Wir beginnen den Tag mit einem Lied. «Wir fah-ren mit dem Fahr-rad
o-der geh'n zu Fuss, mit Bus und Zug geht's auch, das Auto bleibt zu Haus.» Und
weiter: «Die Abgase sind schädlich, für Mensch und Natur, das Treibhaus wird
verstärkt und die Erde warm.» Auch bei der letzten Strophe singen alle mit,
denn die ist ganz wichtig: «Deshalb bemüh'n wir uns, und wollen Vorbild sein,
erzählen allen Leuten gross oder klein. Das Motto ist klar, umweltfreundlich
sein.» Das Lied gibt es tatsächlich, gedichtet wurde es nicht etwa für den
Parteitag der Grünen, sondern für öffentliche Schulen. Es nennt sich «Grüne
Meilen Lied» und findet sich im Unterrichtsprogramm «Kleine Klimaschützer
unterwegs». Das funktioniert so: Wenn sich die Kinder brav verhalten, also etwa
Velo fahren statt im Geländewagen mitfahren, erhalten sie grüne Meilen, mit
denen sie dann an die nächste Uno-Klimakonferenz pilgern. Damit soll den
Politikern gezeigt werden, «dass Kinder schon prima Umweltschützer sind». Ginge
es nach dem Zürcher Stadtrat, würde das Meilen-Lied in möglichst vielen
Schulzimmern erschallen. Denn «Kleine Klimaschützer» ist eines von mehreren
grünen Erziehungsprogrammen, welches das Gesundheits- und Umweltdepartement
(GUD) von Claudia Nielsen (sp.) auf seiner Website anpreist.
In Zürcher Schulzimmern sollen die Vorzüge des Verzichts gepredigt werden, Bild: Christian Beutler
Spiel mir das Lied vom Klimawandel, NZZ, 8.1. von Lucien Scherrer
Der
Hintergrund ist einfach: Seit die Zürcher Stimmbürger mit grosser Mehrheit das
Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung festgeschrieben haben,
fühlt sich die rot-grüne Mehrheit dazu berufen, den Leuten einen
2000-Watt-Lifestyle «in die Köpfe zu pflanzen», wie es der «Züri-tipp» einst
ebenso begeistert wie ironiefrei ausdrückte. Tatsächlich dürfte der ehrgeizige
Plan nur realisierbar sein, wenn man die Menschen über strenge Vorschriften und
Verbote zum Verzicht auf Energie, Wohnfläche oder gewisse Essgewohnheiten
zwingt, was wohl auch der rot-grünen Klientel zu viel des Guten wäre. Also
versucht man eben, die Menschen selber zu ändern und ihnen eine Art grünen
Staatstrojaner einzupflanzen. Und wo sonst geht das besser als in der Schule?
Im
Jahr 2010 ist der Stadtrat in einem Postulat von Christina Hug (gp.) und
Claudia Rabelbauer-Pfiffner (evp.) dazu aufgefordert worden, das Konzept der
2000-Watt-Gesellschaft vermehrt in den Schulen zu vermitteln. Damit ihre Ziele
erreicht werden können, so heisst es in der Begründung, «muss die ganze
Bevölkerung und insbesondere die Kinder und Jugendlichen (sic!) einbezogen
werden». In der Folge beauftragte die Verwaltung die Naska GmbH - eine
Beratungsfirma, die im staatsaffinen Sektor der «grünen Wirtschaft» gedeiht -
mit der Entwicklung einer Unterrichtseinheit, die von den Schulen gebucht
werden kann.
Wie
der Titel «Unser Leben auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft» vermuten lässt,
ist das Werk nicht bloss eine Anleitung zum richtigen Glühbirnen-Kauf. Vielmehr
ist es eine umfassende Anweisung für ein korrektes, also grünes Leben. Mit
Parolen wie: «Wir leben auf grossem Fuss» soll den Kindern zuerst ein
schlechtes Gewissen eingeimpft werden. Dann wird ihnen gesagt, was sie zu tun,
zu lassen und zu denken haben. Bio-Hemden und heimisches Gemüse kaufen, so
steht in den Lehrmitteln geschrieben, ist brav, genauso wie Zug und Bus fahren;
zu viel Fleisch essen ist nicht gut, und die «Macht der Marken» und der
Konzerne ist unheimlich. Das umstrittene Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft
gilt es dagegen nicht zu hinterfragen - es wird den Schülern als «technisch
machbare» und «global gerechte» Notwendigkeit verkauft, bei der alle
mitzumachen haben.
Dem
Lehrpersonal steht es frei, ob es mitmachen will oder nicht. Wie gut die
Öko-Offensive dort ankommt, weiss niemand so genau. Laut Christine Bächtiger
vom GUD ist das Interesse am Meilen-Sammeln in den letzten vier Jahren derart
abgeflaut, dass die Zürcher an der jüngsten Klimakonferenz in Paris mit
Abwesenheit glänzten. Das erwähnte Programm zur 2000-Watt-Gesellschaft werde
pro Jahr 200- bis 300-mal heruntergeladen. Von wem, sei bis dato unbekannt.
Eine kleine Umfrage in der Lehrerschaft zeigt jedenfalls, dass sich die
Bekanntheit des Angebots in Grenzen hält. Inhaltlich kommt es unterschiedlich
an. Mathias Habegger, ein Sek-B-Lehrer, begrüsst die Bemühungen der Stadt.
«Meinen Schülern ist das Schicksal der Erde herzlich egal», sagt er, «die
würden sich erst Gedanken machen, wenn es für ihr Handy keinen Strom mehr
gibt.» Dass das Material reichlich ideologisch daherkommt, stört ihn nicht:
«Das ist meiner Meinung nach nötig, sonst lernen sie es nie.»
Der Öl-König wird bekehrt
Andere
Lehrer sind kritisch: Solange man bei derartigen Übungen nicht mitmachen müsse,
gebe es kein Problem. Andernfalls schon. Fest steht, dass es bei der Umsetzung
der 2000-Watt-Gesellschaft nach jüngsten Erkenntnissen harzt. Und dies, obwohl
sich mittlerweile eine ganze Reihe von grünen Pädagogen darüber Gedanken machen
darf, wie man den Nachwuchs auf den richtigen Weg bringen könnte.
Unter
anderem hat der Gemeinderat einen jährlichen Kredit von 300 000 Franken für
«Energieunterricht» bewilligt. Damit betraut war in den letzten Jahren die
Stiftung Pusch, die sich im Namen eines «ökologischen Umbaus» der Wirtschaft
für die staatliche Förderung erneuerbarer Energien einsetzt. Entsprechend geht
es auch hier nicht nur ums Sparen, sondern um die Vermittlung bestimmter
Ansichten. So halten die Pusch-Pädagogen die Geschichte von König Ölfried
bereit, der beinahe im Smog krepiert, bis ihn Retterin Solaria darüber
aufklärt, dass er seinen Energiehunger mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft
stillen könne. Was zumindest im Märchen funktioniert.
In
der Realität ist es fraglich, ob man Kinder mit pathetischen Liedern,
quasireligiösem Eifer und altersgerecht verpackten politischen Forderungen wird
bekehren können. Selbst in autoritären Staaten hat das nie funktioniert. Doch
das kann den Anhängern einer wohlwollenden Erziehungsdiktatur, wie sie von
Jean-Jacques Rousseau ersonnen wurde, egal sein: Je uneinsichtiger ihre
Zielobjekte, desto mehr gibt es zu tun.
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