Der Beruf des Lehrers ist beliebt! Die Anmeldezahlen an den Pädagogischen
Fachhochschulen steigen jährlich um bis acht Prozent. Viele junge Menschen
wollen auf der Primar- oder Sekundarschulstufe arbeiten und sind bereit,
ein dreijähriges Studium anzutreten. Beweist diese Entwicklung die
hohe Attraktivität des Lehrerberufs? Der Schein trügt: Über die Hälfte
der Berufseinsteiger verlässt in den ersten fünf Jahren nach Abschluss
der Ausbildung den Schuldienst, ein Sechstel quittiert bereits im ersten
Unterrichtsjahr und einige treten den Unterricht gar nicht erst an. Sie
wenden sich gleich nach dem Diplom einer anderen Tätigkeit zu. Mit anderen
Worten: Bei der Mehrzahl der Lehrpersonen dauert das Studium länger
als die Berufstätigkeit. Kann sich der Staat dies leisten? Die Ausbildungskosten
sind schwierig zu berechnen, bewegen sich jedoch zwischen 120 000 und
150 000 Franken. Geld für Menschen, die nicht wirklich in den Beruf einsteigen?
Verständlich, dass man die Ursachen beheben will und die Fachhochschulenan Stresstests denken. Es wird angenommen, dass die Aussteiger den Forderungen
des Berufsalltags nicht gewachsen sind. Ein Assessment soll die Stressresistenz
klären. Dieses soll über die Fortsetzung des Studiums entscheiden. Ist
jedoch Stress der Grund, dass junge Menschen aussteigen?
Der Lehrerberuf: Eine Übergangslösung, Basler Zeitung, 19.2. von Allan Guggenbühl
Interessant ist, was viele Studierende im Vertrauen über ihre
Berufswahl sagen: «Der Lehrerberuf lässt sich mit meinen Familienplänen
kombinieren. Dank dieser Ausbildung erfahre ich etwas über Kinder,
kann Teilzeit arbeiten. Ich bin jedoch nicht sicher, ob ich nach der Familienpause
wieder einsteige.» Ein Grossteil der Studierenden sieht im Lehrerberuf
einen Übergangsberuf. Bei vier von fünf Studierenden auf der Primar- und
Vorschulstufe handelt es sich um Studentinnen. Ein Teil dieser Studentinnen
ist nicht primär an einer Karriere interessiert, sondern sie suchen
nach einer Tätigkeit, die sich mit privaten Lebensplänen verbinden
lässt. Bei Männern ist dies tendenziell weniger die Familiengründung,
sondern eine Musik- oder Künstlerkarriere. Natürlich wäre es ungeschickt,
eine solche Lebensplanung gegenüber Vertretern der Hochschule einzugestehen.
Als Dozent erfährt man von diesen Motivationen später oder über Umwege.
Der Lehrerberuf wird als Übergangslösung verstanden. Eine Ausbildung,
bei der man zwar viel arbeiten muss, die jedoch machbar ist und hilft, eigene
Lebenspläne anzustossen. Ist es so weit, dann quittiert man den Lehrerberuf.
Gegen eine solche Lebensplanung ist nichts einzuwenden. Viele
unterrichten ausserdem nach einer Baby- oder Familienpause mit einem
Teilzeitpensum. Der organisatorische Zusatzaufwand ist zwar gross,
doch sie bleiben der Schule erhalten. Für den Beruf des Lehrers ist diese
Entwicklung jedoch fatal. Nicht nur werden von Steuerzahlern Millionen
für die Anschubfinanzierung einer anderen Tätigkeit ausgegeben, sondern
der Schule fehlen Lehrpersonen, die sich über längere Zeit voll ihrer
Arbeit widmen, eine Karriere anstreben, politisch tätig sind, vertiefte
Erfahrungen mit Kindern sammeln und in der Öffentlichkeit profilieren.
Die wenigen Lehrpersonen, die hochprozentig arbeiten, tragen ausserdem
einen Grossteil der Last der Schuladministration, sei es als Schulleiter
oder Klassenlehrperson.
Eigenartig ist, dass diese Motivation nicht offen diskutiert
wird. Nicht der Stress führt zum Ausstieg aus dem Beruf, sondern der Wandel
des Lehrerberufs. Die Lehrer oder Lehrerinnen, die sich über Jahre dem
Beruf verschreiben und mehrere Klassenzüge begleiten, wurden zur Rarität.
Allan Guggenbühl ist Psychologe und Autor des Buches «Vergessene
Klugheit – Wie Normen uns am Denken hindern».
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