27. Januar 2016

Schöne neue Welt des Lehrplans 21

Er ist gekommen, um die Rheinecker Oberstufe umzukrempeln: Schulleiter Stefan Gander will ein neues Konzept erarbeiten, damit die Schule trotz sinkender Schülerzahl tragbar bleibt. Eine Bilanz nach dem ersten Semester im Amt.
Der Unternehmer im Lehrer, St. Galler Tagblatt, 26.1. von Seraina Hess


Herr Gander, Stadtrat Gilbert Lapp sagte zu Beginn Ihrer Anstellung, Sie seien ein Querdenker, dem es gelingen werde, an der Oberstufe Rheineck einiges zu verändern. Weshalb sind Sie der Mann dafür?

Stefan Gander: Das hängt mit meiner Schulgeschichte zusammen. Ich habe bisher mehrere innovative Schulen gegründet und begleitet. Dazu gehören unter anderem das SBW Haus des Lernens in Herisau, die Neue Stadtschule St. Gallen, aber auch die Freie Schule Anne-Sophie in Berlin.

Was reizt einen mehrfachen Schulgründer an einer überschaubaren Oberstufe wie Rheineck?

Gander: Die Ausgangslage. Durch den Volksentscheid gegen den Beschulungsvertrag mit Thal steht fest, dass die Oberstufe bestehen bleibt. Deshalb ist gefragt, was ich gerne tue: Eine Schule weiterentwickeln und an neue Gegebenheiten anpassen – in diesem Fall an die sinkende Schülerzahl.

Welches Bild von der Oberstufe haben Sie nach einem Semester?

Gander: Die Schule ist vergleichbar mit einem sehr erfolgreichen Traditionsunternehmen, das einen guten Ruf geniesst. Das war schon am ersten Arbeitstag spürbar: Der Respekt und die Begrüssungs-Kultur ziehen sich durch alle Ebenen. Bemerkenswert ist auch, wie stark die Schule auf Anschlusslösungen der Schüler ausgerichtet ist. Zu diesem Zeitpunkt haben bereits 97 Prozent der Drittklässler eine Lehrstelle oder einen Platz an einer weiterführenden Schule. Das ist der Verdienst meines Vorgängers und seines Teams.

Traditionsunternehmen klingt nach Erfolg, aber auch nach vielen alten Gewohnheiten. Gibt es Schulbereiche, in denen dringend etwas unternommen werden muss?

Gander: Dazu gehört vor allem die Informatik, die sowohl die Infrastruktur als auch den Unterricht betrifft. Hier wurde eindeutig zu wenig getan. Die Anschaffung von Laptops, die neue Lernformen ermöglichen, ist bereits geplant. Auch die Umgestaltung von Schulräumen wird vermutlich auf uns zukommen.

Weshalb braucht es eine Umgestaltung der Schulzimmer?

Gander: Das hängt vom Unterrichtsmodell ab, das die Oberstufe wählen wird. Ich habe schon an Schulen gearbeitet, in denen man in Grossraumbüros unterrichtete: An der Stehbar erklärte ich den Schülern den Satz des Pythagoras; sobald sie die Theorie verstanden haben, arbeiteten sie selbständig weiter.

Ist ein Modell wie dieses in Rheineck denkbar?

Gander: Wie sich die Oberstufe entwickeln wird, ist noch nicht klar. Das Lehrerteam und die Schulkommission werden demnächst Schulen im Appenzellerland und im Thurgau besichtigen, die ähnlich klein sind und funktionieren. Erste Veränderungen könnten sich aber schon im Sommer abzeichnen.

Wie könnten diese aussehen?

Gander: Fest steht, dass wir die starken Elemente der Schule behalten möchten – schliesslich wurde die Oberstufe im Herbst 2014 von den Rheineckern quasi gewählt. Welche Schule kann das schon von sich behaupten?

Dennoch stehen anscheinend völlig neue Schulformen zur Debatte, die Sie bisher vor allem in Privatschulen eingeführt haben. Ist man in Rheineck offen genug dafür?

Gander: An den Schulen im Kanton St. Gallen sind die meisten neuen Lern- und Unterrichtsformen noch nicht vertreten, was sich mit dem Lehrplan 21, der viele neue Türen öffnet und deshalb eine grosse Chance birgt, ändern dürfte. Klar, in den Privatschulen habe ich ganz nach meinen pädagogischen Grundsätzen gehandelt, nun suchen wir eine nachhaltige Lösung, mit der alle leben können. Es nützt niemandem, in Rheineck ein Modell einzuführen, das in Zürich gut ankäme. Aber die Schulkommission weiss, wen sie mit mir gewählt hat.

Die Schulkommission will nicht nur neue Unterrichtsformen, sondern ein Modell, das Kosten spart. Wie soll das gelingen?

Gander: Es geht nicht nur ums Sparen, sondern um die Umverteilung von Ressourcen. Das können wir durch zwei Extreme schaffen.

Wie?

Gander: Entweder, wir werden im klassischen Sinne eine so starke Schule, dass es uns gelingt, Schüler aus umliegenden Gemeinden abzuwerben – der gute Ruf ist ja schon da, und erst vor ein paar Jahren gab es noch Jugendliche aus Lutzenberg, die die Rheinecker Oberstufe besucht haben. Oder aber wir entwickeln uns extrem innovativ: Wir lösen alte Strukturen auf und entfernen uns vom Schulklassen-Denken.

Innovation, Nachhaltigkeit, Entwicklung – ihre Wortwahl gleicht der eines Unternehmers. Weshalb wurde doch das Bildungswesen zu Ihrer Berufung?


Gander: Bildung ist in gewisser Weise Wirtschaft: Die Lehrer sind das Kader, die Schüler die Mitarbeiter. Die Oberstufe Rheineck ist ein Unternehmen, das ich übernommen habe und in dem ich Anpassungen vornehmen werde, ohne die alten Grundwerte über Bord zu werfen. 

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