Bund und Kantone haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, Bild: Christian Beutler
Geteilte Verantwortung im Föderalismus, NZZ, 7.1. Gastkommentar von Hans Ambühl
Der frühere Nationalrat Hans Zbinden
hat alsGastkommentator der NZZ (17. 10. 15) das Bildungswesen der Schweiz als
«träge» bezeichnet und dafür mehrere Belege ins Feld geführt, die bei genauem
Hinsehen nicht stechen. «Jeder lernt für sich und gegen die andern!»,
so geisselt er den Bildungsföderalismus.Nun steht es jedermann frei,
zentralistische Konzepte föderalistischen vorzuziehen.
Doch trifft
bei Hans Zbinden die damit einhergehende Analyse in der Sache nicht zu.
Einzelne Fakten unterschlägt er oder biegt sie für den Duktus seiner Geschichte
zurecht – etwa die angeblich bloss «durchzogenen» Schülerleistungen in
internationalen Vergleichen, die «nie spitzenmässig» seien: Soweit
internationale Leistungsmessungen überhaupt zuverlässige Indikatoren für die
wirklichen Leistungen von Schülerinnen, Schülern und Schulen sein können, sei
nur daran erinnert, dass das Schweizer Mathematik-Ergebnis aus Pisa 2012 das
europaweit beste ist, zusammen mit Liechtenstein und den Niederlanden.
Oder: Zbindens
lakonische Qualifikation der Ausschöpfung des Begabungspotenzials ausländischer
Zuwanderer als «unzureichend» kontrastiert stark zu den über 92 Prozent
Abschlüssen der Sekundarstufe II in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen in
der Schweiz, einem internationalen Spitzenwert; bei den in der Schweiz
Geborenen, die mithin die Bildungslaufbahn vollständig hier durchlaufen haben,
sind es gar 95 Prozent. Das zeigt einerseits die hohe Leistung des Schweizer
Systems, anderseits aber auch, dass wir uns für die Gruppe der später
Dazugekommenen tatsächlich weiter anstrengen müssen; Bund und Kantone haben
sich denn auch in den letzten Jahren das ehrgeizige Ziel gesetzt, die 95
Prozent für alle 16- bis 24-Jährigen zu erreichen.
Aber nicht nur
zu einzelnen Fakten zeichnet Zbinden ein falsches Bild. Auch in der Betrachtung
der Dynamik des Systems und der verantwortlichen Akteure blendet er das
Wesentliche aus. So beim Vorwurf, wir würden uns den Luxus leisten, «den
Bildungsföderalismus mit seinem kollektiven Wissen und seinen vielfältigen
Erfahrungen zu wenig für das gesamte Bildungswesen zu nutzen». Dem ist nicht
so. Dieses Wissen wird sehr gut aufgearbeitet und zugänglich gemacht. Sei es im
Netzwerk der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
(EDK), sei es durch Good-Practice-Berichte, sei es nicht zuletzt durch das
Informations- und Dokumentationszentrum IDES der EDK. Diese Einrichtung der EDK
ist schweizweit zweifellos einmalig. Sie arbeitet in vielen Fragen direkt mit
den kantonalen Bildungsdepartementen zusammen und steht gleichzeitig im Dienste
derselben. So kann IDES mit verhältnismässig wenig Aufwand viel Wissen über das
schweizerische Schulsystem und seine kantonalen Ausprägungen generieren, es
macht dieses Wissen zugänglich und ermöglicht so den Akteuren aller Stufen und
Bereiche, voneinander zu lernen und Erfahrungen aus anderen Kantonen und
Institutionen bei der eigenen Entscheidfindung zu berücksichtigen. Gleichzeitig
werden die von IDES gesammelten Informationen auch im gesamtschweizerischen
Bildungsmonitoring und in der Bildungsforschung aufgenommen und dort weiter
vertieft und analysiert.
Damit ist auch
das von Bund und Kantonen seit rund zehn Jahren gemeinsam aufgebaute und
betriebene Bildungsmonitoring angesprochen, ein Prozess, der in seiner Art
mittlerweile – etwa in Statistik-Kreisen – als vorbildlich auch für andere
Politikbereiche gilt, von Hans Zbinden indes ganz und gar negiert wird. Das
Monitoring bringt alle vier Jahre einen aus Statistik und Bildungsforschung
genährten, substanziellen Bildungsbericht hervor; nach dessen gemeinsamer
Auswertung legen die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen jeweils
gemeinsame strategische Ziele auf Ebene des Gesamtsystems fest – insgesamt ein
Vorgang, der in seiner Konsequenz und Transparenz die Zbindensche These von der
bundesstaatlichen Kantonsgemeinschaft als einer «Konkurrenzveranstaltung unter
eigensinnigen Mitgliedern» Lügen straft. Entsprechend sind die laut Zbinden von
der angeblich vernagelten Schweizer Bildungspolitik verkannten neuen
Herausforderungen – etwa die Vermehrung der Lernorte oder die Digitalisierung –
auch hierzulande durchaus in engagierter Bearbeitung (vgl. zum Beispiel das
Tätigkeitsprogramm 2015 bis 2019 der EDK). Wer aber unterstellen wollte,
andernorts seien für diese in der Tat grossen Herausforderungen schon
Patentrezepte gefunden, der würde sich und uns etwas vormachen.
So bleibt denn
zweifelsfrei viel zu tun, um sicherzustellen, dass unser Schweizer
Bildungswesen insgesamt auch in Zukunft so leistungsfähig, vielfältig und vital
bleibt, wie es sich heute zeigt. Und es bleibt die (freilich weniger wichtige)
Frage, weshalb dasselbe Schweizer Bildungswesen von zwei NZZ-Gastkommentatoren
so ganz unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Es könnte damit zu tun haben,
dass der von zentralistischen Konzepten geleitete Hans Zbinden eben der
Initiant nicht wirklich jener Bildungsverfassung war, wie sie von Volk und sämtlichen
Ständen im Jahr 2006 so deutlich angenommen wurde: als Konzept einer
gemeinsamen Sorge für hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes
Schweiz – in föderal geteilter Verantwortung.
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