Endlich ist auch in der WoZ ein Dossier von Bettina Dyttrich erschienen, das sich kritisch mit der aktuellen Bildungspolitik auseinandersetzt. Die Bilanz am Schluss des Textes scheint mir politisch sinnvoll und richtig zu sein, wo Beat Ringger vom Denknetz einen „linken Schulgrundkonsens“ vorschlägt: Keine Checks, kein Schulranking, Methodenfreiheit, Mitbestimmung der Basis, wobei die letzte Forderung unbedingt noch konkretisiert werden müsste.
Von Trojanischen Pferden und anderen Ungeheuern, Ein Kommentar eines Schulmeisterleins zu den Kommentaren von anderen Schreiberlingen, Newsletter FACH, 11.2. von Georg Geiger
Genau
so tönt es auch beim Kompetenzbegriff: Keiner wisse ja so genau, worum es da
eigentlich gehe, und jeder könne darin etwas Eigenes erkennen. Und mantrahaft
betonen die Bildungsverwaltungen, es sei nun endlich Schluss mit dem Nürnberger
Trichter und dem sinnlosen Stoff-Pauken, denn angesichts der Vierten
Industriellen Revolution mache das überhaupt keinen Sinn mehr. Als ob nicht
seit Jahrzehnten die LehrerInnen wissen, dass stures Stoff-Büffeln alleine
nicht reicht! Seit Jahrzehnten unterscheiden deshalb die meisten Lehrpläne
Fähigkeiten/Fertigkeiten, Wissen und Haltungen. Doch die Versprechungen klingen
verführerisch: „Die Schule wird locker, kreativ, individuell. Klingt gut? In
Wahrheit siegt nur die neoliberale Ideologie, und es entsteht ein neues
Zwangssystem.“ So fasst der deutsche Philosoph Christoph Türcke in derSüddeutschen Zeitung vom 10.Februar 2016 die aktuelle Schulentwicklung treffendzusammen. Der Kompetenzbegriff ergreift zunehmend inhaltsleer den ganzen
Menschen: Dieser soll nicht nur lernen, sondern auch zeigen, dass er ständig
mit grosser Freude auch lernen will. So freudig, dass er alles ganz alleine
machen kann und der Lehrer sich diskret in die Coaching-Ecke zurückziehen soll.
Die Angst
vor den Folgen der Digitalisierung und der neoliberal geprägten Globalisierung
treibt die Bildungspolitiker immer mehr voran. Nochmals Christoph Türcke: „Nur
die Länder, deren Schul- und Hochschulabsolventen für den digitalisierten
Kapitalismus gerüstet sind, werden international mithalten können – so lautet
die Befürchtung. Und die überstürzte Folgerung daraus heisst: Am besten werde
gerüstet sein, wer von klein auf in die zukunftsträchtigen Soft Skills eingeübt
ist und von all dem Ballast, für den es intelligente Software gibt, befreit
wird.“ Es ist absehbar, wohin die Inflationierung der Matur und der
Akademisierungsdruck führen werden: „In der flexibilisierten Bildungswelt ist
das Abitur ein Auslaufmodell.“ So die Bilanz des Philosophen. Eigentlich
erstaunlich, dass die WoZ diese politökonomischen Zusammenhänge im Zusammenhang
mit dem Kompetenzbegriff nicht aufgreift.
Mit
einem simplen „Zurück zum Frontalunterricht“ aber ist es nicht getan, auch wennich dem Berliner Gymnasiallehrer Rainer Werner (FAZ) auf Grund meiner eigenen Unterrichtserfahrung durchauszustimme, dass das „klug geführte Unterrichtsgespräch von den Schülern als
besonders effektiv, informativ, sie keineswegs bevormundende Lernform
wahrgenommen wird.“ Doch in einem anregenden Mail zu diesem Artikel bringt ein
Fachdidaktiker eine meiner Ansicht nach sinnvolle Differenzierung in die
Debatte mit ein, wenn er schreibt: „Methoden generieren keine
Schülerorientierung. Lehrervorträge oder Klassengespräche sind nicht per se
schlecht und Schülerorientierung ist nicht das Gegenteil von Lehrerzentrierung
(und de facto Lehrerverantwortung), sondern im Gegenteil Zuwendung zu den SchülerInnen in ihrem Bedürfnis, den Schulstoff zu
verstehen. Dass guter Unterricht ein gemeinschaftliches Erlebnis ist, zu dem
auch SchülerInnen beitragen dürfen und müssen, scheint mir dabei ebenso klar
wie der Umstand, dass die Lehrpersonen eine klare Vorstellung davon entwickeln
müssen, wie sie ihre SchülerInnen in die Lage versetzen können, wirklich etwas
zu lernen. Da die meisten SekII-LehramtskandidatInnen von der Uni kommen und
ohnehin einen leichten Hang zum „Dozieren“ haben, finde ich daher das explizite
Lob des Frontalunterrichts (und die implizite Forderung danach, dass dieser
mehr Raum erhält) etwas problematisch. Ein gutes Unterrichtsgespräch zu führen
ist nämlich sau-schwierig - und die meisten scheitern daran (nicht nur
AnfängerInnen). Und Gründe dafür sind vielfältig: der Stoff selbst, die
fachlichen Kenntnisse oder die Tagesform der Lehrperson, Wille oder Unwille der
SchülerInnen etc. Und ich ärgere mich, wenn Studierende sich entweder der
Auseinandersetzung mit anderen Methoden verweigern oder einfach schlechten
Unterricht abliefern mit dem Hinweis darauf, es sei ja jetzt belegt, dass der
Frontalunterricht eben doch besser sei (Hattie und Co, oder eben dieser Artikel
von Rainer Werner). Aus diesem Grund machen mich diese Beiträge nicht so happy,
weil sie ja meistens nur oberflächlich rezipiert werden.“
Dem Weltwoche-Artikel misstraue ich. Der
Schüler als selbstorganisierter Kleinunternehmer des eigenen Lernens, diese
Hybridkonstruktion des Konstruktivismus: Sie entspringt nicht nur dem
sozialdemokratischen Gutmensch-Pädagogen, sie ist auch und vor allem - wie
bereits oben dargelegt - ein Produkt des Neoliberalismus. Das reflektiert der
Weltwoche-Artikel in keiner Weise - geschweige denn die Weltwoche-Redaktion. Und
dass man sich über die Genderanliegen und das Prinzip der ökologischen
Nachhaltigkeit lächerlich macht, das kommt den Herren Blocher und Köppel
natürlich sehr gelegen. Denn nichts fürchten sie so sehr wie die Verbreitung
der simplen Tatsache, dass unser aller ökologischer Fussabdruck in der Schweiz
zwei- bis dreimal zu gross ist. Nachhaltigkeit gehört meiner Ansicht nach in
Zeiten der Klimaerwärmung zu den Fundamenten eines Lehrplans, wie auch die
Menschenrechte oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es geht nicht
darum, den Jugendlichen irgendeine Ideologie überzustülpen, aber zum
aufklärerischen Charakter unserer Kultur sollen wir stehen, und das soll auch
in unseren schulischen Lehrplänen erkennbar sein: Gebrauche Deinen Verstand!
Uebe Dich darin, alles kritisch zu hinterfragen! Und verhalte Dich dabei nach
dem Kantschen Imperativ: Wenn die Maxime des eigenen Handelns sich danach richten
soll, ob sie auch ein allgemeines Gesetz werden könne, dann gehört dazu auch
die kollektive Ebene der Generationenabfolge, und nicht nur das Einzelsubjekt.
Bezeichnenderweise waren der Genderaspekt und die Nachhaltigkeit dann die zwei
Dinge, die von den Lehrplan-21-MacherInnen nach der kritischen Vernehmlassung
am massivsten redimensioniert wurden. Angst vor der Kritik der rechten, der
‚Weltwoche‘-Ecke also?
Es
gibt kein Zurück in die autoritäre Gotthelf-Schule, wie sie Anker so schön
gemalt hat und wie sie Blocher so gerne melancholisch betrachtet, während er
gleichzeitig die Welt mit seinen reaktionären neoliberalen Taten in eine ganz
andere Richtung treibt. Es wird in den diversen kantonalen bildungspolitischen
Abstimmungen der nächsten Zeit, was die Parolen anbetrifft, wohl immer wieder unheilige,
aber notwendige Allianzen von ‚rechts‘
und ‚links‘ geben. Aber zu mehr soll es nicht
kommen, denn die SVP will nicht die selbe Schule wie ich – und wie wir vom FACH!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen