30. Januar 2016

Störmanöver aus Nostalgia

Es gibt wenige Themen in der Schweizer Politik, bei denen alle mitreden wollen. Zu ihnen gehört die Volksschule. Wann immer Reformen anstehen, wird das Klassenzimmer zum Kampffeld. Zu Recht: Es geht um die Ausbildung unseres Nachwuchses und damit um die Zukunft des Landes. Dass sich nun in verschiedenen Kantonen Widerstand gegen die Einführung des Lehrplans 21 regt, ist durchaus nachvollziehbar. Doch die Diskussion ist im Grunde längst gelaufen.
Störmanöver aus Nostalgia, NZZ, 30.1. Kommentar von Marc Tribelhorn

Wir erinnern uns: Vor zehn Jahren stimmte die Schweizer Bevölkerung mit überwältigendem Mehr einem Bildungsartikel in der Bundesverfassung zu. Dieser sieht die Schaffung eines «Bildungsraums Schweiz» vor, der eine Harmonisierung der Volksschulen verlangt. Die 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone haben darauf in einem langwierigen und teuren Prozess einen gemeinsamen Lehrplan erarbeitet, der von den Gegnern rasch als «technokratisches Monster» bezeichnet wurde.

Der Hauptkritikpunkt betrifft - bis heute - die erziehungswissenschaftliche Wende von den klassischen Lernzielen zu einer Kompetenzorientierung. Nach einer breit abgestützten Vernehmlassung wurden jedoch viele Defizite des ersten Entwurfs behoben. Der Lehrplan 21 ist schlanker geworden, es wurden einzelne verbindliche Lerninhalte eingearbeitet, und vor allem wurde auf ideologisch grundierte Formulierungen verzichtet. Heute stehen nicht nur alle kantonalen Bildungsdirektoren hinter dem Werk, sondern auch die grosse Mehrheit der Fachdidaktiker, die gewichtigen Lehrerverbände und die Wirtschaft.

Die Gegner evozieren hingegen unentwegt die heilen Bilder einer Volksschule der Vergangenheit, die es notabene so nie gegeben hat. Ihre Vorwürfe zielen mehrheitlich ins Leere. Mit dem Lehrplan 21 wird natürlich weiterhin Wissen vermittelt, aber es soll auch angewandt werden können - mittels klar definierter 363 Kompetenzen. Natürlich entscheiden auch künftig die Lehrpersonen, mit welchen Methoden sie den Unterricht gestalten, damit die Schüler diese Kompetenzen erwerben. Natürlich verbleibt den Kantonen ein gewisser Spielraum, um Schwerpunkte zu setzen. Die Vorteile der Homogenisierung der verschiedenen Lehrpläne sind aber evident: Sie erleichtert nicht nur die Mobilität von Schülern und Lehrern, sondern sorgt auch für gleiche Bildungsstandards in allen Landesteilen.

Der Lehrplan 21 ist inhaltlich keine Revolution: Er enthält vieles, was bereits heute gilt. Diverse Lehrmittel können weiter verwendet werden. Ein Lehrplan ist zudem ein Kompass und kein Korsett. Was in der Praxis daraus gemacht wird, steht auf einem anderen Blatt Papier: Wie gut unsere Volksschulen sind, bestimmen die Lehrerinnen und Lehrer.

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