Überengagiert, ehrgeizig und mit einer immens hohen Erwartungshaltung
gegenüber den eigenen Kindern. Ist von heutigen Eltern die Rede, beschreiben
Lehrer und Psychologen Mütter und Väter oft als extrem fordernd; Eltern als
forsche Optimierer. Von Druck wird gesprochen, von fixen Vorstellungen, was aus
dem Zweitklässler mal werden soll, und von Förderstunden ohne Ende. «Das Problem sind die Eltern» titelte in diesem
Zusammenhang die «SonntagsZeitung» vergangenes Jahr. Und im «Spiegel» konnte
man im Report «Du bist
Mozart!»lesen: «Ein penetranter Typus Eltern breitet sich aus.
Mütter und Väter, die ihre Kinder für kleine Genies halten und deren Schwächen
mithilfe von Anwälten, Ärzten und Psychologen bekämpfen.»
Keine Lust zum Lernen - die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist begrenzt, Bild: Pink Sherbet
Wenn das Kind "nur" Durchschnitt ist, Mamablog Tages Anzeiger, 21.1. von Gabriela Braun
Es finden sich darin weitere schauderhafte Sätze wie «Wenn Kindheit zur
Krankheit wird» oder: «Es gibt Eltern, die Ärzte drängen, ihren Kindern
Therapien zu verordnen, um sie von schlechten Schulnoten zu heilen.» Sätze
wie diese bleiben haften. Was ist davon zu halten? Stimmt es, was
Lehrer und Psychologen erzählen? Falls ja, welche Folgen haben die übermotivierten
Eltern für die Kinder?
Der Zürcher Psychologe Roland Käser arbeitet seit Jahrzehnten im
schulpsychologischen Dienst. Er bestätigt die oben beschriebene Tendenz. Der
erfahrene Psychologe klärt Schulkinder ab und berät Familien. Er muss «den
Eltern oft die Realität aufzeigen und ihnen Mut machen, das Unabdingbare zu
akzeptieren.» Sprich: Roland Käser macht den Eltern häufig klar, dass ihr Sohn,
ihre Tochter, kognitiv gar nicht in der Lage ist, die von ihnen
erwarteten Ziele zu erreichen, wie etwa einen Übertritt ins Gymnasium.
Viele Mütter und Väter könnten das kaum akzeptieren, sagt Käser, «denn sie
gehen davon aus, dass alles irgendwie optimierbar ist. Sie glauben, sie
brauchen für das Kind nur den richtigen Kurs zu buchen und fähige Experten beizuziehen.
Doch Fakt ist: Die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Kinder ist oft
begrenzt.»
Um die kognitiven Grenzen eines Kindes zu erkennen, macht Roland Käser
in der schulpsychologischen Praxis häufig Intelligenztests mit ihnen. Das
habe sich bewährt, er arbeite gerne mit dieser Methode – auch wenn gewisse
Kollegen sie kritisieren würden. Die Resultate eines IQ-Tests zeigten das
kognitive Potenzial auf und die Familie könne sich damit auseinandersetzen. Es
erlaube den Eltern, ihr Kind besser wahrzunehmen und realistischer
einzuschätzen. Sehe man beispielsweise, dass ein Schüler oder eine Schülerin
einen Intelligenzquotienten von nur 70 habe, sei die Ausgangslage klar. Die
Eltern müssten sich in einem solchen Fall von ihren hochgesteckten Zielen
verabschieden und sich realistische Ziele setzen. «Das kann wehtun»,
sagt Käser. «Für viele Eltern ist dies verständlicherweise eine sehr belastende
Diagnose.»
Der Schulpsychologe sagt, er habe Verständnis, wenn Eltern wollten, dass
es ihrem Kind «gut» gehe. Doch was heisst das? Wohlstand, eine Karriere,
Prestige, Zufriedenheit? Roland Käser wünscht, dass Eltern entspannt genug
sind, gegenüber dem Kind offen zu bleiben, «damit es seinen Möglichkeiten
entsprechend das Bestmögliche erreicht.» Er verweist auf die vielfältigen
Bildungswege und deren zahlreiche Möglichkeiten; auch dies ein wichtiger Punkt
in Elterngesprächen.
Neu ist das Phänomen des Optimierungswahns bei Kindern nicht: Roland
Käser schrieb schon vor dreissig Jahren in Artikeln darüber, dass «durch die
Machbarkeitseuphorie der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten bei Eltern
auf ein unrealistisches Mass heranwachsen» könne. Kinder sollen etwas
Besonderes sein oder werden, aber auf keinen Fall «nur» Durchschnitt.
Auf die Frage, was Eltern tun können, um ihre Kinder zu unterstützen,
sagt der Psychologe: Strukturen und Vorgaben im Alltag schaffen – und
diese auch einhalten. «Das ist sehr wichtig.» Das betreffe zum Beispiel den
Umgang mit Hausaufgaben, Bildschirmzeiten, Abwechslung von Zeiten der Ruhe und
Aktivität, Sozialkontakte in Jugendgruppen und Sportvereinen. «Denn die
Hirnentwicklung der Kinder wird stark durch die Umwelt mit geprägt.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen