25. Februar 2016

Kompetenz 4.4a: Nahrung zubereiten

Ein wehmütiger Blick weit zurück ins letzte Jahrtausend. Pädagogische Steinzeit. Ort der Geschichte: Holzbaracke Tagesschule Niederholz Riehen der längst entsorgten Kleinklassen. Ein ­kleines Team qualifizierter Heilpädagogen, verstärkt durch ­engagierte Hauswirtschafts- und Handarbeitslehrkräfte, unterrichtet eine schwierige Gruppe ­verhaltensauffälliger und lernschwacher Kinder an einer Ganztagesschule. Das Mittagessen wird gemeinsam mit den Kindern in der winzigen, im Vergleich zum Luxus im ­Lehrerzimmer, schäbigen Nische gekocht. Zum Programm gehören selbstverständlich einkaufen, Tisch decken, abräumen und abwaschen. Nebenbei lernen sie auch den Unterschied zwischen einer Schöpfkelle und einer Schneeschaufel kennen.
Kompetenz 4.4a: Nahrung zubereiten, Basler Zeitung, 25.2. von Roland Stark


Damals sprach man bescheiden von wirklichkeitsorientiertem Unterricht. «Kopf, Herz und Hand» in den Worten von Heinrich Pestalozzi. Besonders wertvoll waren die erworbenen ­Fähigkeiten in den jährlich stattfindenden ­Schulkolonien, in den Wander- und Skilagern. ­Probleme einzelner Schüler wurden mit den Schulpsychologen unbürokratisch und praxisnah ­besprochen und nicht einfach unter einem ­sinnlosen Formularhaufen begraben. Angesichts der nach Ländern, Sprachen und Religionen bunt zusammengewürfelten Kinderschar und der engen Zusammenarbeit mit der Regelschule würde man heute ein erfolgreiches Integrationsmodell bejubeln. Der Lehrplan 21 für die Bereiche Wirtschaft, Arbeit und Haushalt (WAH) stellt die Lehrerschaft und auch die Schülerinnen und Schüler vor ungleich komplexere Herausforderungen. Es fällt zunächst auf, dass der Begriff «Kochen» auf ­insgesamt 13 Seiten nicht ein einziges Mal ­auftaucht. Verwundert lesen wir im Original:

«Die Kompetenz 4 ‹Ernährung und Gesundheit – Zusammenhänge verstehen und reflektiert handeln› hat mit dem Kompetenzbereich 4.4a «Nahrung unter Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte zubereiten können» zu tun, eine Kompetenz, die sich ausschliesslich auf die ­Nahrungszubereitung bezieht. (...) Jugendliche sollen auch in der Nahrungszubereitung ausgehend von ihren Kenntnissen gefördert werden, indem sie Erfahrungen aus ihrer esskulturellen Lebenswelt (gemeint sind wohl McDonald’s und Döner Kebab sic!) einbringen können. Ausgehend davon werden weitere anforderungsreiche ­Aufgaben in der Nahrungszubereitung gestellt, damit ein Lernzuwachs erreicht werden kann. Für die Lehrpersonen bedeutet es, den Blick vermehrt auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler zu legen. Konkret heisst dies, dass Lehrpersonen mit den Schülern und Schülerinnen individuelle Lernziele in der Nahrungszubereitung vereinbaren und begleiten werden. Dabei werden Gerichte Mittel zum Zweck für Lernprozesse. (...) Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich selber in nützlicher Frist zu verpflegen.» Guten Appetit!

Dieser monströse Schwachsinn tönt derart surreal, dass die Angabe der Quelle zur Beweis­sicherung zwingend ist. «Erziehungsdepartement Basel-Stadt, Hochschulen, Pädagogisches ­Zentrum PZ BS, Unterricht/Weiterbildung», ­werden im Briefkopf als Verantwortliche aufgeführt. Nicht Franz Kafka, Emil oder Loriot.

Ein Trost bleibt: Dem Lehrplan 21 fehlt noch immer das passende Lehrmittel und Lehrer müssen auf das 30 Jahre alte Kochbuch (!) «Tiptopf» ausweichen, das ursprünglich für das altbackene Fach «Hauswirtschaftsunterricht» konzipiert wurde.


Hoffentlich noch lange. Sonst gibt es immer noch Betty Bossi.

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