Dass das Jahr 2015 auch das Internationale Jahr der Evaluation
war, dürfte nur wenigen aufgefallen sein. Was aber sind Evaluationen? Es sind
wissenschaftliche Bewertungen organisatorischer oder politischer Sachverhalte.
Durchgeführt werden Evaluationen entweder von Evaluierenden innerhalb der
Organisation, deren Tätigkeit es zu bewerten gilt, oder von externen
Evaluierenden. Politikevaluationen sind meist mehr als nur wissenschaftliche
Auftragsforschung, sie sind häufig von grosser politischer Relevanz. Wenn eine
Politik scheitert, ist die Frage nach den Schuldigen nicht nur für die
betroffenen Verwaltungsstellen zentral, sondern ebenso für die politischen
Entscheidungsträger: Wenn der politische Entscheid falsch war, nützt der beste
Vollzug nichts - die Politik wird versagen.
Stefan Wolter: «Wer den Unterricht einer zweiten Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will, kann dies mit Sicherheit nicht mit wissenschaftlicher Forschung begründen.» Bild: Migrosmagazin
Evaluierende in der Zwickmühle, NZZ, 9.1. von Lyn Pfleger und Fritz Sager
Dieses
Spannungsfeld ist ein Problem für Evaluierende. Es birgt das Risiko, dass
politische Akteure eine Evaluation zu instrumentalisieren versuchen. Die
unabhängige Bewertung eines Sachverhalts kann dazu führen, dass die Befunde den
Interessen der betroffenen Akteure zuwiderlaufen. Um das zu verhindern, können
die Auftraggeber von Evaluationen versuchen, in den Evaluationsprozess
einzugreifen und den Evaluierenden und seine Ergebnisse zu beeinflussen. Das
steht offenkundig im Widerspruch zum Anliegen der Evaluation: die
Bereitstellung einer unabhängigen Bewertung, auf deren Basis politische
Entscheidungen getroffen werden können.
Wie
schnell es passieren kann, dass Politiker diese Grenze überschreiten, wurde vor
einigen Jahren in Deutschland deutlich. Die ehemalige Familienministerin
Kristina Schröder hatte Ergebnisse einer 13 Millionen Euro teuren Evaluation
der deutschen Familienpolitik derart verkürzt und zu ihren Gunsten
interpretiert, dass die an der Evaluation beteiligten Wissenschafter Schröders
Schlussfolgerungen öffentlich widersprachen.
In
diesem Fall waren es also die Evaluierenden selber, die sich gegen den Versuch
der falschen Ergebnisinterpretation zur Wehr setzten. Was passiert aber, wenn
Evaluierende den Beeinflussungsversuchen von Auftraggebern nachgeben? Wie stark
verankert ist das berufliche Ethos von Evaluierenden in der Schweiz? Wie steht
es hierzulande um deren Unabhängigkeit?
Diesen
Fragen wurde jüngst in einer Studie der Universität Bern nachgegangen. Befragt
wurden Mitglieder der Schweizerischen Evaluationsgesellschaft (Seval). Die
Ergebnisse bestätigen, dass Auftraggeber durchaus versuchen, in den
vermeintlich unabhängigen Evaluationsprozess einzugreifen. So sah sich die
Hälfte der Befragten schon mindestens einmal mit der versuchten Einflussnahme
durch den Auftraggeber konfrontiert - bei 90 Prozent von ihnen blieb es zudem
nicht beim Einzelfall.
Das
Spektrum der Beeinflussungen reicht vom Wunsch der Auftraggeber, Ergebnisse
positiver darzustellen, bis hin zur Aufforderung zu inhaltlichen Verzerrungen.
Die Ergebnisse zeigen, dass Schweizer Evaluierende zwar die Einhaltung der
Berufsstandards hochhalten, gleichzeitig aber doch auch sehr bemüht sind, den
Wünschen des Auftraggebers gerecht zu werden.
Das
Dilemma lässt sich nur lösen, wenn der Auftraggeber die Unabhängigkeit der
Evaluation nicht gefährdet. Im Fall einer bewussten Einflussnahme befindet sich
der Evaluierende indes in einer sehr misslichen Lage.
Es
überrascht denn auch nicht, dass nur rund jeder zehnte Evaluierende angab, auf
die Beeinflussungsversuche hin keinerlei Änderungen am eigenen Bericht
vorgenommen zu haben. Das heisst, rund 90 Prozent aller Evaluierenden
reagierten auf die Beeinflussungsversuche durch den Auftraggeber, wenngleich
ein Grossteil angab, die vorgenommenen Änderungen entsprächen einem Kompromiss
und hätten zu keiner falschen oder ungenauen Darstellung der Ergebnisse
geführt.
Dieses
Verhalten widerspricht dem Selbstbild der Schweizer Evaluierenden, wonach ein
guter Evaluierender primär festgelegten Evaluationsstandards verpflichtet ist
und immer nur die von ihm tatsächlich ermittelten Ergebnisse präsentiert - ohne
etwas abzuschwächen oder aufzuwerten.
Insgesamt
macht die Studie deutlich, dass in der Schweiz Handlungsbedarf besteht. Hierfür
bieten die Evaluierenden selber verschiedene Möglichkeiten an. Diese reichen
von Vorschlägen einer besseren Ausbildung aufseiten der Auftraggeber bis hin
zur Einführung obligatorischer Evaluationsprotokolle, die den
Evaluationsprozess stark formalisieren.
Es
liegt im Interesse des gesamten politischen Entscheidungsprozesses, dass die
Unabhängigkeit von Evaluationen abgesichert wird. Die Verpflichtung von
Auftragnehmern und Auftraggebern auf entsprechende Standards kann hierzu einen
wesentlichen Beitrag leisten.
Die Aussage Wolters ist ein Skandal und sollte eigentlich einen Aufschrei in der Schweizer Forschergemeinde auslösen. Doch im behaglich eingerichteten Elfenbeinturm der Wissenschaften will man doch nicht potenzielle Auftraggeber vergraulen.
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