28. Februar 2016

Politik contra Pädagogik in der Fremdsprachenfrage

Seit einem Jahrzehnt wird im Kanton Zürich Frühenglisch unterrichtet, seit einem Vierteljahrhundert Französisch an der Primarschule. Jetzt erhalten die Stimmbürger Gelegenheit, dazu Oui ou Non, Yes or No zu sagen.
Das Zürchervolk entscheidet die Fremdsprachenfrage, NZZ, 27.2. von Walter Bernet


Am 26. November 2006 haben die Zürcherinnen und Zürcher die Volksinitiative «Nur eine Fremdsprache an der Primarschule» mit 58,6 Prozent abgelehnt. In absehbarer Zeit werden sie wieder zu der Frage Stellung nehmen können: Die von den Zürcher Lehrerverbänden ZLV, Zürcher Kantonale Mittelstufe (ZKM) und SekZH sowie der Arbeitsgemeinschaft Schule mit Zukunft getragene Volksinitiative «Mehr Qualität - eine Fremdsprache an der Primarschule» ist wohl zustande gekommen. Jedenfalls sollten die 9270 am Freitag eingereichten Unterschriften - nötig sind 6000 - ausreichen. Und die rechtlichen Probleme ähnlicher Initiativen in Graubünden, St. Gallen und Luzern, die von den Regierungen als nicht vereinbar mit übergeordnetem Recht oder als der Einheit der Materie widersprechend beurteilt wurden, wollen die Zürcher Initianten umgangen haben: Falls sich zeigen sollte, dass das Harmos-Konkordat ein Hindernis für die Verschiebung der zweiten Fremdsprache auf die Sekundarstufe ist, müsste dieses gemäss Initiative entweder angepasst oder gekündigt werden. Ob das reicht, wird auch im Kanton Zürich noch zu klären sein.

Politik contra Pädagogik
Während die Fronten ähnlich verlaufen wie 2006 - bereits haben sich SP, FDP, CVP, EVP, BDP und AL sowie die Gewerkschaft VPOD für die Beibehaltung der zweiten Fremdsprache in der Primarstufe ausgesprochen -, haben sich die Rahmenbedingungen inzwischen verändert. Erstens setzt die Bundesverfassung seit 2006 der kantonalen Bildungshoheit mit einer Koordinationspflicht eine Grenze, und zweitens sind die Erwartungen, die man vor einem Jahrzehnt in den frühen Fremdsprachenunterricht gesetzt hatte, in den Augen vieler Lehrpersonen nicht erfüllt worden. Während einerseits Änderungen am heiklen Sprachen-Kompromiss der Erziehungsdirektoren von 2004, welcher der heutigen Situation zugrunde liegt, Zunder an einem politischen Pulverfass darstellen, sind anderseits die pädagogischen Bedenken gewachsen. Der Widerspruch zwischen politischen und pädagogischen Argumenten wird sofort klar, wenn es um die Frage geht, welche Sprache in der Primarstufe unterrichtet werden soll. Die Politik verlangt eine Landessprache, die Pädagogik eher das im Alltag der Kinder omnipräsente und einfacher zu lernende Englisch. Heute wird in der Ostschweiz Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet, in der Nordwestschweiz Französisch. Die Zürcher Initiative überlässt die Entscheidung dem Bildungsrat. Dieser ist allerdings den politischen Zwängen ausgesetzt.

Im Kanton Nidwalden ist vor einem Jahr eine Schwester-Initiative entgegen der Empfehlung der Regierung relativ deutlich abgelehnt worden. Für den Kanton Zürich sind Prognosen schwierig. Den Initianten scheinen die Unterschriften aber nicht einfach in den Schoss gefallen zu sein. Noch im Januar fehlten 1600 zur sicheren Erreichung des Quorums von 6000, wie der ZLV in einem Aufruf an seine Mitglieder festhielt. Die Mahnung hat gewirkt.

Sprachlastige Primarstufe
An einer Medienkonferenz haben die Initianten am Freitag ihre Überlegungen vorgestellt. Die Primarstufe biete schlechte Rahmenbedingungen für das Erlernen zweier Fremdsprachen. Mangels Halbklassenlektionen finde der Fremdsprachenunterricht in der Regel in zwei Lektionen im Klassenverband statt. Das einzelne Kind komme zu wenig zum Sprechen. Das vielgelobte spielerische Lernen stosse zudem bald einmal an Grenzen. Und in ganzen Primarklassen sei es - anders als in der Sekundarstufe - fast unmöglich, auf verschiedenen Niveaus zu unterrichten. Deshalb seien viele Kinder überfordert.

Grundsätzliche Kritik üben die Initianten an der Sprachlastigkeit der Primarstufe - zulasten von Werken, Mensch und Umwelt, Medienkunde und Informatik. Aufwand und Ertrag passten im Sprachunterricht nicht überein. Zentraler Auftrag der Primarstufe müsse sein, die Kinder gründlich mit der Standardsprache Deutsch vertraut zu machen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen