Dieter
Baur leitet seit einem Jahr die Basler Volksschulen. Ein Gespräch über frühere
Lehrer-Kollegen, den Lehrplan 21 und Flüchtlingskinder.
Fast 40 Jahre lang erklärte der Lehrer Dieter Baur
seinen Schülern mathematische Formeln und brachte sie im Sportunterricht zum
Schwitzen. Vor einem Jahr verabschiedete er sich aus den Klassenzimmern und
übernahm die Leitung der Basler Volksschulen. Im Interview mit der bz schaut er
auf seinen beruflichen Neustart zurück und erzählt, wieso er seinen Entscheid
nicht bereut.
Herr Baur, Sie haben jahrelang unterrichtet.
Vermissen Sie Wandtafel, Kreide und Pausenglocke?
Dieter Baur: Ja, auf jeden Fall.
Ich habe mit viel Herzblut meinen Beruf ausgeübt. Am meisten fehlt mir der
Umgang mit den Schülerinnen und Schülern. Diesen Austausch habe ich immer
geschätzt. Deshalb war ich auch noch im Amt des Schulleiters weiterhin als
Klassenlehrer tätig – eine Kombination, die unüblich ist. Umso glücklicher bin
ich, dass gewisse Kontakte bleiben: Letzte Woche hat eine meiner Klassen ein
Abendessen organisiert und mich auch eingeladen. Das hat mich sehr gefreut.
Wenn Sie Ihren Job so liebten, wieso dann der
Wechsel?
Das
war die Chance, um in den letzten fünf Jahren meines Arbeitslebens nochmals
etwas Neues auszuprobieren. Es ist eine einmalige Herausforderung, die ich
packen wollte. Zudem finde ich es wesentlich, dass jemand aus der Praxis die
Umsetzungen der Schulreform begleitet.
Diese sind tiefgreifend: die integrative
Schule, Harmos, der Lehrplan 21. Ernten Sie nun vor allem die Früchte der
Arbeit Ihres Vorgängers, Pierre Felder?
Pierre
Felder hat einen ausgezeichneten Job gemacht. Unsere Schule wäre nicht dort,
hätte er die Reformen nicht so geschickt aufgegleist. Meine Aufgabe ist nun,
die Projekte in die Realität umzusetzen. Die Sekundarschule hat ja erst im
letzten Sommer angefangen. Entsprechend gibt es für unser Team viel zu tun.
Dieses Team arbeitete bereits unter Pierre Felder und garantiert somit die
Kontinuität.
Wo wollen Sie neue Schwerpunkte setzen?
Ich
komme aus einer Schulleitung, die ihre Lehrpersonen eng einbezogen hat: Sie
erhielten grosse Freiheiten, wurden aber auch in Pflicht genommen. Diese Art
der Zusammenarbeit will ich in meiner neuen Funktion weiterführen. Mein Ziel
ist es, die Schulleitungen noch stärker in die Entwicklung und Verantwortung zu
involvieren. Ich bin überzeugt, dass die gegenseitige Wertschätzung ein
wesentlicher Aspekt für eine gute Zusammenarbeit ist.
Wie schwer fällt es Ihnen, unpopuläre
Entscheidungen gegenüber früheren Kollegen durchzubringen?
Es
finden sicher nicht immer alle toll, was ich mache. Und ja, gewisse Entscheide
fallen mir nicht leicht. Ich versuche aber, so transparent wie möglich zu
kommunizieren. Der Austausch mit der Praxis besteht über verschiedene Kanäle.
Durch meine langjährige Unterrichtstätigkeit arbeiten viele meiner Freunde und
Bekannten auch heute noch als Lehrer. Läuft etwas nicht gut, kommen wir sehr
schnell ins direkte Gespräch. Das finde ich gut, dann kann ich ihnen unsere
Gründe erklären.
Seit einem halben Jahr sitzt die erste
Generation Harmos-Schüler in der Schule. Wie hat die Umstellung funktioniert?
