Als Mutter, Grossmutter, Lehrperson und
Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung Eltern gegen Drogen beschäftigt
mich seit Jahren die stete Zunahme von Kindern, die wegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
(ADHS) Ritalin verabreicht bekommen. Obschon Ritalin mit dem Wirkstoff aus der
Gruppe der Amphetamine zu den Betäubungsmitteln gehört, wird es oft
verharmlost. Anstatt dass die auslösenden Faktoren der ADHS in den Lebenswelten
der Kinder und der gesellschaftlichen Entwicklung gesucht und diese zum Wohle
der Kinder geändert werden, werden neurobiologische Ursachen meist in den
Vordergrund gestellt.
Ritalin-Kinder als traurige Folge unserer Schulreformen, Eltern gegen Drogen 1/2016 von Sabina Geissbühler-Strupler
Mit der Einführung des obligatorischen
Kindergartens und gleichzeitig des Blockunterrichts (vier Lektionen pro
Morgen), werden die meisten Vierjährigen überfordert. Auch die beste
Kindergärtnerin kann dem einzelnen Kind nicht gerecht werden. Anstatt dass die
Kinder im Vorschulalter primär ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl durch
Zuwendung und Nähe einer wichtigen Bezugsperson aufbauen dürfen, werden sie
„Hahnenkämpfen“ ausgesetzt, die ihre Entwicklung stören. Das Aufzwingen eines
festen Stundenplans und das schulähnliche Lernen zum Beispiel anhand von
Arbeitsblättern führen zu Entwicklungsdefiziten. Das Vernachlässigen des freien
Spiels und der Mangel an Sinnes- und Bewegungserfahrungen vor allem auch in der
Natur zeigen negative Folgen für unsere Kleinsten.
Ein grosser Fehler war die Reform, welche alle
Kinder in Regelklassen integrieren will. Dadurch ist eine grosse Unruhe in die
Schulzimmer gekommen. In der Folge sind viele Lehrpersonen, aber auch die
leistungsschwachen, fremdsprachigen oder verhaltensauffälligen Kinder
überfordert. Gleichzeitig werden Hilfsangebote immer mehr in Anspruch genommen,
weil es dafür finanzielle Mittel gibt. Da der Förderunterricht während der
regulären Unterrichtszeit stattfindet, verpassen Kinder den Unterrichtsstoff
der Regelklasse. Die individuellen Stundenpläne der Kinder mit Förderunterricht,
das dauernde Kommen und Gehen sowie die Koordination und die vielen Absprachen
belasten den Unterricht enorm. Die
Konzentrationsfähigkeit der Kinder wird durch die Unruhe überstrapaziert
und gute Schulleistungen sind in einem solchen Umfeld schwierig zu erbringen.
Das Versprechen bei der HarmoS-Abstimmung, den
Fremdsprachenunterricht in den verschiedenen Kantonen zu harmonisieren, wurde
nicht umgesetzt. Stattdessen wurden das Frühsprachenlernen und eine fragwürdige
Didaktik - trotz kritischen Stimmen von Lehrpersonen, Pädagogen und
Sprachwissenschaftlern - eingeführt. Die Kinder sollen in ein Sprachbad
eintauchen. Das Bad ist gross wie ein See, die Kinder sind Nichtschwimmer. Doch
Schwimmhilfen (Rechtschreibung, Grammatik oder Wörtlilernen) sind nicht
vorgesehen. Bei dieser Art von Sprachenlernen werden mit Kopfhörern Texte und
Geschichten übers Ohr wahrgenommen. Dazu passende Bilder auf dem Computer
sollen das Textverständnis erleichtern. Die Kinder arbeiten meist individuell
am Computer. Die Methode ist eine Nachahmung des Sprachenlernens in einem
fremdsprachigen Gebiet oder in einer fremdsprachigen Familie. Es ist aber
erwiesen, dass diese Art von Sprachenlernen nur möglich ist, wenn ein Kind mindestens
40% seiner Wachzeit mit dieser Fremdsprache konfrontiert ist. Deshalb war von
Anfang an klar, dass diese Lehrmittel für das Sprachenlernen mit 2-3 Lektionen
pro Woche nicht taugen würden. Und auch diese Didaktik verlangt von jedem
einzelnen Kind eine kaum zu erbringende Konzentrationsfähigkeit. Zudem
verbringen viele Kinder auch die Freizeit vor dem Computer oder Fernseher, was
zu einer Reizüberflutung im kindlichen Gehirn führen kann. Im Lehrplan 21wird
ein individualisierter und selbstgesteuerter Unterricht angestrebt, in welchem
vor allem leistungsschwächere Kinder die grossen Verlierer sein werden.
Werden im Kindergarten und in der Volksschule,
aber auch im Elternhaus, nicht umgehend Korrekturen angebracht und der
Unterricht den Bedürfnissen und dem Entwicklungsstand der Kinder angepasst, werden
die an einer ADHS Leidenden noch mehr zunehmen.
Sabina
Geissbühler-Strupler, Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung Eltern gegen
Drogen
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