18. Februar 2016

Ritalin-Kinder als Folge der Schulreformen?

Als Mutter, Grossmutter, Lehrperson und Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung Eltern gegen Drogen beschäftigt mich seit Jahren die stete Zunahme von Kindern, die wegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Ritalin verabreicht bekommen. Obschon Ritalin mit dem Wirkstoff aus der Gruppe der Amphetamine zu den Betäubungsmitteln gehört, wird es oft verharmlost. Anstatt dass die auslösenden Faktoren der ADHS in den Lebenswelten der Kinder und der gesellschaftlichen Entwicklung gesucht und diese zum Wohle der Kinder geändert werden, werden neurobiologische Ursachen meist in den Vordergrund gestellt.
Ritalin-Kinder als traurige Folge unserer Schulreformen, Eltern gegen Drogen 1/2016 von Sabina Geissbühler-Strupler


Mit der Einführung des obligatorischen Kindergartens und gleichzeitig des Blockunterrichts (vier Lektionen pro Morgen), werden die meisten Vierjährigen überfordert. Auch die beste Kindergärtnerin kann dem einzelnen Kind nicht gerecht werden. Anstatt dass die Kinder im Vorschulalter primär ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl durch Zuwendung und Nähe einer wichtigen Bezugsperson aufbauen dürfen, werden sie „Hahnenkämpfen“ ausgesetzt, die ihre Entwicklung stören. Das Aufzwingen eines festen Stundenplans und das schulähnliche Lernen zum Beispiel anhand von Arbeitsblättern führen zu Entwicklungsdefiziten. Das Vernachlässigen des freien Spiels und der Mangel an Sinnes- und Bewegungserfahrungen vor allem auch in der Natur zeigen negative Folgen für unsere Kleinsten.

Ein grosser Fehler war die Reform, welche alle Kinder in Regelklassen integrieren will. Dadurch ist eine grosse Unruhe in die Schulzimmer gekommen. In der Folge sind viele Lehrpersonen, aber auch die leistungsschwachen, fremdsprachigen oder verhaltensauffälligen Kinder überfordert. Gleichzeitig werden Hilfsangebote immer mehr in Anspruch genommen, weil es dafür finanzielle Mittel gibt. Da der Förderunterricht während der regulären Unterrichtszeit stattfindet, verpassen Kinder den Unterrichtsstoff der Regelklasse. Die individuellen Stundenpläne der Kinder mit Förderunterricht, das dauernde Kommen und Gehen sowie die Koordination und die vielen Absprachen belasten den Unterricht enorm. Die Konzentrationsfähigkeit der Kinder wird durch die Unruhe überstrapaziert und gute Schulleistungen sind in einem solchen Umfeld schwierig zu erbringen.

Das Versprechen bei der HarmoS-Abstimmung, den Fremdsprachenunterricht in den verschiedenen Kantonen zu harmonisieren, wurde nicht umgesetzt. Stattdessen wurden das Frühsprachenlernen und eine fragwürdige Didaktik - trotz kritischen Stimmen von Lehrpersonen, Pädagogen und Sprachwissenschaftlern - eingeführt. Die Kinder sollen in ein Sprachbad eintauchen. Das Bad ist gross wie ein See, die Kinder sind Nichtschwimmer. Doch Schwimmhilfen (Rechtschreibung, Grammatik oder Wörtlilernen) sind nicht vorgesehen. Bei dieser Art von Sprachenlernen werden mit Kopfhörern Texte und Geschichten übers Ohr wahrgenommen. Dazu passende Bilder auf dem Computer sollen das Textverständnis erleichtern. Die Kinder arbeiten meist individuell am Computer. Die Methode ist eine Nachahmung des Sprachenlernens in einem fremdsprachigen Gebiet oder in einer fremdsprachigen Familie. Es ist aber erwiesen, dass diese Art von Sprachenlernen nur möglich ist, wenn ein Kind mindestens 40% seiner Wachzeit mit dieser Fremdsprache konfrontiert ist. Deshalb war von Anfang an klar, dass diese Lehrmittel für das Sprachenlernen mit 2-3 Lektionen pro Woche nicht taugen würden. Und auch diese Didaktik verlangt von jedem einzelnen Kind eine kaum zu erbringende Konzentrationsfähigkeit. Zudem verbringen viele Kinder auch die Freizeit vor dem Computer oder Fernseher, was zu einer Reizüberflutung im kindlichen Gehirn führen kann. Im Lehrplan 21wird ein individualisierter und selbstgesteuerter Unterricht angestrebt, in welchem vor allem leistungsschwächere Kinder die grossen Verlierer sein werden.

Werden im Kindergarten und in der Volksschule, aber auch im Elternhaus, nicht umgehend Korrekturen angebracht und der Unterricht den Bedürfnissen und dem Entwicklungsstand der Kinder angepasst, werden die an einer ADHS Leidenden noch mehr zunehmen.


Sabina Geissbühler-Strupler, Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung Eltern gegen Drogen

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