Im
Grossen und Ganzen sehr gut. Indem jetzt alle Leistungsstufen an jeder Schule
vertreten sind, gibt es dort einen neuen Drive – so das Echo der Lehrpersonen.
Noch sind aber die Klassen im leistungsstärksten P-Zug zu gross. Bei der
Planung der ersten Sekundarschule haben wir die Situation diesbezüglich falsch
eingeschätzt. Das müssen wir nun korrigieren.
In anderen Kantonen ist der Lehrplan 21 heftig
umstritten, es zeichnen sich Volksabstimmungen ab. Wieso ging die Einführung in
Basel so ruhig über die Bühne?
Die
Vorwürfe an den Lehrplan 21 kann ich zum grossen Teil nur schwer
nachvollziehen. Es werden zwar die Zielsetzungen und die Kompetenzen
pointierter als bisher formuliert. Wie eh und je geht es aber darum, den Lernplan
mit Inhalten zu füllen. Das ist nicht weiter revolutionär, so wie das teilweise
behauptet wird. Im kantonalen Vergleich ist es tatsächlich aussergewöhnlich,
wie umfassend die Akzeptanz hier war. Deshalb fragen andere Kantone wohl immer
wieder nach, wie wir das geschafft haben.
Was antworten Sie dann?
Der
Schlüssel liegt sicherlich darin, dass die Lehrpersonen in Basel von Beginn an
gut informiert und eingebunden wurden.
Im Februar stimmen wir über die
Wahlpflichtfächer ab. Widerstand zeichnet sich also doch ab?
Gegenüber
den Auseinandersetzungen in anderen Kantonen ist das harmlos. Unproblematisch
ist die Initiative dennoch nicht. So entscheidet das Volk über einen kleinen
Bestandteil des gesamten Stundenplans. Dieses Novum geht für mich in die falsche
Richtung. Die Stundentafel hat bisher der Regierungs- und Erziehungsrat auf der
Ebene der Verordnungen beschlossen. Wenn die Initiative durchkäme, wird
erstmals ein Teilbereich im Gesetz festgehalten. Eine spätere Anpassung wäre
nur über den Grossen Rat oder das Volk möglich.
Das
ergibt in meinen Augen eine Schieflage im ganzen Konstrukt. Ausserdem bin ich
überzeugt, dass eine intensivere Auseinandersetzung mit Sprache und
Naturwissenschaften insbesondere im Hinblick auf eine gymnasiale Ausbildung und
auf eine höhere Berufslehre eminent wichtig ist und dementsprechend auch
eingefordert werden soll.
Nicht nur das Schulsystem verändert sich, auch
die Klassen. Die Zahl der Flüchtlingskinder nahm im letzten Jahr markant zu.
Wie wollen die Basler Volksschulen diese Kinder integrieren?
Anders
als bei der integrativen Schule gibt es für die Flüchtlingskinder sogenannte
Einstiegsgruppen, die sie maximal ein Jahr besuchen. Sie beginnen dort, Deutsch
zu lernen und sich in de Schweiz zurechtzufinden. Viele müssen erst erfahren,
was es heisst, sich frei bewegen zu können. Es ist die Grundlage ihrer
Sozialisation. Man darf nicht vergessen, dass gewisse Kinder Unvorstellbares
erlebt haben. Ihre Integration ist eine riesige Herausforderung. Aber diese
müssen nicht nur die Schulen meistern, sondern die Allgemeinheit.
Zurück zu Ihnen, Sie sind nun seit einem Jahr
im Amt: Würden Sie die Aufgabe nochmals übernehmen?
Ja,
definitiv. Es ist eine äusserst spannende Tätigkeit mit Einblicken in Bereiche,
die ich vorher so nicht kannte. Es gibt viel Neues zu lernen, dennoch spüre ich
eine hohe Akzeptanz. Mein Glück ist es, so tolle Mitarbeiter um mich herum zu
wissen. Die Zusammenarbeit mit ihnen macht wirklich Spass.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen