18. Februar 2016

Ritalinabgabe verdoppelt

Im Jahre 2012 bezogen im Kanton Zürich 2.6% bzw. rund 3000 der Kinder im Schulalter ein MPH-Präparat (Ritalin, Concerta); in der Schweiz (ohne Kanton Zürich) waren es 2.4%. Es zeigen sich deutliche Geschlechtsunterschiede, indem 3.9% der Knaben im Schulalter, aber nur 1.3% der Mädchen im Kanton Zürich MPH erhielten.
Studie zur Behandlung mit Methylphenidat (MPH), Info-Bulletin "Eltern gegen Drogen", 1/2016


Betrachtet man die zeitliche Entwicklung der MPH-Verschreibungen im Kanton Zürich, so zeigt sich, dass sich die Verschreibungsprävalenzen im Zeitraum der Jahre 2006-2012 für beide Geschlechter nahezu verdoppelt haben. Allerdings fand dieses Wachstum primär zwischen 2006-2010 statt, danach haben sich die Fallzahlen in dieser Altersgruppe stabilisiert. Der Hintergrund für diese Zunahme kann aufgrund der schmalen epidemiologischen Datenlage nicht genau eruiert werden. Am wahrscheinlichsten scheint, dass in den letzten Jahren mehr Schulkinder (z. B. durch häufigere Abklärungen) eine ADHS-Diagnose erhielten und/oder ein zunehmender Anteil von diagnostizierten Kindern medikamentös behandelt wurde. Die Zunahme der MPH-Behandlungen muss jedoch nicht zwingend durch eine Veränderung der Behandlung in Richtung „mehr Medikamente“ bedingt sein, sondern ist auch allein durch vermehrte Abklärungen bzw. mehr diagnostizierte Fälle erklärbar.

Bei den Fachpersonen, welche MPH den Patienten erstmalig verschreiben, handelt es sich bei etwas mehr als der Hälfte um Fachärzte und -ärztinnen der Erwachsenen- oder Kinder- und Jugend-Psychiatrie. Je rund ein Fünftel der Erstverschreibenden sind Allgemeinpraktiker oder Pädiater. MPH wird somit in einer Mehrheit der Fälle durch Ärzte und Ärztinnen verschrieben, die einen fachspezifischen Bezug zur Behandlung von ADHS aufweisen.

Rund ein Viertel der MPH-Bezüger und -Bezügerinnen im Schulalter erhielt zusätzliche Medikamente verschrieben. Am häufigsten zählen die Begleitmedikamente zur Gruppe der sog. Analgetika bzw. schmerzlindernden Präparate. Eine gewisse Rolle spielen darüber hinaus Psycholeptika und Antidepressiva.

Verhaltensmerkmale: Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit
Einige Mütter beschreiben bei ihren Kindern Konzentrationsschwierigkeiten als auffälliges Verhaltensmerkmal. Die Kinder haben Mühe, sich bei spezifischen Aufgaben (z. B. Rechenaufgaben) zu fokussieren und lassen sich schnell ablenken. Die betroffenen Knaben und Mädchen würden gemäss Aussagen der Befragten „abtauchen“, seien in ihrer „eigenen Welt“ und können bei den Aufgaben nicht „dranbleiben“. Einige Mütter sprechen von Begabungen und Talenten ihrer Kinder, die sie aber oftmals nicht abrufen können, da sie unter einer inneren Unruhe und unter Konzentrationsschwäche leiden. Ein anderes Phänomen sei ausserdem die einseitige Fixierung auf Dinge, die für die Kinder von Interesse sind. Wenn Sie von einer Lehrperson gezwungen werden, ihren Fokus auf eine bestimmte Aufgabe zu richten, könne dies zu einer Arbeitsverweigerung oder einer Blockade führen. Bereits im frühen Kindesalter stellen viele der Mütter zudem eine auffällige Vergesslichkeit fest: Die Kinder haben Probleme, einfachen Aufgaben nachzukommen, die andere routinemässig erledigen; sie können sich nach kurzer Dauer nicht mehr an Arbeitsaufträge erinnern oder lassen Gegenstände liegen. Aus der Sicht zweier Eltern hat sich die Situation hinsichtlich der Vergesslichkeit durch die Einnahme von Medikamenten verbessert.

Über 80% der Eltern berichteten bei ihrem Kind darüber hinaus von weiteren Störungen neben der Kernsymptomatik von ADHS, wobei am häufigsten Probleme der Motorik (50%) und Schlafstörungen (45%) genannt wurden.

Die frühen Auffälligkeiten, die also vor der Diagnoseeröffnung auftraten, führten insbesondere in drei Bereichen zu starken Beeinträchtigungen: bei der Bewältigung von Hausaufgaben, dem Verhalten im Schulunterricht sowie dem Verhalten allgemein in der Schule (d. h. auch ausserhalb des Unterrichts).

Auslösende Faktoren von ADHS
Die Fachpersonen waren der Meinung, dass gesellschaftliche Entwicklungen die Entstehungsbedingungen für ADHS grundlegend verändert haben. Die auslösenden Faktoren von ADHS müssten vermehrt in den Lebenswelten der Kinder und ihrer Familien gesucht werden. Deshalb muss für die Etablierung einer Diagnose oder die Planung einer Intervention immer auch die Umwelt der Kinder berücksichtigt und untersucht werden (z. B. die Situationen zu Hause, in der Schule oder in Vereinen). Die Zusammenarbeit mit den Eltern - aber auch mit Lehrpersonen - verläuft aus Sicht der Fachpersonen nicht immer problemlos. Zentral ist es, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen und die Probleme gemeinsam anzugehen. Die Fachpersonen berichteten, dass Eltern (insbesondere in den städtischen Gebieten) oft mit hohen Erwartungen an sie als professionelle Helfende gelangten und rasche Lösungen erhofften. Die Eltern erwarteten, dass die Kinder in der Schule mitkommen und funktionieren, damit längerfristig keine Nachteile und Chancenungleichheiten für sie entstehen würden (z. B. bei der Lehrstellensuche).

Interventionen und deren Nutzen aus Elternsicht
Die Mehrheit der Kinder (80%) hat seit ihrer Diagnosestellung irgendwann eine medikamentöse Therapie in Anspruch genommen. Die Präparate Ritalin oder Concerta zählen zu den am häufigsten genutzten Medikamenten. Im Durchschnitt bekamen die Kinder eine medikamentöse Behandlung und es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Mädchen und den Knaben.


Bei der überwiegenden Mehrheit (88%) der Kinder, welche bereits eine medikamentöse Behandlung erhalten haben, sind Nebenwirkungen aufgetreten. Die am häufigsten aufgetretenen Nebenwirkungen waren Appetitrückgang (81%) und Schlafbeschwerden (48%). Die Befragten hatten die Möglichkeit, weitere Nebenwirkungen zu nennen und gaben häufig „Kopfschmerzen“ und „depressive Stimmungen“ als Nebenwirkungen an. Es gab in diesen Bereichen keine statistisch signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede.

Quelle: Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften: Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich, Peter Rüesch u. a., Nov. 2014

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen