1. Januar 2016

Schlafmangel beeinflusst Schulleistungen nicht

In Bern soll der Unterricht für Oberstufen-Schüler bald später beginnen. Eine neue Studie vermutet aber, dass ausgeschlafene Jugendliche in der Schule nicht besser sind.










Laut Allan Guggenbühl ist die Studie für die Schulsituation nicht relevant, Bild: George Dolgikh
Sind ausgeschlafene Schüler gar nicht besser? 20 Minuten, 1.1.


Oberstufenschüler der Stadt Bern dürfen vielleicht bald länger schlafen als die meisten Schweizer Jugendlichen. Gemäss dem städtischen Schulamt ist ein späterer Unterrichtsbeginn in allen stadtbernischen Oberstufen möglich. Willigt die Volksschulkonferenz Ende Januar ein, soll die erste Morgenlektion statt um 7.30 Uhr bald um 8 oder 8.30 Uhr beginnen.

Verfechter des späteren Schulbeginns berufen sich auf Studien, die zeigen, dass Jugendliche dadurch fitter sind und bessere Noten schreiben: Da sie wegen eines veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus abends kaum müde seien, müssten sie morgens länger schlafen können, so die Argumentation.

Medizinisch umstritten
Nun widersprechen deutsche Forscher dem jedoch: «Schlafmangel beeinträchtigt die schulischen Leistungen von Kindern und Jugendlichen kaum», schreibt die deutsche Ärztezeitung. Für das Experiment wurden 16-jährige Gymnasiasten in fünf Gruppen eingeteilt: Die einen durften pro Nacht bis zu neun Stunden schlafen, die anderen schliefen über vier Nächte hinweg jeweils acht, sieben, sechs und fünf Stunden. Danach führten die Forscher verschiedene Gedächtnistests durch, wobei sich «zwischen den einzelnen Gruppen keine nennenswerten Unterschiede zeigten».

Eine mögliche Erklärung dafür könne sein, dass die Tiefschlaf-Phase bei allen Probanden ungefähr gleich lange dauerte – egal, ob sie viel oder wenig geschlafen hatten. «Das mag die fehlenden Effekte auf das Gedächtnis erklären.» Jugendliche schliefen wegen ihres veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus unter der Woche im Schnitt eine halbe Stunde weniger lang als empfohlen. Dieser kurzfristige Schlafmangel dürfte aber kaum Auswirkungen auf die schulischen Leistungen haben, lautet das Fazit der Studie.

«Schulleistung hängt nicht nur vom Gedächtnis ab»
Der Jugendpsychologe Allan Guggenbühl sieht die Argumente für einen späteren Schulbeginn durch die Studie allerdings nicht entkräftet. «Für die Schulsituation hat dies keine Relevanz»: Bei einem Test strenge man sich an und schliesslich wisse man, dass der Mensch in Ausnahmesituationen ungeahnte Kräfte entwickeln könne. Die Schule aber dauere einen ganzen Tag lang: «Hätte man die Jugendlichen über zwei, drei Tage stundenlang getestet, wäre man auf andere Resultate gekommen.» Schulische Leistung könne ausserdem nicht auf das Gedächtnis reduziert werden: «Zig andere Faktoren spielen mit rein, etwa die Selbstdisziplin, die Gefühlslage oder die Fähigkeit, Gedanken kontrollieren zu können.»

Auch die Erklärung, dass allein die Tiefschlafphase entscheidend sei, überzeugt ihn nicht: «Diese Schlussfolgerung hiesse ja, dass wir alle nur noch so lange schlafen müssten, wie der Tiefschlaf dauert.» Das sei aber offensichtlich nicht der Fall. Guggenbühl plädiert deshalb dafür, dass der Unterricht für alle Schweizer Jugendlichen erst um neun Uhr beginnen soll, wie es im angelsächsischen Raum gang und gäbe sei: «Vorher sind sie wegen ihres veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus gar nicht aufnahmefähig.»

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