Antwort an Stefan Wolter, 25.1. von Michael Weiss
Sehr geehrter Herr Wolter
Die Sonntagszeitung hat gestern Resultate einer von Ihnen durchgeführten
Umfrage veröffentlicht, in der Sie demonstriert haben, welche Auskünfte über
die Bildungsausgaben man der Bevölkerung geben muss, damit diese sie
mehrheitlich ablehnt. Leider macht es den Anschein, dass Sie darauf verzichtet
haben, die Befragten differenziert über das Kostenwachstum an der Volksschule
zu informieren. Ich möchte Sie daher fragen, ob Sie sich bewusst sind, dass
a) im von Ihnen genannten Zeitraum (die letzten 10 Jahre) die Kosten der
Sonderschulung von der IV an die Kantone übertragen wurden und ein wesentlicher
Teil der angeblichen Kostensteigerung schlicht eine Verlagerung an eine andere
Kostenstelle darstellt?
b) in diesem Zeitraum massiv in die sogenannte Bildungsharmonisierung
(HarmoS, Lehrplan 21, Frühfremdsprachen und den daraus resultierenden Bedarf
nach Weiterbildungen und neuen Lehrmitteln) sowie die integrative Schulung
investiert wurde, deren Mehrwert tatsächlich einmal ökonomisch hinterfragt
werden müsste? Allein im Kanton Baselland (ca. 250'000 Einwohner) wurden dafür
auf Kantonsebene rund 65 Millionen Franken ausgegeben, die Kosten der Gemeinden
(z.B. für neue Schulhäuser, um die neu der Primarstufe zugeordnete 6. Klasse
aufzunehmen) dürften noch deutlich höher sein (Basel-Stadt hat beispielsweise
rund 500 Millionen in neue Schulhausbauten investiert).
c) die Kosten im tertiären Bildungssektor (Universitäten,
Fachhochschulen) noch weitaus stärker angestiegen sind als in der Volksschule?
Mit Ihrer Betrachtungsweise, die zumindest in den Medien völlig
undifferenziert daherkommt, heizen Sie, selbst wenn das vielleicht gar nicht
Ihre Absicht ist, eine Stimmungsmache an, welche geeignet ist, einmal mehr
diejenigen für die Misere verantwortlich zu machen, die seit Jahrzehnten mit
stagnierenden oder gar sinkenden Löhnen und wachsenden Aufgaben konfrontiert
sind, nämlich die Lehrerinnen und Lehrer.
Die realen Zustände an Schweizerischen Volksschulen machen es möglich,
dass
- das
Materialbudget pro Schüler und Schuljahr in einer Primarschule etwa 10 Fr.
beträgt
-
Schwimmunterricht aufgrund verschärfter Vorschriften nur noch durchgeführt
werden kann, wenn Eltern die Lehrperson freiwillig und unentgeltlich begleiten
- in Räumen
unterrichtet wird, die im Sommer 40°C heiss und im Winter 15°C kalt werden
- einem in einer
basellandschaftlichen Schule aus den Schubladen und Schränken Mäuse
entgegenspringen
- für teures Geld
moderne Lehrmittel angeschafft werden, die sich aber dann nicht wie vorgesehen
einsetzen lassen, weil die vorausgesetzte IT-Infrastruktur nicht vorhanden ist
- im
Krankheitsfall eine Lehrperson beauftragt wird, zwei Klassen in zwei
Schulzimmern gleichzeitig zu beaufsichtigen
Diese Liste liesse sich beliebig verlängern.
Von einem Universitätsprofessor, der selbst durchaus ebenfalls Teil des
Problems der steigenden Bildungskosten ist, erwarte ich etwas mehr als ein
populistisches Volksschul-Bashing, und das wäre eine differenzierte Analyse, wo
an den Volksschulen tatsächlich Geld aus dem Fenster geworfen wird, und wo es
nicht einmal mehr für elementare Grundbedürfnisse reicht. Das wäre dann
tatsächlich ein nützlicher Erkenntnisgewinn.
Mit freundlichen Grüssen
Michael Weiss, Geschäftsführer und Vizepräsident Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland LVB
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