treibt. Es wird in den diversen kantonalen bildungspolitischen Abstimmungen der nächsten Zeit, was die Parolen anbetrifft, wohl immer wieder unheilige, aber notwendige  Allianzen von ‚rechts‘ und ‚links‘ geben. Aber zu mehr soll es nicht kommen, denn die SVP will nicht die selbe Schule wie ich – und wie wir vom FACH!

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