Der umstrittene Lehrplan
21 und die Umstellung auf die Sek-Stufe: Vor einem halben Jahr wurde in Basel
das Schulsystem erneut auf den Kopf gestellt – obwohl die Umsetzung
früherer Neuerungen, wie etwa die Integrative Schule oder die Frühfremdsprachen,
noch nicht abgeschlossen ist. Glatt gelaufen sind auch die jüngsten Reformen
erwartungsgemäss nicht: Zu den grössten Baustellen gehören aktuell fehlende
Lehrmittel und IT-Technik, ein Mangel an Fachpersonal und zu grosse Klassen.
Anfällige Infrastruktur stellt den Schulalltag vor Probleme, Bild: Keystone
Reformflut bringt Lehrer ans Limit, Basler Zeitung, 18.2. von Nina Jecker
Gaby Hintermann ist
Präsidentin der Kantonalen Schulkonferenz Basel-Stadt. Sie wirkt selber ein
wenig erschöpft, wenn man sie zu all den Reformen befragt. Wie viele ihrer
Kollegen musste sie sich in den letzten Jahren an immer neue Veränderungen
gewöhnen. Zuerst die Orientierungsschule, dann die Übergangszeit, während der
man das alte Schulsystem auslaufen liess, und letztes Jahr nun der Start des
komplett neuen Systems. Wie viele Lehrer kam auch Hintermann dafür in ein neues
Schulhaus mit einem ihr bis dahin unbekannten Team. «Das erschwert am Anfang
alles, man kennt weder die Infrastruktur noch die Kollegen. Da ‹mönschelet› es
dann natürlich auch bei uns.» Aber nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch
was die Infrastruktur, die Räumlichkeiten und die Schülermenge angeht, läuft
noch nicht alles rund.
Raummangel ist
vorhersehbar
Schief gelaufen ist
letztes Jahr beispielsweise das Anmeldeprozedere für die neue Sek-Schule.
Zahlreiche Eltern wehrten sich gegen die Zuteilung ihrer Kinder, teilweise
heftig. Dazu überschritten bei Schulbeginn fast die Hälfte aller
21 Sek-Klassen des P-Zugs, in dem die besseren Schüler unterrichtet
werden, die vorgegebene maximale Klassengrösse von 25 Kindern um bis zu drei
Kinder. «Das mag einem gering vorkommen, hat aber je nachdem grosse
Auswirkungen auf den Schulbetrieb», sagt Hintermann. Ein Schüler brauche nicht
nur Tisch und Stuhl, sondern auch Betreuung, Lernberichte und Elterngespräche.
Das Problem bei den
Zuteilungen: Die Kinder werden zwar nach ihrem vorletzten Primarschulzeugnis in
die einzelnen Leistungszüge eingeteilt, können aber mit einem guten letzten
Zeugnis kurzfristig auf Bewährung eine Stufe höher kommen. «So ist wenig
Planungssicherheit gegeben», sagt Hintermann. Sie schlägt vor, dass das erste
Zeugnis verbindlich zählen sollte und das zweite nur noch über Provisorium oder
eine definitive Aufnahme entscheidet. Die Möglichkeit einer Aufnahmeprüfung
bliebe bestehen, würde aber zu einem früheren Zeitpunkt angesetzt.
Hintermann fürchtet
allerdings, dass bald sowieso wieder über höhere Klassengrössen diskutiert
wird. Denn der Schulraum, der neu gebaut wurde, reiche bereits heute kaum noch
aus. «Mit den steigenden Schülerzahlen ist eine Raumknappheit bereits wieder
programmiert», prognostiziert sie. Dieses Problem mit grösseren Klassen zu
lösen, ist für Hinterman bei der heterogenen Schülerschaft ein No-Go.
Die Hilfsmittel versagen
Auch in Sachen Technik
reicht die Infrastruktur oft hinten und vorne nicht aus. Dies unter anderem, weil
viele der neuen Lehrmittel bis zur Hälfte am Computer oder mit einem Tablet
ausgeführt werden müssen. «Diese Geräte sind aber, wenn man sie braucht, meist
nicht in genügender Menge vorhanden, oder die Hälfte davon läuft nicht, wie es
sein sollte.» Für andere Fächer, dazu gehören die neuen Sammelfächer des
Lehrplans 21, gibt es überhaupt noch keine Lehrmittel. Die Verlage warten zu,
bis auch Bern und Zürich den neuen Lehrplan umsetzen; Basel alleine ist als
Abnehmer zu klein. «Dabei wären gerade hier die Lehrkräfte auf gute
Unterrichtsmaterialien angewiesen», sagt Hintermann. Denn wer früher an der
Oberstufe Geschichte unterrichtet hat, soll nun auf einmal «Räume, Zeiten,
Gesellschaft» anbieten, ein Sammelfach, welches auch Geografie beinhaltet.
«Natürlich gäbe es auch hier wie für so vieles Weiterbildungen. Wenn ich
wollte, könnte ich an 40 Wochenenden im Jahr eine Weiterbildung besuchen. Aber
dafür fehlt den meisten bei all den Neuerungen einfach die Zeit», sagt
Hintermann.
Dennoch ist sie froh, dass
Basel-Stadt den neuen Lehrplan als erster Kanton eingeführt hat. «Sonst hätten
wir für die Umstellung auf die Sek-Stufe einen Übergangslehrplan gebraucht, wie
es das Baselbiet kennt. Das wäre wirklich zu kompliziert geworden.» Für die
Zukunft jedoch wünscht sich Hintermann, dass die Basler nicht immer überall
die Ersten sein wollen. «Ich würde gerne mal bei einer Reform in Ruhe abwarten,
wie es in einem anderen Kanton läuft.»
Nicht nur bei den neuen
Sammelfächern fehlt es an fachlich ausgebildetem Personal. Auch die Stellen
der Heilpädagogen, welche sich in den Regelklassen um die
Integrationskinder – also jene mit Behinderungen, Lernstörungen,
Verhaltensauffälligkeiten und anderen Problemen – kümmern sollen, sind
nicht alle mit ausgebildetem Personal besetzt. Stattdessen werden auch Lehrer
eingesetzt, welche auf dem Gebiet Erfahrung vorweisen können. Auch das sei
keine wünschenswerte Situation, findet Hintermann.
Trotz allem bleibt die
Sek-Lehrerin optimistisch. «Wir werden es schon schaffen, wir Lehrkräfte geben
unser Bestes.» Wichtig sei einfach, dem Ganzen jetzt Zeit zum Wachsen zu
lassen. «In fünf, sechs Jahren hat sich wohl alles eingependelt.» Vor allem
sollen die Bildungsverantwortlichen in der nächsten Zeit auf weitere Neuerungen
verzichten und die Schule in Ruhe lassen. «Es verträgt momentan nichts mehr,
wir müssen erst wieder zum Atmen und zu einem Alltag kommen. Sonst fliegt uns
die ganze Sache noch um die Ohren.»
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