Liebe Politiker, man kann in der Bildung auch sinnvoll sparen, NZZaS, 10.1. von Michael Furger
Liebe Politikerinnen und Politiker, Sie müssen sparen, das haben
wir verstanden. Die Zeiten sind hart. Dass auch das Bildungswesen mitmachen
muss, ist verständlich. Immerhin beansprucht es einen Sechstel aller
Staatsausgaben.
Schwieriger zu verstehen
sind einige Ihrer Sparideen, die im Moment kursieren. Wobei sparen eigentlich
der falsche Begriff ist. Wenn Politiker sparen, dann geben sie meistens nicht
weniger Geld aus als vorher. Sie geben nur weniger Geld aus, als sie
ursprünglich geplant haben. Meistens ist das immer noch mehr als vorher. Darum
sind die Kosten des Bildungswesens in den letzten Jahren - trotz Sparprogrammen
- weiter gewachsen. Heute kostet allein die Volksschule in der Schweiz jährlich
über drei Milliarden mehr als vor zehn Jahren. Eine beeindruckende Zahl. Man
könnte vermuten, das liege am Bevölkerungswachstum. Mehr Kinder, höhere Kosten.
Logisch - aber falsch. Denn die Zahl der Volksschüler hat in den letzten zehn
Jahren abgenommen. Die Ausgaben pro Schüler sind damit so hoch wie nie zuvor
und so hoch wie nirgendwo sonst (ausser in Luxemburg). Da sind Ihnen, liebe
Politikerinnen und Politiker, die Kosten etwas ausser Kontrolle geraten,
ähnlich wie beim zweitgrössten Brocken im Bildungsbudget, den Hochschulen: plus
1,2 Milliarden in zehn Jahren; auch nicht gerade wenig dafür, dass Sie
eigentlich sparen wollten.
Sie können sich damit
trösten, dass Sie die Bildung nicht totgespart haben, obwohl man Ihnen das am
nächsten Mittwoch, am «Tag der Bildung», vorwerfen wird. Die paar Millionen,
die Sie einst gekürzt haben, weil Sie Freifächer gestrichen oder Lektionen
reduziert haben, sind längst wieder ausgegeben.
Was wirklich irritiert:
Sie verfahren auch diesmal wie eh und je. Sie reden über weniger Freifächer,
wollen Lektionen reduzieren oder die Lehrer-Pensen kürzen. So kratzen Sie
wieder ein paar Millionen zusammen.
Das ist nicht sehr schlau.
Nehmen wir die Lehrerlöhne: Sie sind der grösste Budgetposten. Hier etwas
abzuhobeln, ist verlockend. Aber das haben schon all die Politiker vor Ihnen
gemacht. Die Lehrer kommen bei Sparübungen meistens an die Kasse. Einige
Kantone haben die Löhne jüngst zwar etwas verbessert, aber im Grossen und
Ganzen sind sie bescheiden geblieben, vor allem die Einstiegslöhne sind oft
beschämend tief. Dabei sind gute, motivierte Lehrkräfte der wichtigste Faktor,
ob Bildung erfolgreich ist.
Kürzungen im Unterricht
sind auch nicht intelligenter. Lektionen streichen, Ferien verlängern und
ähnlicher Unsinn geht direkt an die Qualität. Man kann es nachweisen.
Aber Sie wollen ja sparen.
Wo also ansetzen? Drei Ideen, nicht originell, aber wenigstens keine Gefahr für
die Qualität.
O Weniger Sonderpädagogik: Um die Volksschule herum hat sich eine Therapie-Industrie
gebildet. Schreibt ein Schüler schiefe Buchstaben, steht bald ein Heilpädagoge
vor der Tür und verschreibt eine Graphomotorik- Therapie. Bei unsauberer
Aussprache winkt die Logopädie. Jede Abweichung von der Norm ist ein Defizit,
das man beheben muss. In Zürich war 2013 jedes zweite Schulkind ein Fall für
die Sonderpädagogik. Es ist nicht anzunehmen, dass die Hälfte der Schüler ein
ernsthaftes Problem hat, das sagen auch die Kinderärzte. Die Heilpädagogen
sehen das anders, aber sie verdienen auch ihr Geld mit Therapien. Viel Geld. Im
Kanton Zürich allein fliessen mehrere hundert Millionen Franken in diese
Sonderpädagogik-Industrie.
O Grössere Klassen: Wir wissen, das hören Sie als Politiker nicht
gern. Mit grösseren Klassen macht man sich unbeliebt. Aber weil die Zahl der
Schüler in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist, sind die Klassen in der
Volksschule kleiner geworden. Jede achte Klasse zählt weniger als 16 Schüler.
Die durchschnittliche Grösse liegt bei 18. Das sind komfortable Bedingungen. Es
ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass ein oder zwei Schüler mehr pro
Klasse die Leistungen nicht im Geringsten beeinträchtigen. Der Bildungsforscher
Stephan Wolter hat berechnet, dass man mit nur einem Schüler mehr in jeder
Schweizer Volksschulklasse 500 Millionen Franken sparen könnte.
O Weniger Hochschulfächer: Über 160 Fächer bieten die Schweizer Hochschulen an. Es werden
laufend mehr. Manchmal können sich nur ein paar Dutzend Studenten für das neue
Angebot erwärmen. Ganze Fakultäten werden gegründet. Das könnte da und dort zum
Problem werden, weil die Zahl der Studierenden aus demografischen Gründen an
manchen Orten nicht mehr wachsen wird. Es gibt Hochschulen, die befürchten,
dass sie ihre Studienplätze nicht mehr besetzen können. Sie hängen grosse
Plakate auf, um Studenten aus anderen Kantonen abzuwerben. Das bringt Geld.
Nichts gegen Wettbewerb, aber unter einem staatlich finanzierten Bildungssystem
haben wir bisher etwas anderes verstanden: Der Staat sorgt dafür, dass alle
Maturanden einen Studienplatz haben. Bleiben zu viele Plätze unbesetzt, müsste
man eigentlich zurückfahren.
Gewiss, liebe
Politikerinnen und Politiker, einige von Ihnen planen solche Massnahmen.
Vielleicht sagen Sie Ihren Kollegen, dass sie nicht weiter an Lektionen und
Löhnen herumschnippeln sollen, um da und dort ein Milliönchen zu sparen. Wenn
sie kürzen wollen, sollen sie doch dort ansetzen, wo sie ohne Schaden viel
erreichen können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen