Laut Allan Guggenbühl ist die Studie für die Schulsituation nicht relevant, Bild: George Dolgikh
Sind ausgeschlafene Schüler gar nicht besser? 20 Minuten, 1.1.
Oberstufenschüler
der Stadt Bern dürfen vielleicht bald länger schlafen als die meisten Schweizer
Jugendlichen. Gemäss dem städtischen Schulamt ist ein späterer
Unterrichtsbeginn in allen stadtbernischen Oberstufen möglich. Willigt die
Volksschulkonferenz Ende Januar ein, soll die erste Morgenlektion statt um 7.30
Uhr bald um 8 oder 8.30 Uhr beginnen.
Verfechter
des späteren Schulbeginns berufen sich auf Studien, die zeigen, dass
Jugendliche dadurch fitter sind und bessere Noten schreiben: Da sie wegen eines
veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus abends kaum müde seien, müssten sie morgens
länger schlafen können, so die Argumentation.
Medizinisch
umstritten
Nun
widersprechen deutsche Forscher dem jedoch: «Schlafmangel beeinträchtigt die
schulischen Leistungen von Kindern und Jugendlichen kaum», schreibt die
deutsche Ärztezeitung. Für das Experiment wurden 16-jährige Gymnasiasten in
fünf Gruppen eingeteilt: Die einen durften pro Nacht bis zu neun Stunden
schlafen, die anderen schliefen über vier Nächte hinweg jeweils acht, sieben,
sechs und fünf Stunden. Danach führten die Forscher verschiedene
Gedächtnistests durch, wobei sich «zwischen den einzelnen Gruppen keine
nennenswerten Unterschiede zeigten».
Eine
mögliche Erklärung dafür könne sein, dass die Tiefschlaf-Phase bei allen
Probanden ungefähr gleich lange dauerte – egal, ob sie viel oder wenig
geschlafen hatten. «Das mag die fehlenden Effekte auf das Gedächtnis erklären.»
Jugendliche schliefen wegen ihres veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus unter der
Woche im Schnitt eine halbe Stunde weniger lang als empfohlen. Dieser kurzfristige
Schlafmangel dürfte aber kaum Auswirkungen auf die schulischen Leistungen
haben, lautet das Fazit der Studie.
«Schulleistung
hängt nicht nur vom Gedächtnis ab»
Der
Jugendpsychologe Allan Guggenbühl sieht die Argumente für einen späteren
Schulbeginn durch die Studie allerdings nicht entkräftet. «Für die
Schulsituation hat dies keine Relevanz»: Bei einem Test strenge man sich an und
schliesslich wisse man, dass der Mensch in Ausnahmesituationen ungeahnte Kräfte
entwickeln könne. Die Schule aber dauere einen ganzen Tag lang: «Hätte man die
Jugendlichen über zwei, drei Tage stundenlang getestet, wäre man auf andere
Resultate gekommen.» Schulische Leistung könne ausserdem nicht auf das
Gedächtnis reduziert werden: «Zig andere Faktoren spielen mit rein, etwa die
Selbstdisziplin, die Gefühlslage oder die Fähigkeit, Gedanken kontrollieren zu
können.»
Auch die
Erklärung, dass allein die Tiefschlafphase entscheidend sei, überzeugt ihn
nicht: «Diese Schlussfolgerung hiesse ja, dass wir alle nur noch so lange schlafen
müssten, wie der Tiefschlaf dauert.» Das sei aber offensichtlich nicht der
Fall. Guggenbühl plädiert deshalb dafür, dass der Unterricht für alle Schweizer
Jugendlichen erst um neun Uhr beginnen soll, wie es im angelsächsischen Raum
gang und gäbe sei: «Vorher sind sie wegen ihres veränderten
Schlaf-Wach-Rhythmus gar nicht aufnahmefähig.»
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